Hoffnung auf die Wende Elfmeter-Irrsinn beflügelt Bayer 04

Madrid · Bayer 04 Leverkusen beweist beim 2:2 in Madrid Zusammenhalt und Nervenstärke. Lukas Hradecky avanciert nach dem Schlusspfiff zum Helden der Partie gegen Atlético. Jonathan Tah entdeckt in der Mannschaft eine neue Geschlossenheit.

 Während die Leverkusener Profis ihrer Freude über das Remis freien Lauf lassen, macht sich bei Atléticos belgischem Nationalspieler Yannick Carrasco (r.) blankes Entsetzen breit.

Während die Leverkusener Profis ihrer Freude über das Remis freien Lauf lassen, macht sich bei Atléticos belgischem Nationalspieler Yannick Carrasco (r.) blankes Entsetzen breit.

Foto: AP/Manu Fernandez

Die Partie war abgepfiffen, aber die Nerven lagen blank. Spieler von Bayer Leverkusen umringten Schiedsrichter Clément Turpin und gestikulierten sichtlich fassungslos, ein paar von ihnen legten sich in einer mittelschweren Rudelbildung mit den Profis von Atético Madrid an. Schubsereien und verbale Scharmützel folgten, die Ersatzspieler sprangen von der Bank auf, Funktionäre ebenfalls, doch Turpin blieb ruhig. Er ging Richtung Monitor an der Seitenlinie und schaute sich die Szene noch einmal an, die zu den Tumulten auf den Rasen führte und das Estadio Metropolitano in einen Hexenkessel verwandelte. Nach kurzer Ansicht entschied er auf Strafstoß für die Spanier – eine Entscheidung, die ein Novum in der Champions-League-Geschichte sein dürfte.

Was war passiert? In der siebten Minute der Nachspielzeit hatte Piero Hincapie den Ball bei einer Ecke leicht mit der Hand gestreift. Atléticos Trainer Diego Simeone, für den die Coaching Zone traditionell nur eine Art vage Vorgabe für seinen Wirkungsradius an der Seitenlinie ist, reklamierte wie von der Tarantel gestochen Handspiel, einige seiner Spieler ebenfalls, doch Turpin pfiff zunächst ab, ehe sich der Videoschiedsrichter (VAR) zu Wort meldete. So kam es zu dem Kuriosum, dass Yannick Carrasco nach dem Spiel doch noch die Gelegenheit bekam, Atléticos Chance auf das Achtelfinale der Champions League zu wahren. Doch Lukas Hradecky parierte den Schuss und sicherte Bayers 2:2 (2:1) in der spanischen Hauptstadt.

Für die Rheinländer war das Ausscheiden aus der Königsklasse bereits vor dem Anpfiff klar. Durch das 4:0 des FC Porto beim FC Brügge war Platz zwei in der Gruppe nicht mehr zu erreichen. Das Remis in Madrid erhält aber immerhin die Chance, am letzten Spieltag im Fernduell mit Atlético noch Platz drei zu erobern. Dafür muss die Werkself aber gegen Brügge mehr Punkte holen als der Konkurrent in Porto. Zusätzliche Dramatik erhielt die Elfmeter-Entscheidung durch die Tatsache, dass Simones Team im Erfolgsfall zumindest die Chance auf das Achtelfinale im direkten Duell gewahrt hätte. Der Coach sprach im Anschluss mit Blick auf den verschossenen Elfmeter von einem der bittersten Momente seiner rund elfjährigen Schaffenszeit bei den „Rojiblancos“, den Rot-Weißen.

Einzelkritik Champions League: Atletico Madrid - Bayer 04 Leverkusen - die Werkself in Noten
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Atlético Madrid - Bayer 04: die Werkself in Noten

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„Vielleicht war es auch ein bisschen Karma, dass er nicht reingegangen ist. Sie haben sich benommen und sind rumgesprungen wie Kinder“, kritisierte Hradecky noch unter dem Eindruck der dramatischen Schlussminuten das Verhalten der Spanier. „Dass wir in der Schlussphase so verteidigen und durch so eine Phase kommen, ist vielleicht auch das Zeichen, dass wir langsam wieder eine Mannschaft werden.“ Es sei wichtig, nicht auch noch das 2:3 kassiert und sich selbst für eine gute Leistung belohnt zu haben. „Ich freue mich, dass ich die richtige Ecke erwischt habe und die Mannschaft langsam versteht, was gefragt ist, um gegen die stärksten Gegner zu punkten. Wir haben es uns durch den Kampf erarbeitet.“

Ähnlich sah es Innenverteidiger Jonathan Tah, der in der Schlussphase eine intensive Abwehrschlacht erlebte. Madrid drängte mit aller Macht auf die Führung, doch Bayer hielt – im Gegensatz zu vielen misslungenen Spielen in dieser Saison – zusammen und den Angriffswellen stand. „Es war sehr, sehr intensiv“, sagte der 26-Jährige. „Natürlich ist es verrückt, was durch den VAR möglich ist. Das Spiel ist vorbei und trotzdem wird doch noch ein Elfmeter geschossen. Ich bin froh, dass uns Lukas gerettet hat.“ Von Glück wollte der Abwehrmann dabei aber nicht sprechen. „Wir haben uns das erarbeitet, weil wir als Mannschaft geschlossen waren und jeder versucht hat, seine Energie reinzugeben. Das war das, was wir brauchten.“

Das Erlebnis in Madrid dürfte der nach wie vor tief in der Krise steckenden Werkself Auftrieb geben. Denn insgesamt zeigte das Team von Trainer Xabi Alonso eine starke Leistung beim Tabellendritten der Primera División. Moussa Diaby brachte Bayer früh in Führung (9.), Carrasco sorgte für den Ausgleich (22.). Doch Leverkusen blieb griffig, knickte nicht ein und legte durch Callum Hudson-Odoi nach (29.). Rodrigo de Paul stellte zwar kurz nach dem Wiederanpfiff auf 2:2, doch trotz diverser guter Chancen kamen die Gastgeber nicht über das Remis hinaus.

Am Samstag geht es in der Liga mit dem Spiel bei RB Leipzig weiter (15.30 Uhr). „Wir haben auf jeden Fall einen Schritt nach vorne gemacht und alle haben verstanden, worum es geht. Das ist die Basis, auf der wir unsere Qualitäten zeigen können“, sagte Tah. Das gelte es nun zu bestätigen – gerne dann ohne Tumulte und Elfmeter nach Schlusspfiff.

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