Amateurfußball Die Bundesliga boomt — doch die Basis bröckelt

Düsseldorf · Immer mehr Fußballvereine melden sich vom DFB ab oder müssen fusionieren – viele aus Geldnot. Auch der DJK SC Flingern 08 ging insolvent. Wie konnte es im Amateurfußball soweit kommen?

 Die Grafik zeigt die Entwicklung der Mitgliederzahlen der Vereine im Westdeutschen Fußballverband.

Die Grafik zeigt die Entwicklung der Mitgliederzahlen der Vereine im Westdeutschen Fußballverband.

Foto: Imago / Zörner

Immer mehr Fußballvereine melden sich vom DFB ab oder müssen fusionieren — viele aus Geldnot. Auch der DJK SC Flingern 08 ging insolvent. Wie konnte es im Amateurfußball soweit kommen?

Immerhin steht das Klubhaus noch. Auch wenn der Putz abblättert. Doch auf dem Ascheplatz am Flinger Broich hat sich das Unkraut breit gemacht. An Fußball denkt hier schon lange niemand mehr. 2013 trieb eine Renovierung den finanziell angeschlagenen Fußballverein DJK SC Flingern 08 endgültig in die Insolvenz. Der Spielbetrieb wurde eingestellt. Kein Einzelschicksal: Der SC Flingern ist nur einer von mehr als 200 Vereinen im Westdeutschen Fußballverband, die sich seit 2010 abmelden mussten.

Unvorstellbar, dass es am Flinger Broich so ausgesehen hätte, als Fritz Kuhlmann (81) hier noch Platzwart war. Kuhlmann lehnt am Aluminiumgeländer. Er blickt über den verwaisten Platz. "Alles", sagt er, "alles hat mir der Verein bedeutet." Das ist kein Pathos, weil der 81-Jährige jahrzehntelang auch alles in diesen Verein gesteckt hat: Zeit, Arbeit, Liebe. Obwohl der SC seit knapp vier Jahren Geschichte ist, kommt Kuhlmann noch heute jeden Tag her. "Ich muss doch gucken, ob noch alles da ist", sagt er, dessen Haus direkt neben dem Flinger Broich steht, dessen Zuhause aber stets die Anlage war. Leute wie ihn, ehrenamtliche Helfer, gibt es nicht mehr so häufig. Und während dem DFB die Kuhlmanns ausgehen, verlieren die Amateure Zuschauer und Geld.

Zahl der Amateurvereine droht auf unter 25.000 zu fallen

All das geschieht, während die Bundesliga mehr als drei Milliarden pro Saison umsetzt. Das Fundament des größten Fußballverbands der Welt bröckelt. Dabei ist es gar nicht so lange her, als der deutsche Fußball auf allen Ebenen blühte. Fast 26.700 Vereine gehörten dem DFB in der Spitzenzeit zur Jahrtausendwende an. Heute finden zwar rund 95 Prozent der wöchentlich etwa 80.000 Spiele auf Kreisebene statt, doch abseits des Bundesligabooms droht die Zahl der Amateurvereine auf unter 25.000 zu fallen.

Die hohe Zahl der Abmeldungen und Fusionen mit gesellschaftlichem Wandel zu erklären, ist zu kurz gegriffen. Die Zahl der Mitglieder ist nicht gesunken. Manfred Castor weiß um die Kosten, die ein Verein verursacht. Castor kam 1977 als Kulturwart zum SC Flingern und war dann Vorsitzender und Präsident. "Anfangs hatten wir etwa 60.000 D-Mark Budget", sagt Castor. Zuletzt seien es rund 120.000 Euro pro Jahr gewesen. Platzpflege, Wasserkosten, Ausstattung und ein Klubhaus: Trotz der Zuschüsse der Stadt habe das Geld nicht gereicht. Als die Kosten für den Neubau des Klubhauses um zehn Prozent stiegen, reichte das "um uns als kleinen Verein zu überfordern".

Zehn Jahre, nachdem die Nachbarn DSC Alemannia 02 und DJK Rheinfranken zur DJK SC Flingern fusionierten, meldete sich der Verein 2013 ab. Der bundesweite Bruch im Amateursport aber kam für viele andere Vereine noch früher - laut einer Statistik des Landessportbundes NRW mit der Saison 2009/10. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) hatte 2008 verkündet, dass der Spieltag zerstückelt werde. Samstags sollten zwei Zweitliga-Spiele und ein Bundesliga-Topspiel hinzukommen. Empörung aber lösten vor allem die drei Paarungen der 2. Liga aus, die seither sonntags um 13.30 Uhr angepfiffen werden. Ausgerechnet am Sonntagmittag, stöhnte man in den Amateurvereinen. Ausgerechnet in der Primetime der Amateurspieler wurden die Profis zur Konkurrenz.

Wie folgenreich die neuen Anstoßzeiten sein würden, hatte die DFL dabei sogar antizipiert. Mit der Neuerung sollten finanzielle Entschädigungen für die Amateurvereine einhergehen. Doch Geld allein schießt weder Tore noch füllt es Zuschauersitze. Fans hatten die Wahl zwischen Bundes- und Kreisliga, Amateurspieler zwischen Ascheplatz und Dauerkarte für den Herzensklub. Auch der Masterplan Amateursport kam für viele Vereine zu spät. Die DFB-Kampagne "Unsere Amateure, echte Profis" wurde 2012 beschlossen. Mit seinen Regional- und Landesverbänden wollte der Verband die Förderungswürdigkeit des Amateurfußballs zeigen.

DFB-Vizepräsident Rainer Koch sagt auf Anfrage, dass an der Basis die Seele des Fußballs zu Hause sei. "Daher ist nichts wichtiger für den Fußball in Deutschland, als ein solidarisches Miteinander von Profi- und Amateurfußball." Koch nehme wahr, dass die Stimmung in vielen Vereinen nicht sehr gut und er in ständigem Dialog mit der Amateurfußballbasis sei. "Auch deswegen sind die Förderungen für die Amateurfußballbasis auf 30 Millionen erhöht worden." Laut Koch investiert der DFB indirekt in den Amateursport. Talentprogramme, Weiterbildungen, Aktionen mit dem DFB-Mobil fallen darunter. Von Symbolen aber lässt sich kein Spielbetrieb finanzieren. Die Pläne des DFB, den Ausbau der Talentförderung, wirtschaftliche Hilfestellungen für die Spitzenligen unterhalb der beiden Bundesligen und mehr Weiterbildungsangebote zu schaffen, begrüßt Castor.

"Ehrenamtler müssen lernen, Fördergelder zu beantragen und wirtschaftliches Know-How bekommen", sagt Castor, der heute Kreisgeschäftsführer des Fußballverbandes Niederrhein ist. Er vergleicht die Fußballbasis mit einem Entwicklungsland. Hilfe zur Selbsthilfe in Form von Weiterbildung, in dieser Pflicht sieht er den DFB.

(ball)
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