Unikat Kurt Ahrens Der Mann, der lieber Schrottbagger fuhr als Formel-1-Autos

Kurt Ahrens zählte in den 60er-Jahren zur Weltspitze des Motorsports. Doch in der Formel 1 zu fahren lehnte er ab. Zunächst wegen seiner Familie und seiner Arbeit auf dem heimischen Schrottplatz. Später kam ein gewichtiger weiterer Grund hinzu.

 Kurt Ahrens war Amateur aus Leidenschaft und schraubte am Liebsten auch selbst an seinem Auto herum – selbst, als er zwischen 1968 und 1970 hochoffiziell zu den besten 25 Rennfahrern der Welt zählte.

Kurt Ahrens war Amateur aus Leidenschaft und schraubte am Liebsten auch selbst an seinem Auto herum – selbst, als er zwischen 1968 und 1970 hochoffiziell zu den besten 25 Rennfahrern der Welt zählte.

Foto: via Delius Klasing/Braunschweiger Zeitung

Motorsport-Fans sollten diesen Text nicht lesen, sondern das Buch, ohne das er nie zustande gekommen wäre. Dieser Artikel ist für alle anderen. Für die, die mit Rennsport nichts am Hut haben, die – wenn überhaupt – mal von Jochen Rindt gehört haben, der nach einem tödlichen Unfall als Einziger postum Formel-1-Weltmeister wurde. Oder von Graham Hill, dem Einzigen, der je die drei prestigeträchtigsten Rennen überhaupt („Triple Crown“) gewann, den Grand Prix von Monaco, die Indy 500, die 24 Stunden von Le Mans. Die Geschichte des längst vergessenen Kurt Ahrens (82) aber ist ebenso einzigartig – und noch erstaunlicher.

Dieser Bursche aus Braunschweig nämlich fuhr gegen die Recken, die teils Freunde waren wie Rindt oder Vorbilder wie Wolfgang Graf Berghe von Trips. Er betrieb, was man im Rückblick als Extremsport bezeichnen muss, auf demselben Level. Und weigerte sich doch stets, sich dafür bezahlen zu lassen. Lange war Ahrens vor allem seine Freiheit wichtiger, dazu sein Job auf dem Schrottplatz seines Vaters sowie Ehefrau Reni und die gemeinsamen Kinder. Ab dem 6. April 1970 dann kam noch ein ganz anderer Grund dazu, aber dazu später.

Dass Ahrens zu den besten Rennfahrern der Welt zählte, ist harter Fakt. Der Automobilweltverband FIA führte Ahrens ab 1968 bis zu seinem Karriereende ganz offiziell als „Weltklassefahrer“ – einen der 25 Besten des Planeten. Obwohl er praktisch nie trainierte, weil er erst zum Rennen anreiste und kurz danach schon wieder fuhr, um am Montagmorgen im Schrottplatz-Bagger sitzen zu können. Und obwohl er, anders als auf dem Top-Niveau schon damals üblich, kein Techniker-Quartett an seiner Seite hatte, sondern bloß seinen Kumpel Hansi. Der war zwar Kfz-Meister, aber kein Renn-Experte – und kam ohnehin eher selten zum Zug, weil Ahrens selbst so gut und gern schraubte.

Wie errang so einer mehr als 70 Rennsiege in halb Europa, darunter drei an einem einzigen Tag? Wie ging das, in den unterschiedlichsten Rennserien und Autos, die teils Ahrens selbst gehörten und teils den Werksteams von Porsche oder BMW, Mercedes, Ford oder Abarth?

Die Antwort liefert Ahrens‘ guter alter Bekannter und einstiger Gelegenheits-Copilot Eckhard Schimpf in seinem Buch „Einer dieser verwegenen Kerle“. Es ist kein unlesbarer Wälzer als Freundschaftsdienst; dem Thema angemessen geht es mit Vollgas voran. Knackige Kapitel mit vielen Fotos entführen einen geradezu in die Zeit, die ein Jahrhundert her zu sein scheint. „Anfang der 60er-Jahre saßen die Piloten teilweise noch im Lacoste-Polohemd im Cockpit“, berichtet Ahrens etwa. „Jochen Rindt sehe ich noch vor mir – in Monaco 1963 – in einem kurzärmeligen, flatternden rosa Sporthemd. Anschnallgurte gab es nicht. Ebenso wenig feuerfeste Overalls oder Vollvisiere.“ An den Streckenrändern gab es noch keine Auslaufzonen, meist nicht einmal Leitplanken, stattdessen Bäume, Böschungen oder Betonmauern. Und in den Autos nur völlig ungesicherte Benzintanks.

Ahrens‘ Laufbahn begann 1958, als ihm sein motorsportverrückter Vater einen kleinen Cooper-Norton-Rennwagen schenkte. Schimpf berichtet: „Zwei Wochen nach seinem 18. Geburtstag gab Kurt junior – ohne jemals trainiert zu haben – sein Debüt im Motorsport. ‚Fahr einfach hinter mir her‘, empfahl der Vater. Der Sohn gehorchte und wurde Zweiter. Beim nächsten Start, dem Leipziger Stadtparkrennen, nutzte der Sohn clever eine Lücke, zog am Vater und den anderen vorbei und gewann.“ Der erste Sieg im zweiten Rennen – mehr Naturtalent geht nicht.

Jahrelang fuhren Vater und Sohn in derselben Klasse, zunächst der Formel 3 und dann in der neu eingeführten Formel Junior. Dann überredete der Sohn den draufgängerischen Patriarchen nach dem x-ten nur mit viel Glück überstandenen Unfall zum Schlussmachen.

1961 und 1963 wurde „Kurti“ Deutscher Meister in der Formel Junior, 1965 und 1967 in der Formel 3. Ab 1964 trat er zusätzlich in der höherklassigen Formel 2 an – zumindest in den Rennen, von denen aus er so schnell nach Hause kam, dass er am Montagmorgen um sieben, allerspätestens acht Uhr zurück im Dienst auf dem väterlichen Schrottplatz war. Apropos Schrott: Seine Autos zerlegte er äußerst selten. Dennoch kam er in 60 Prozent seiner Formel-2-Rennen nicht ins Ziel – Folge seiner Do-it-yourself-Mentalität in der Werkstatt.

Nicht nur die Fachjournalisten etwa von „Auto, Motor und Sport“ wollten Ahrens in der Formel 1 sehen, auch mehrere Teamchefs lockten ihn. Ein einziges Rennen bestritt er in der Königsklasse, für den dreifachen Weltmeister Jack Brabham: Den Großen Preis von Deutschland 1968 beendete Ahrens aus dem Stand auf Platz 12. Doch seine Freiheit war ihm wichtiger als die Formel 1: „Ich will nicht, dass andere bestimmen, was ich machen soll.“

In jenem Jahr ließ er sich dennoch für Porsche verpflichten – unter der Bedingung, nicht bezahlt zu werden. Das kam Ferdinand Piëch gut gelegen, der mehr Geld in das Werksteam des damals kleinen Sportwagenbauers steckte, als den Entscheidern dort lieb war. Den Profi-Amateur Ahrens adelte der strenge Piëch mit den für seine Verhältnisse liebevollen Worten: „Klein, leicht, bescheiden und zuverlässig schnell. Macht nichts kaputt.“ Den Modellen 908/3 und vor allem dem anfangs ungemein biestigen 917 verhalf Ahrens zum Durchbruch.

Das war auch deshalb erstaunlich, weil er keine zwei Monate vor dem Triumph beim 1000-Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring 1970 mit einem Prototyp des Porsche Le-Mans-Langheck 917 einen derart heftigen Unfall hatte, dass die Wrackteile über 400 Meter verteilt wurden. Ahrens überlebte mit nur einem Schuh, aber unverletzt. Dieses Wunder ereignete sich auf der Teststrecke in Ehra-Lessien – klingt nach Frankreich, ist aber in Niedersachsen, gleich neben Ahrens‘ Wohnort Barwedel in der Lüneburger Heide. Ein plötzlicher Regenguss war Schuld, bei profillosen Reifen und einem Tempo von, Zitat Kurt Ahrens, „vielleicht 270 bis 290. Keinesfalls Top-Speed.“ Der lag bei 400.

Im April 1970 überlebte Kurt Ahrens diesen Unfall auf der Teststrecke in Ehra-Lessien. Die Wrackteile seines Porsche 917 Langheck lagen über mehrere hundert Meter verteilt.

Im April 1970 überlebte Kurt Ahrens diesen Unfall auf der Teststrecke in Ehra-Lessien. Die Wrackteile seines Porsche 917 Langheck lagen über mehrere hundert Meter verteilt.

Foto: via Delius Klasing/Porsche

Bereits 1967 hatte er einen schlimmen Massenunfall überlebt. Der Legende zufolge scherzte er darüber mit seiner Frau, die bereits das Schlimmste befürchtet hatte, stieg mit ihr in seinen Mercedes Richtung Heimat – und merkte erst bei einem Tankstopp, dass sein Ledersitz blutverschmiert war. „Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich eine tiefe Fleischwunde am Oberschenkel hatte.“

In einem Interview mit Schimpf erinnert sich Ahrens an Brechreiz und Reifenplatzer bei Tempo 270, an in aufgeschnittenen Baguettes verstecktes verbotenes Werkzeug und Momente, in denen er den wilden Porsche 917 im Zaum zu halten versuchte, mitten im 24-Stunden-Rennen von Le Mans, „nachts mit 370 die Gerade runter. Vielleicht auch noch bei Nebelschwaden an Autos vorbei, die nur 270 liefen.“ Immer Piëchs Worte im Ohr: „Herr Ahrens, einen Rückspiegel brauchen Sie nicht. Ein 917 wird nicht überholt.“

Ende 1970 spürt Ahrens zu viel Druck und zu wenig Freude am Fahren. Er hat zu wenig Zeit für die Familie, und einige tödliche Unfälle zu viel gesehen. So spricht er als erst 30-Jähriger: „Ich hatte Freude, ich hatte Erfolg, und ich habe überlebt. Es soll nun gut sein.“ Und bleibt dabei. Ein Rennen allerdings fährt er danach doch noch, 1971 im tschechischen Brno. Aber nur, um ein gewisses Ehepaar zu treffen, das in Dresden lebt und den Ostblock nicht verlassen darf. Die Eltern seiner Frau Reni, die er einst am Tag seines ersten Sieges getroffen hatte.

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