Mit 26 Jahren Jan Winking – das ausgebremste Trainertalent
Bocholt · Bislang kannte die Trainerkarriere von Jan Winking nur einen Weg: nach oben. Mit gerade mal Mitte 20 führte er den 1. FC Bocholt nach 15 Jahren in die vierthöchste Spielklasse zurück. Nach einem verpatzten Saisonstart wurde er jedoch freigestellt. Ein Porträt.
Für Jan Winking hielt das vergangene Wochenende eine völlig neue Erfahrung parat. Statt wie gewohnt den Samstag als Trainer auf einem Fußballplatz zu verbringen, hatte der 26-Jährige frei – wenn auch ungewollt. Schließlich war der bislang jüngste Coach der Regionalliga West angetreten, um den ehemaligen Zweitligisten 1. FC Bocholt nach Jahren der Tingeltour in den unteren Amateurligen in der vierten Liga zu etablieren.
Allein: Dieses Ziel trauten ihm die Verantwortlichen um Präsident Ludger Triphaus nach drei Niederlagen zum Saisonstart nicht mehr zu und stellten Winking am 8. August frei. Die Entwicklung der Mannschaft sei in den vergangenen Wochen sehr negativ gewesen und habe die Vereinsführung bedenklich gestimmt, so Triphaus in einer offiziellen Mitteilung. Man erhoffe sich nun durch den Trainerwechsel „einen neuen Impuls zu setzen, den die Mannschaft jetzt braucht, um in der Regionalliga endlich zu punkten“.
Man merkt: Selbst in der Regionalliga greifen die sogenannten Mechanismen des Profi-Geschäfts und aus Schulterklopfern werden im nächsten Augenblick Nackenschläge. Ob diese Entscheidung zum erwünschten Erfolg führen wird, wird erst die Zeit zeigen. In den sozialen Medien jedenfalls stieß sie weitestgehend auf Unverständnis. Und auch Winking dürften die Ereignisse noch eine Weile beschäftigen.
Dabei verlief seine bisherige Trainerkarriere beinahe schon zu märchenhaft – und nahm seinen Anfang bereits in ganz jungen Jahren. „Ich habe schon als Spieler eine hohe Verantwortung für meine Mitspieler und das ganze Drumherum verspürt“, erzählt Winking wenige Tage vor seiner Freistellung. „Gewissermaßen habe ich bis zu den Senioren immer meine Kameraden gecoacht und mich für Trainingsinhalte interessiert. Es lag mir immer irgendwie im Blut.“
Dass er sich jedoch früher als geplant mit dem Trainerdasein auseinandersetzen musste, lag auch an einer Diagnose, die er mit gerade mal 15 Jahren erhielt: Knorpelschaden im Grundgelenk des großen Zehs. Sein Fuß ist dadurch praktisch immer entzündet. „Als ich noch aktiv Fußball gespielt habe, war es so schlimm, dass ich mir nicht mal mehr die Schuhe zubinden oder Autofahren konnte“, erzählt Winking.
Ein Schock für den damaligen Teenager, der sich fortan seiner zweiten Leidenschaft widmete – und das mit Erfolg. Bereits vor seinem 21. Geburtstag hatte er die Elite-Jugendlizenz in der Tasche. Und das alles ohne professionellen Background. „Ich habe ja nie in einem Nachwuchsleistungszentrum eines Profivereins gearbeitet, dennoch war die Rückmeldung, nachdem ich meine einzelnen Lizenzen gemacht habe, immer positiv“, erzählt Winking.
Auch der weitere Lebenslauf liest sich wie der eines Überfliegers: Mit 20 Jahren Co-Trainer bei damaligen Oberligisten 1. FC Bocholt, zwei Jahre später Cheftrainer bei seinem Heimatverein Westfalia Gemen in der Landesliga, ehe er im Mai 2020 nach Bocholt zurückkehrte – dieses Mal auf den Chefsessel. Mit 24 Jahren wohlgemerkt.
Apropos Alter. Das sei eher immer ein Thema für die lokale Presse gewesen als in der Mannschaft selber, betont Winking. „Aus Spielersicht ist es doch so: Warum sollte ich einem Trainer nicht folgen, wenn er ein gutes Training macht, er einen Plan und eine gute Ansprache hat? Dann ist es doch egal, wie alt er ist.“ Das bestätigten übrigens auch seine Spieler. Marcel Platzek wechselte 2021 mit der Empfehlung 259 Regionalligaspielen vom Traditionsverein Rot-Weiss Essen zum Hünting nach Bocholt. „Für mich war es eine ganz neue Erfahrung, einen so jungen Trainer zu haben, der jünger ist als ich“, berichtete der 32-jährige Angreifer, der mit 39 Toren maßgeblichen Anteil am Regionalliga-Aufsteig hatte. „Der Trainer ist dennoch schon sehr weit für sein Alter – auch was seine Ausstrahlung anbelangt.“
Bis es mit dem Plan soweit war, musste Winking aber erst mal Ordnung bei sich schaffen: „In den ersten Jahren war es tatsächlich so, dass ich mein ganzes Wissen nicht richtig strukturieren konnte. Wenn ich mal eine Idee aufgeschnappt habe, habe ich sie abgetippt – und dann lag sie da erst mal auf meinem PC rum.“
Erst mit der Zeit stellte er fest, dass der Fußball per se aus sechs Phasen besteht: Spiel mit dem Ball, Spiel ohne Ball, Umschalten offensiv, Umschalten defensiv, Standards offensiv und Standards defensiv. Mit dieser Erkenntnis entwickelte er für jede Phase verschiedene Prinzipien, an die sich seine Spieler während des Spiels zu halten haben. Das Ergebnis: eine klare Struktur auf dem Platz.
„In der vergangenen Saison hatten wir zum Beispiel die Spielidee Aufstieg – das war sozusagen unser Evangelium. Und darin waren verschiedene Vorgaben enthalten, die meine Spieler jederzeit umsetzen konnten“, erklärt Winking. „Dazu gehörte zum Beispiel die Frage: ,Wie muss ein Aufsteiger spielen?‘ Und so habe ich alles danach aufgebaut. Als Trainer hast du so automatisch eine klare Struktur, wie du es der Mannschaft vermittelst.“
In der Oberliga klappte dieser Ansatz jedenfalls hervorragend: Von 32 Spielen wurden 25 gewonnen, sechs gingen Remis aus und nur eines wurde verloren. Torverhältnis 103:24. Grundlage war eine offensive, auf Ballbesitz fußende Spielanlage, mit der die meisten Gegner heillos überfordert waren. Eine Liga höher erlebte der FCB zunächst das komplette Gegenteil. Nach drei Spielen stand er mit null Punkten auf dem vorletzten Platz.
Und auch wenn es angesichts der Zahlen komisch klingen mag: Am sogenannten Matchplan lag es derweil nicht, der funktionierte über weite Strecken sowohl beim Auftakt gegen den 1. FC Düren (1:3) als auch gegen die U23 von Fortuna Düsseldorf (1:2). Vielmehr waren es mangelnde Effizienz, individuelle Fehler und ein Schuss Naivität, die in der vierten Liga deutlich häufiger bestraft werden als noch in der Oberliga.
Am deutlichsten wurde dies bei der Niederlage, die Winking letztlich auch den Job kostete: dem 0:5 bei Preußen Münster. Dass er im Vorfeld der Partie Fitnessprobleme bei seiner Mannschaft offenlegte, dürfte ihm im Nachhinein auch nicht wirklich geholfen haben.
Doch Winking wird aus diesen Erfahrungen lernen, so wie er es bisher immer getan hat. Und wer den bald 27-Jährigen einmal kennen gelernt hat, der kann mit Gewissheit sagen, dass es in naher Zukunft nicht mehr so viele freie Wochenenden geben wird. Dafür ist die Leidenschaft für den Fußball und die Sehnsucht nach dem Rasen einfach zu groß.