Vor der Europa League 1988 und das „Wunder von Leverkusen“

Leverkusen · Florian Hinterberger gehörte zu dem Team, das mit dem Sieg im Uefa-Cup den bisher einzigen internationalen Titel für Bayer 04 gewann. Der heute 61-Jährige erinnert sich und veröffentlicht bald seine Autobiografie mit vielen Anekdoten.

 18. Mai 1988: Kabinenfeier bei Bayer 04 Leverkusen nach dem Uefa-Cup. Florian Hinterberger begutachtet den Pott, daneben Jean Pierre de Keyser und Klaus Täuber (v. li.).

18. Mai 1988: Kabinenfeier bei Bayer 04 Leverkusen nach dem Uefa-Cup. Florian Hinterberger begutachtet den Pott, daneben Jean Pierre de Keyser und Klaus Täuber (v. li.).

Foto: imago images/Kicker/Eissner, Liedel/via www.imago-images.de

Florian Hinterberger ist gerade im Urlaub am Chiemsee, nimmt sich aber vor dem Achtelfinal-Rückspiel in der Europa League von Bayer 04 Leverkusen gegen die Glasgow Rangers am Donnerstag (18.55 Uhr, BayArena) dennoch kurz Zeit, um über den Klub zu reden, mit der 1988 den bisher einzigen internationalen Titel der fußballerischen Vereinshistorie gewann: den Uefa-Cup, den Vorgänger-Wettbewerb der Europa League.

Damals wurde das Finale noch in Hin- und Rückspiel entschieden, Bayer verlor bei Espanyol Barcelona 0:3 – eine große Hypothek. „Wir hatten eine großartige Europapokal-Saison gespielt und nur wenige Gegentore kassiert – und kriegen dann im ersten Endspiel aus heiterem Himmel gleich drei in nur zehn Minuten, wovon ich beim dritten etwas unglücklich beteiligt war“, erinnert sich Hinterberger. „Wir mussten uns dann erst einmal zwei Wochen bis zum Rückspiel am 18. Mai schütteln. In der Kabine hatten wir einen Abrisskalender, an dem wir die Tage runtergezählt haben, und unser Brasilianer Tita hat immer wieder Motivationszettel verteilt.“

So gestärkt ging es dann ins entscheidende Endspiel. „Ich sollte gegen Ernesto Valverde spielen, also als linker Verteidiger. Ich wollte mir schon die Nummer fünf anziehen, doch dann kam unser Trainer Erich Ribbeck rein und sagte, dass Espanyol taktisch umgestellt hat und er mich deswegen rausnehmen müsse“, sagt Hinterberger und ergänzt: „Aus Trainer-Sicht war das alles richtig, aber für mich war das brutal. Du willst was umbiegen und darfst nicht spielen. Das hat mich tief enttäuscht, und ich brauchte bestimmt eine halbe Stunde des Spiels, bis ich mich voll darauf konzentrieren konnte.“

Was die Sache einfacher machte: Bayer schoss durch Tita, Falko Götz und Bum-kun Cha nach der Pause das nötige 3:0 heraus, um sich in die Verlängerung und dann ins Elfmeterschießen zu retten. „Was da abging, wäre heute unmöglich“, sagt Hinterberger. „Beim Elfmeterschießen standen Journalisten und Fotografen im Mittelkreis, und als unser Sieg feststand, ist die komplette Haupttribüne auf den Rasen gestürmt. Das war großartig.“

Dass sich das weder bei einem Sieg am Donnerstag noch bei einem erneuten Titelgewinn in diesem Jahr wiederholen kann, liegt in Zeiten der Coronavirus-Pandemie am Fehlen von Fans in den Stadien. Der Heimvorteil sei deswegen weniger entscheidend, weiß Hinterberger, der 61-Jährige meint aber auch: „Bayer wird das 3:1 aus Glasgow nicht einfach verwalten, das funktioniert nicht, sondern daheim sowieso auf Sieg spielen. Ich glaube auch nicht, dass da noch was schief geht.“ Interessant findet der Ex-Profi und -Trainer die Turnierform, in der die Europa League nach dem Achtelfinale ausgespielt wird. „Das kennt man ja sonst höchstens aus der Nationalmannschaft. Ob das ein Vorteil ist, dass es dann weniger Spiele bis zum Titel sind, weiß ich nicht. Ich finde das auf jeden Fall interessant – es ist wie eine EM oder WM.“

In derlei Gefilde hat es den gebürtigen Regensburger nicht geführt, sein Werdegang ist dennoch beachtlich – und in den nächsten Tagen in seiner Biografie nachzulesen. Unter dem Titel „Er wollte halt nur Fußball spielen – Regensburger Domspatz, Uefa-Pokalsieger und Münchner Löwe“ hat Hinterberger auf 252 Seiten rund 70 Kapitel geschrieben, von denen sich knapp 20 auf seine Zeit bei Bayer 04 beziehen, auch das „Wunder von Leverkusen“ von 1988 ist dabei. Humorvolle Anekdoten hat er aneinandergereiht, es ist ein flotter Stil, den er sich aneignete, als er im Schreibprozess ein halbes Jahr blockierte. „Ich bin ja kein Profi, aber ich habe es komplett selber geschrieben. Manche geben nur ihren Namen und jemand anderes schreibt für sie, aber ich hatte keinen Co- oder Ghost-Autor. Der Verlag hat nur korrigiert, meinen Stil aber komplett gelassen. So ist es mein eigenes Buch, und darauf bin ich stolz“, sagt Hinterberger.

Er erzählt in der Biografie auch von seiner Zeit bei den Regensburger Domspatzen, die zuletzt weniger wegen ihres musischen Talents, sondern mit düsteren Themen in der Schlagzeilen landeten. „Sexuelle Übergriffe haben weder mein Bruder Hans-Christian noch ich da erlebt, aber es gab sie“, sagt Hinterberger. Ebenso die Prügelstrafen: „Ohrenziehen, Schläfenziehen, mit dem Geigenstock auf die Finger schlagen – das war in der 70er Jahren noch normal“, erinnert Hinterberger, betont aber: „Bei all diesen Geschichten darf man nicht vergessen: Das ist ein Welt-Chor, und man ist da auch als Acht- oder Zehnjähriger schon ein Vollprofi mit dem Singen. Man hat am Tag nur anderthalb Stunden Freizeit und ist durchgetaktet. Jeden Sonntag gibt es das Spiel im Dom, dazu kommen Auswärtsreisen. Da lernt man schon Sachen, die man auf Fußball übertragen kann: Disziplin und mit Druck umzugehen.“

Beides Dinge, die auch Bayer 04 nicht nur am Donnerstag braucht. „Viele Grüße nach Leverkusen und viel Erfolg“, wünscht Hinterberger noch, bevor er den Urlaub fortsetzt.

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