Fans von Ostvereinen Hier leben Mitglieder von Dynamo Dresden, Union Berlin und Co. in NRW

Sich als „Ossis“ zu feiern, gehört für viele Fans von ehemaligen DDR-Klubs zur Folklore. Doch 30 Jahre nach der Wende leben zahlreiche Unterstützer von Dynamo Dresden, Magdeburg, Rostock oder Union Berlin längst im Westen. Wir haben vier Anhänger aus NRW getroffen.

 Eine DDR-Fahne vor dem Magdeburger Fanblock beim Spiel gegen Uerdingen Anfang Oktober.

Eine DDR-Fahne vor dem Magdeburger Fanblock beim Spiel gegen Uerdingen Anfang Oktober.

Foto: imago images/Jörg Schüler/Jörg Schüler via www.imago-images.de

Zu Tausenden hüpften die Fans der SG Dynamo Dresden an diesem kalten Montagabend Mitte Februar durchs Hamburger Volksparkstadion. „Ost! Ost! Ostdeutschland!“, schreien sie im Chor und schwenken ihre Schals und Fahnen.

Das Spiel und ähnliche Vorfälle lösen später eine ergebnislose Debatte darüber aus, wieso viele Fans der ostdeutschen Traditionsvereine auch 30 Jahre nach dem Mauerfall ihre Herkunft und Vergangenheit derart feiern - und gleichzeitig in den Westklubs ein Feindbild sehen. Längst nicht nur in Dresden sieht man bei den Spielen alte DDR-Fahnen mit Hammer und Zirkel im Fanblock, werden „Wessis“ durch Gesänge verunglimpft und „Ostdeutschland“ gefeiert.

Dabei leben mittlerweile allein 1100 Vereinsmitglieder der ehemaligen DDR-Vereine aus Berlin, Dresden, Rostock, Magdeburg, Halle und Chemnitz in Nordrhein-Westfalen. Einst spielten ihre Klubs um Meisterschaften und Pokale mit, brachten Stars wie Ulf Kirsten, Dariusz Wosz oder Michael Ballack hervor. Heute kämpfen sie um den Klassenerhalt in der ersten und zweiten Liga oder spielen längst drittklassig. Wir haben vier Fans getroffen und uns unterhalten: über das Fan-Dasein im Westen, über Wessi-Ossi-Sprüche und über die ausbleibenden Erfolge ihrer Klubs.

Dominik Mayer, 32, Köln, Union Berlin-Fan

 Dominik Mayer, Union Berlin-Fan aus Köln.

Dominik Mayer, Union Berlin-Fan aus Köln.

Foto: Clemens Boisserée

Eigentlich hatte es Dominik Mayers Familie ganz anders geplant: Bayern-Fan sollte der Junge werden. Im Alter von fünf Jahren war er mit den Eltern aus Berlin nach Süddeutschland gezogen, der Onkel schenkte ihm die Vereinsmitgliedschaft und die erste Dauerkarte für den Rekordmeister. Es folgten Siege und Meisterschaften – doch gleichzeitig distanzierte sich Mayer vom für ihn auserwählten Klub. „Die Bayern wurden mir unsympathisch. 2004 habe ich im Meisterkampf schon Bremen die Daumen gedrückt“, erzählt Mayer. Zu diesem Zeitpunkt hatte der heute 32-Jährige längst sein erstes Spiel bei jenem Klub gesehen, dem er heute noch anhängt: bei Union Berlin im Stadion an der Alten Försterei.

Der Klub aus dem Ost-Berliner Stadtteil Köpenick spielt aktuell die erste Bundesliga-Saison der Vereinsgeschichte. Den einzigen Titelgewinn aber konnte Union als DDR-Klub feiern: den FDGB-Pokal 1968. Im wiedervereinten Deutschland machten die „Eisernen“ vor allem durch den Einzug ins DFB-Pokalfinale 2001 (0:2 gegen Schalke) auf sich aufmerksam.

Auch Dominik Mayer fand durch dieses Spiel den Weg zu Union. In der Zweitliga-Saison 2002 sah er sein erstes Heimspiel, ein 3:1 gegen Mainz 05. „Das war für lange Zeit auch der einzige Sieg, den ich gesehen habe“, erinnert sich Mayer. Erst 2016 zog es ihn zurück an die Alte Försterei, seither aber „habe ich mich etwas reingesteigert.“ Mayer wohnt mittlerweile in Köln und fährt von hier aus regelmäßig zu Heim- vor allem aber zu Auswärtsspielen.  Dabei hat man es mit dem Union-Fansein im „Fußballland“ NRW schwer. Kaum mehr als 200 der über 32.000 Berliner Vereinsmitglieder leben hier. „Endlich hört mir mal jemand zu, wenn ich über Union spreche“, sagt Mayer im Gespräch.

Aber wieso überhaupt Union? „Mir ist sportlicher Erfolg nicht so wichtig. Mir geht es um das Engagement eines Vereins und seiner Fans, damit kann ich mich bei Union identifizieren.“

Fernando Hayn, 56, Ratingen, Dynamo Dresden-Fan

 Fernando Hayn,Dynamo Dresden-Fan aus Ratingen.

Fernando Hayn,Dynamo Dresden-Fan aus Ratingen.

Foto: Clemens Boisserée

So schön habe ich noch nie gewohnt“, sagt Fernando Hayn, während er aus dem 13. Stock seiner Hochhaus-Wohnung in Richtung Düsseldorf blickt. Der gebürtiger Görlitzer (Sachsen) hat es sich in Ratingen gemütlich gemacht und gemütlich bedeutet in Hayns Fall: Alles in seiner Wohnung ist gelb und schwarz gefärbt, in den Farben von Dynamo Dresden. „Nur einen passenden Wäscheständer habe ich noch nicht gefunden.“

Vor neun Jahren kam der heute 56-Jährige nach NRW – der Arbeit wegen. Als Fernkraftfahrer ist Hayn fünf Tage die Woche unterwegs, doch am Wochenende sitzt er in Ratingen zwischen Fortunen, Gladbachern und Köln-Fans und fiebert mit seinem Heimatklub. „Da fällt schon mal der eine oder andere Spruch, vor allem jetzt, wo die alle Bundesliga spielen“, sagt Hayn. „Aber im Grunde habe ich sie mittlerweile auch alle angesteckt, die fiebern mit mir, wenn Dynamo spielt.“

Der achtmalige DDR-Meister ist mit knapp 23.000 Mitgliedern hinter Union Berlin der zweitgrößte Fußballverein der neuen Bundesländer.  Alleine 450 davon leben in NRW, die meisten in Köln und Düsseldorf. „Ich kenne ein paar andere Dynamo-Fans hier, aber ich gehe auch gerne mit Fans von anderen Vereinen ein Bierchen trinken“, sagt Hayn.  Dabei sind gerade die Dresdener Anhänger dafür bekannt, Vereine aus dem Westen und deren Fans als „Wessischweine“ zu verunglimpfen und sich selbst durch „Ostdeutschland“-Rufe zu feiern. Eine Inszenierung, zu der Hayn eine klare Meinung hat: „Mir geht dieses Gemecker im Osten auf den Wecker. Die meisten kennen doch den Westen gar nicht.“

Er selbst ging nach der Wende zuerst nach Heilbronn, später an die Nordseeküste und schließlich nach NRW. Zum Fußball brachte ihn zuvor sein Vater, der nahm in mit ins Dresdener Stadion. Seither ist der Klub die größte Konstante in seinem Leben. „Für Dynamo mache ich alles“, sagt Hayn. Zum Beispiel im Smart ins Trainingslager nach Spanien fahren oder seinen Fahrplan den Spielen in der Nachbarschaft anzupassen. „Mein Lieblingsstadion ist das Düsseldorfer. Dank meines Chefs verpasse ich da kein Dynamo-Spiel.“

 Der FCM-Fanklub „Supporters NRW“ mit seinem Vorsitzenden Martin Barby (links).

Der FCM-Fanklub „Supporters NRW“ mit seinem Vorsitzenden Martin Barby (links).

Foto: Privat

Martin Barby, 36, Düren, 1. FC Magdeburg-Fan

Bad Honnef, Iserlohn, Oberhausen oder Münster – nicht unbedingt Städte, in denen man Fans des 1. FC Magdeburg vermutet. Doch durch den Fanklub „FCM Supporters NRW“ ist der Drittligist quer durch NRW vertreten. Allen voran durch Martin Barby, 36 Jahre alt, Vorsitzender des Klubs, Dauerkarteninhaber und wohnhaft in Düren. „Bei uns in der Ecke gibt es Gladbacher, Kölner, Aachener und Dortmunder, da ist Fußball ständig Thema und wir sind die Exoten.“

Tatsächlich leben gerade mal 118 Vereinsmitglieder des dreimaligen DDR-Meisters und Europapokalsiegers von 1974 in Nordrhein-Westfalen. Der Fanklub zählt 24 Mitglieder. „Wir haben uns über Facebook kennen gelernt und im Dezember 2016 gegründet“, erzählt Barby. Seither besucht man gemeinsam die FCM-Spiele in der Umgebung: in Köln, Paderborn oder Duisburg. „Drei bis vier Auswärtsspiele pro Saison sind schon drin, da spielt die Liga auch keine Rolle“, sagt Barby.

Ohnehin ist Erfolg so eine Sache beim Klub, dessen Anhänger sich selbst als die „Größten der Welt“ bezeichnen. Nach einem Jahr Zweitklassigkeit sind die Sachsen-Anhalter zurück in Liga drei. Für Barby ist das kein Problem, er kennt noch schwierigere Zeiten Anfang des Jahrtausends, als der FCM bis in die Viertklassigkeit abrutschte. „Aber die Kinder sind jetzt in der Grundschule, die tun sich da schon schwerer.“ Trotz blau-weißer Zimmerwand mit FCM-Vereinswappen „tendieren die beiden momentan in Richtung Schalke und Köln“, sagt Barby.

Er selbst hat seine Leidenschaft für den 1. FC Magdeburg während seiner Kindheit in der Landeshauptstadt entdeckt. Über die Bundeswehr kam er jedoch nach NRW und wurde hier später Polizist. Seine Frau hingegen kommt aus Oldenburg – doch auch sie ist mittlerweile Mitglied und Dauerkarten-Besitzerin in Magdeburg. „Wenn im Stadion gegen Wessis gepöbelt wird, singe ich nicht mit. Meine Frau kommt aus dem Westen, wir haben Spieler und Trainer die aus den alten Bundesländern kommen. Wenn andere gegen Westdeutschland singen wollen, okay, aber ich mache da nicht mit.“

 Steffen Nass, Hansa Rostock-Fan aus Essen.

Steffen Nass, Hansa Rostock-Fan aus Essen.

Foto: Privat

Steffen Nass, 30, Essen, Hansa Rostock-Fan

Im Ruhrgebiet, ohne familiären Bezug zur Ostsee zum Rostock-Fan zu werden, kann eigentlich nur dem Zufall geschuldet sein. So wie bei Steffen Nass. Der gebürtige Essener wuchs in einer Familie voller Schalke-Fans auf. „Jedes Jahr gab‘s das neuste Trikot für mich“. Doch als Nass als kleiner Junge seine Schwester zu einem Schwimmturnier in Duisburg begleiten sollte, spielte nebenan, im Wedaustadion, der MSV gegen Hansa. Kurzentschlossen bogen Vater und Sohn in Richtung Stadion ab – und wenig später war es um den jungen Nass geschehen. Seither verfolgt der heute 30-Jährige die Spiele der „Kogge“ – auch heute noch hin und wieder im Stadion. „Der Wessi ist auch mal wieder dabei“, bekommt er dann von seinen Kumpels zu hören. „In diesem Kreis bin ich der Wahl-Ossi“,  sagt Nass.

Über 270 Mitglieder zählt der FC Hansa in Nordrhein-Westfalen, damit stellen die Rostocker die zweitgrößte Fanschar der ehemaligen DDR-Vereine hier zu Lande. Doch ein Großteil stammt ursprünglich aus der Rostocker Region: aus Mecklenburg oder Vorpommern. So auch die Begleiter von Nass, die heute im Ruhrgebiet leben und von dort noch immer zu jedem Spiel der Rostocker fahren. Zu Bundesliga-Zeiten Anfang des Jahrtausends reiste auch Nass als Jugendlicher noch für jedes Spiel durch die Republik, heute hält der Jurist es ruhiger: „Für mich sorgt die Entfernung heute dafür, dass jedes Hansa-Spiel im Stadion etwas Besonderes ist.“

Die Ost-West-Rivalität erlebt er im Hansa-Block als „absolut gegeben“. „Der Stolz, Ossi zu sein, ist sehr ausgeprägt und spielt für viele Hansa-Fans noch immer eine große Rolle“, sagt Nass. Wieso das so ist? „Vielleicht, weil man lange als einziger Bundesligist aus den neuen Bundesländern den Ossi-Stempel aufgedrückt bekommen hat.“ Vor ihm selbst macht die vermeintliche Folklore ebenfalls keinen Halt: „Im Eifer des Gefechts singe ich im Stadion auch mal Lieder gegen die Westvereine mit, bei denen ich gleichzeitig denke: Das macht gerade gar keinen Sinn.“

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