Fußball-Präsidenten und Mäzenen Das Ende der Fußball-Patriarchen

Köln · Analyse Fußballklubs haben sich zu gewinnhungrigen Wirtschaftsunternehmen entwickelt. In ihnen ist kein Platz mehr für väterlich führende Präsidenten wie Uli Hoeneß.

 Hans (Jean) Löring, Präsident des Fußball-Zweitligisten Fortuna Köln, aufgenommen am 12.03.2000 im Kölner Südstadion.

Hans (Jean) Löring, Präsident des Fußball-Zweitligisten Fortuna Köln, aufgenommen am 12.03.2000 im Kölner Südstadion.

Foto: picture-alliance / dpa/dpa/Ferdinand Ostrop

Jean Löring hieß eigentlich Hans. Aber er fand, Jean klinge einfach besser. Vor allem in Kölner Ohren. Die machten aus dem Jean „De Schäng“. Und als „De Schäng“ war Hans Löring eine bekannte Kölner Größe. Im Elektrohandel hatte er ein Vermögen gemacht, und im Fußball rüstete er den kleinen Verein Fortuna Köln mit selbstvergessener Begeisterung derart auf, dass der mal in der Bundesliga spielte. Das hielt zwar nur ein Jahr (1973/74), aber Löring – Präsident, Geldgeber und sportlicher Leiter in einer Person – versuchte es viele Jahre weiter. Ohne Erfolg. 13 Millionen Euro soll er in den unendlichen und vergeblichen Traum von der Bundesliga gesteckt haben. Er starb im Jahr 2005 nahezu mittellos.

Die Geschichte der Fortuna hat er trotzdem um einen unvergleichlichen Höhepunkt bereichert. Als das Team 1999 in der zweiten Liga zur Halbzeitpause einen 0:2-Rückstand gegen Waldhof Mannheim zusammengestümpert hatte, stürmte der Präsident, in seiner Wut noch durch ein paar Gläschen Cognac gestärkt, in die Kabine und entließ dort das Kölner Fußballidol Harald „Toni“ Schumacher aus dem Beruf des Fußballtrainers der Fortuna. „Raus hier! Du hast hier nichts mehr zu suchen!“, rief Löring nach Zeugenangaben. Der unmittelbare Nutzen dieses Auftritts war wohl eher gering. Fortuna Köln verlor mit 1:5. Doch Löring erschien anschließend zur Pressekonferenz mit der Bitte um einen weiteren Weinbrand und der Feststellung: „Ich bin einmalig.“

Das stimmt. „De Schäng“ war vielleicht der bunteste Hund unter den Patriarchen, die aus dem Präsidentenamt und/oder aus der Tatsache, dass sie mit ihrem Geld einen Profiverein am Leben erhalten, das Recht ableiten, nach Gutdünken ins operative Geschäft des Vereins einzugreifen. Zum Klub gehören der Teppichhändler Michael A. Roth, der aus Verärgerung über Schulden von Vorgängern beim 1. FC Nürnberg deren Namen aus einem Gedenkstein meißeln ließ, Günther Eichberg, der bei der Beerdigung des Schalker Idols Ernst Kuzorra die Kranzniederlegung am Grab wiederholen ließ, weil er zu spät gekommen war, und Martin Kind, der Hannover 96 seit vielen Jahren als seinen Verein versteht, in dessen Führung er lieber niemanden hineinreden lässt.

Uli Hoeneß (67) darf für sich beanspruchen, weder ein Clown auf dem Präsidentensessel des FC Bayern München noch ein Sonnenkönig wie Eichberg zu sein, dem der Verein nur als Projektionsfläche des eigenen Ruhms taugte. Aber auch Uli Hoeneß ist ein Präsident, der in die aktuelle Vereinspolitik hineinregiert, obwohl sein Amt eigentlich das Repräsentieren vorschreibt. Und ein Patriarch ist Hoeneß ganz sicher. Das würde er nicht einmal als eine ehrenrührige Bezeichnung empfinden.

Hoeneß führte die Bayern 40 Jahre lang, zunächst als Manager und insgesamt acht Jahre als Präsident – von Juni 2014 bis  Februar 2016 absolvierte er seine Haftstrafe. Und er hat es immer unter der Maßgabe getan, erster Mann in einem Verein im besten Sinne des Wortes zu sein. Im Umgang stand deshalb der familiäre Faktor im Vordergrund, kontrastiert durch den energisch betriebenen Weg zu einem Fußball-Unternehmen, das in Deutschland mit einem Jahresumsatz von nahezu 700 Millionen Euro der klare Marktführer ist und mit einem normalen Verein natürlich gar nichts mehr gemein hat.

Das konnte nicht ewig gut gehen. Und es ist auch nicht gutgegangen. Die Rolle des Familien-Oberhaupts und die des Millionen bewegenden Geschäftsmannes waren auf Dauer ebenso wenig zu vereinbaren wie der Widerspruch zwischen moralischen Reden von der Verwerflichkeit der Summen auf dem Transfermarkt und der Zustimmung zu ebensolchen Geschäften. Deshalb passt der Vereinspräsident Hoeneß einfach nicht mehr in die Zeit des immer hemmungsloseren Fußball-Kapitalismus. Und deshalb gibt er wohl zum Jahresende seine Führungsrolle beim größten deutschen Verein auf. Die Zeit ist über ihn hinweggerollt, selbst im eigenen Klub. Das ist seine Einsicht.

Das Zeitalter der Fußball-Patriarchen geht ohnehin zu Ende. Das ahnte der ehemalige Leverkusen-Spitzenfunktionär Wolfgang Holzhäuser bereits vor 20 Jahren. Über Zeitgenossen wie „De Schäng“ Löring oder weniger komische, aber in ihrer Gutsherrenart ebenso verheerend wirkende wie den Dortmunder Gerd Niebaum urteilte er: Diese Leute „sterben aus“. Dass Holzhäuser zu tiefen Erkenntnissen mitunter deutlich früher als Amtskollegen gelangt, bewies er auch fünf Jahre später, als er den wunderbaren Satz prägte: „Ein Fußball-Trainer ist in einem Verein eine temporäre Erscheinung.“ Niemals ist das klarer unterstrichen worden als in der zurückliegenden Bundesliga-Saison.

Mit dem Phänomen des Patriarchen an sich befasste sich Holzhäuser 2000, weil Borussia Dortmund nach einem jahrelangen Höhenflug, der bis zum Titel in der Champions League führte, durch Niebaums verhängnisvolle Amtsführung auf die Abstiegszone der Bundesliga zusteuerte.

 Hans (Jean) Löring im Jahr 2000 im Kölner Südstadion.

Hans (Jean) Löring im Jahr 2000 im Kölner Südstadion.

Foto: picture-alliance / dpa/dpa/Ferdinand Ostrop

Derartiges wird den Bayern allerdings nicht passieren, dafür hat der Präsident Uli Hoeneß seinen Klub viele Jahre viel zu klug gesteuert. Das Projekt, das er selbst geschaffen und ins Laufen gebracht hat, ist für den Erfinder zu groß geworden. Die Geister, die Hoeneß einst selbst rief, kriegt er mit seiner Art nicht gebändigt. Sie haben sich verselbstständigt und sind in Strukturen aufgegangen, die keinen Patriarchen mehr vertragen. Das kann man bedauern, vielleicht muss man es bedauern. Es gehört jedoch in die Geschichte der immer glatteren Konturen des Fußballs, denn die Klage über das Ende der Patriarchen ist auch die Klage über fehlende Typen. Letzten Endes ist es auch eine Klage über die Vergänglichkeit. Dazu passt, dass Hoeneß im Herbst gehen und nicht mehr zur Wiederwahl antreten will.

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