Sportjournalist Alexei Matwejew "Wir haben es mit einem kriminellen Syndikat zu tun"

Der Sportjournalist Alexei Matwejew (63) ist Autor verschiedener Bücher über dunkle Machenschaften im russischen Sport. Im Interview spricht er über Korruption im Fußball.

 Witalij Mutko, Chef des russischen Fußballverbandes.

Witalij Mutko, Chef des russischen Fußballverbandes.

Foto: dpa, chc htf

Seit mehr als 30 Jahren beobachten Sie den russischen Fußball und zeichnen ein düsteres Bild. Hat sich etwas geändert, seit Russland den Zuschlag für die WM erhielt?

Alexei Matwejew Nicht wirklich. Es geht um viel Geld und eben nicht nur sauberes im Fußball. Die Mafia benutzt den Fußball als Geldwaschanlage, und niemand unternimmt etwas dagegen.

Wie wirkt sich das auf den Sport aus?

Matwejew Er ist korrupt. Schiedsrichter werden bestochen. Man spricht sich vorher ab, wer gewinnen soll. Schiedsrichtern wird das Geld sogar nach Hause gebracht. Niemand nimmt daran Anstoß oder wendet sich an die Polizei. Die Angst der Beteiligten ist zu groß. Denn alle sind auf die eine oder andere Weise eingebunden: Vom Spieler und Trainer über politische Funktionäre bis zu den Vereinsmanagern. Gelegentlich geht es auch "nur" um Absprachen: Nächstes Mal gewinnen wir, ihr seid später wieder dran.

Ist das in Russland bekannt?

Matwejew In den sozialen Medien wird häufig über inszenierte Spiele gesprochen. Aufmerksamen Fans entgeht so etwas nicht. 2016 schoss der Klub Ural Jekaterinburg von vier Toren in einem Spiel drei Eigentore. Er schuldete offensichtlich dem tschetschenischen Verein Terek Grosny einen Sieg. In der Vorsaison wäre Ural aus der ersten Liga fast abgestiegen, konnte aber gegen Terek überraschend gewinnen.

Schiebung, wohin man schaut?

Matwejew Die Gesellschaft ist eher geduldig, sie nimmt das einfach hin. Auch wenn sie der Verlierer ist. Zumindest die Fans in den Stadien werden geprellt. Der Präsident des russischen Fußballverbands Witalij Mutko unternimmt nichts dagegen. Derselbe Mutko, der als Vizepremier für Sport und Jugend eine Doping-Spur hinterlassen hat. Er ist sozusagen der Anführer dieser unlauteren Machenschaften.

...und Vorbild für die Jugend...

Matwejew Der Biathlonkämpfer Alexander Tichonow hatte auf die Dopingaffäre im Wintersport hingewiesen. Er warnte davor, das könnte demnächst alles auffliegen. Mutko war sich jedoch sicher: Nur ein Sturm im Wasserglas! Er glaubt, auch diesmal könne er es aussitzen.

Der ehemalige, in die USA geflohene Chef des Moskauer Anti-Doping Labors, Grigori Rodschenkow, behauptet, die Fußballnationalmannschaft von 2104 sei auch betroffen gewesen.

Matwejew Ich glaube nicht, dass Doping im Fußball weit verbreitet ist. Mittlerweile hat sich jedoch ein Bedrohungsszenario entwickelt: Wenn auch der Fußball betroffen ist, könnte Russland auch die Fußball-WM aberkannt werden. Ich halte das für ziemlich unwahrscheinlich.

Allerdings hat Doping seit der Sowjetunion auch im Fußball Tradition. Walerij Lobanowskij, Trainer von Dynamo Kiew, brachte die Mannschaft in den 1980ern in so eine hervorragende körperliche Verfassung, dass Kiew auch bekannte europäische Vereine besiegte, darunter Bayern München. Ohne Hilfsmittel wäre das nicht denkbar gewesen.

Matwejew Mutko fühlt sich seiner Sache jedenfalls sicher. Er will den Fußball gar nicht säubern. Mit jedem Jahr unter ihm versinkt der Sport weiter im Sumpf.

Gab es schon in der UdSSR Absprachen?

Matwejew Selbstverständlich. Ich möchte den Westen nicht idealisieren. Dergleichen Versuche gab es auch dort. Wenn solche Dinge ruchbar wurden, griffen die Behörden jedoch ein - wie etwa 2006 bei Juventus Turin.

Wodurch unterscheidet sich der russische vom europäischen oder südamerikanischen Fußball?

Matwejew Worauf niemand außerhalb Russlands achtet: Wir haben keinen Profifußball. In der Premier Liga gibt es nur einen privaten Verein, der von einem Milliardär geleitet wird. Das ist Kuban Krasnodar. Die anderen werden aus dem Staatshaushalt oder aus dem Säckel großer Staatsfirmen wie Gazprom bezahlt. Die Finanzierung ist undurchsichtig. Die meisten Vereine zahlen auch keine Steuern. Wenn Spieler verkauft werden, landet das Geld oft auf Privatkonten der Manager. In einem Fall gelang es uns nachzuweisen, dass die Transfersumme auf ein Schweizer Konto umgeleitet wurde. Das erklärt, warum keiner der Beteiligten an diesem System etwas ändern will. Wir haben es mit einem kriminellen Fußballsyndikat zu tun.

Klaus-Helge Donath führte das Gespräch.

(RP)
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