Nach tragischem Sturz auf der Skipiste Wie das künstliche Koma Michael Schumacher helfen soll
Düsseldorf · Vor mehr als zwei Wochen wurde Michael Schumacher in diese spezielle Form der Narkose versetzt. Die Medizinprofessoren Benedikt Pannen und Hans-Jakob Steiger kennen das Verfahren genau. Beide haben in der Düsseldorfer Universitätsklinik den Patienten Samuel Koch behandelt.
Nach dem Ski-Unfall von Michael Schumacher ist im Universitätsklinikum von Grenoble die Eiszeit der Kommunikation angebrochen. Sie ist vermutlich der einzig erträgliche Zustand für Mediziner, die lieber am Patientenbett als in Pressekonferenzen tätig werden. Die Weltöffentlichkeit hat sich — Schumachers Zustand ist unverändert — längst im Zustand des Wartens eingerichtet, den sie für die Bewusstwerdung medizinischer Vorgänge nutzt. Selbst komplexe Verfahren wie die Einleitung eines künstlichen Komas, die Öffnung der Schädeldecke, die Entfernung von Hämatomen, die Senkung des Gehirndrucks und die therapeutische Kühlung scheinen wie Alltagsthemen, mit denen jeder jongliert.
Benedikt Pannen und Hans-Jakob Steiger haben dazu ihre eigene Meinung. Die Medizinprofessoren der Düsseldorfer Universitätsklinik mussten im Fall des bei seiner TV-Wette verunglückten Samuel Koch im eigenen Haus erleben, wie schwer die Nachfrage nach Updates zum Zustand eines Patienten zu befriedigen ist. Pannen, Chef der Klinik für Anästhesiologie, empfindet es als "ethisch fragwürdig", wie der Gesundheitszustand Schumachers zur medialen Ware verkommt. Auch Neurochirurg Steiger möchte sich bedeckt halten und keinen Kommentar zu Schumacher abgeben.
Wahrscheinlichkeit einer Zweitinfektion steigt
Gleichwohl ahnen beide, dass die Lage in Grenoble schwierig ist. Das hat auch damit zu tun, dass das künstliche Koma (das Mediziner "Sedierung" oder "Langzeit-Narkose" nennen) bei Schumacher immer noch aufrechterhalten wird, nun in der dritten Woche. "Je länger dieser Zustand andauert", weiß Steiger, "desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Zweitinfektion kommt." Entzündungen der Lunge, der Bauchspeicheldrüse oder anderer Organe drohen.
Beide wissen auch, dass das angeblich lebenswichtige Manöver einer tiefen Narkose mit gleichzeitiger Abkühlung des Patienten unter die Körperkerntemperatur kritische Seiten hat. "Es gibt keine Beweise, dass diese Hypothermie einen langfristig positiven Effekt hat", sagt Pannen. Zwar werde der Stoffwechsel in Körper und Gehirn verlangsamt, der Sauerstoffbedarf sinke, "aber wie nützlich das für den Patienten ist, dazu gibt es keine sichere Datenlage". Steiger geht sogar so weit zu sagen: "Das ,künstliche Koma' ist mit seiner hypothermischen Komponente eine Verzweiflungstat der Medizin. Aus den internationalen Leitlinien ist sie deshalb auch wieder verbannt worden."
Über eisgekühlte Infusionen, die über einen Katheter in eine Vene gegeben werden, lässt sich die Herunterkühlung des Körpers kontrollieren. Pannen: "Aber die Hypothermie hemmt auch die Gerinnung und kann so eine Blutungsneigung begünstigen, die gerade bei schweren Hirnverletzungen nicht erwünscht sein kann." Zugleich hat die Senkung des hohen Drucks absolute Priorität; sie ist wichtig, weil bei einem anschwellenden Gehirn der arterielle Zustrom und der venöse Abfluss von Blut behindert sind. Außerdem erhöht die Hypothermie, wie gesagt, die Infektanfälligkeit, sie unterdrückt die Arbeit des Immunsystems. Pannen: "Dann kann es zu einer schweren generalisierten Entzündungsreaktion, einer Sepsis, kommen, etwa als Folge einer Lungenentzündung." Im Zustand einer Bewusstseinstrübung, die bei Schumacher rasch eingetreten ist, kann es wegen der fehlenden Schutzreflexe passieren, dass Mageninhalt oder Fremdkörper in die Lunge geraten und Schäden oder Infektionen verursachen.
Das Aufwachen ist am schwierigsten
Das künstliche Koma, das nicht nur bei schweren Schädel-Hirn-Traumata angewendet wird, ist nicht allzu schwierig einzuleiten, kompliziert kann es dagegen werden, es geplant zu verlassen. Es gibt keine Regel, wie lange man es aufrechterhalten sollte. Generalformel: So kurz wie möglich, so lange wie nötig — um Schmerzen auszuschalten und den Patienten zu entlasten. Sicher ist, dass Patienten das Aufwachen unterschiedlich erleben: Der eine ist "durchgängig" (alte Formulierung für das Delir, das eine Art Verwirrung meint), der andere empfindet den Tubus im Hals als störenden Fremdkörper, wieder ein anderer ist bald hellwach. Manche Patienten berichten von filmischen Erinnerungen. Viele haben vergessen, was zwischenzeitlich passiert ist. Andere werden, bei schweren Grunderkrankungen, auch gar nicht mehr wach und bleiben im Wach-Koma oder im Locked-in-Syndrom.
Das Wort "Koma" hat für den Normalbürger eine bedrohliche Dimension; Ärzte gehen mit ihm differenziert um. Anders als beim Koma, in das ein Mensch durch verschiedene Krankheiten fällt, können sie die Narkosetiefe beim künstlichen Koma steuern. "Wir verwenden ja dieselben Schmerz- und Schlafmedikamente wie bei einer normalen Allgemeinanästhesie", weiß Pannen, und nicht selten ist es sinnvoll, einen Patienten zwischendurch auch kurz wieder aufwachen zu lassen, damit sich die Ärzte ein Bild von seinen Vitalfunktionen machen können. Beispielsweise: Atmet er selbstständig? Wie sind seine Reflexe? Bei Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma sind die Mediziner bestrebt, diese Sonderform der Narkose vor allem dann zu beenden, wenn der Hirndruck auf ein normales Maß gesunken ist.
Der Patient bekommt von dieser Behandlung nichts mit, obwohl es immer wieder Hinweise darauf gibt, dass er etwa auf Berührungen oder vertraute Stimmen reagiert, etwa durch einen Anstieg des Blutdrucks. "Wenn ich bei einem sedierten Patienten am Bett stehe, sage ich ihm immer, was ich mit ihm mache", berichtet Pannen. "Ich weiß ja nicht, ob er mich nicht vielleicht doch schon wieder hört. Das Trommelfell ist — wenn man das so sagen möchte — das sensibelste Stück Haut des menschlichen Körpers. Deshalb können Stimmen oder Töne den Menschen so berühren, auch oder gerade wenn er aus dem Koma erwacht." Steiger warnt allerdings vor übertriebenen Hoffnungen; das EEG (elektrische Enzephalografie) gebe genau Auskunft über die Aktivität des Gehirns: "Je näher das EEG der Nulllinie kommt, desto geringer nimmt das Gehirn etwas wahr."
Was Schumacher derzeit von seiner Umgebung mitbekommt, weiß kein Mensch. Auch seine Ärzte können nicht mehr sagen, als dass sich sein Zustand irgendwo zwischen "stabil" und "Lebensgefahr" eingependelt hat. Je länger sie schweigen, desto unsicherer wird die Lage. Zuversicht sieht anders aus.