Jetzt wird auch das Jubeln verboten Wie der deutsche Rennleiter der Formel 1 die Emotionen nimmt

Düsseldorf/Melbourne · Der deutsche Rennleiter Niels Wittich hat es nicht geschafft, Ruhe in das chaotische Regelwesen der Formel 1 zu bringen. Eher im Gegenteil. Ohne Not hat er jetzt auch noch das Jubeln am Zaun der Boxenmauer verboten.

Ab sofort verboten: Das Jubeln auf der Boxenmauer wird unter Strafe gestellt.

Ab sofort verboten: Das Jubeln auf der Boxenmauer wird unter Strafe gestellt.

Foto: dpa/Uncredited

Am Wochenende gastiert die Formel 1 in Melbourne. 2019, als der Australien Grand Prix noch den Saisonauftakt ausrichtete, wurde das Rennwochenende vom Tod des langjährigen Rennleiters Charlie Whiting überschattet. Er starb vor dem ersten Freien Training einer Lungenembolie. Und noch heute spürt man die Abwesenheit des beliebten Briten.

Schließlich herrscht auf seiner Position seither Chaos. Whitings Assistent Michael Masi wurde zum Nachfolger bestimmt, war mit dieser Aufgabe jedoch schlichtweg überfordert. Man erinnere sich an das Zwei-Runden-Regenrennen von Belgien 2021, den Strafenbasar von Saudi-Arabien ein paar Rennen später, als über den Teamfunk mit Red Bull verhandelt wurde, auf welchem Platz Max Verstappen nach einem illegalen Überholmanöver den Restart angehen darf, und dem Skandalfinale von Abu Dhabi mit dem chaotischen Restartprozedere, das im Titelgewinn Verstappens endete. Vor allem Mercedes-Teamchef Toto Wolff machte damals seinem Ärger Luft. Masi musste gehen, doch gelöst ist seitdem nichts.

In der vergangenen Saison teilten sich der Deutsche Niels Wittich und Eduardo Freitag Masis Position, was es aber bei weitem nicht besser machte: Gegen das damals neue Schmuckverbot lehnten sich die Fahrer auf. Durch die eigenwillige Interpretation der Punktevergabe wusste nach dem Rennen in Japan nicht einmal Max Verstappen selbst, dass er den Titel gewonnen hatte.

Mittlerweile macht Wittich den Job alleine, aber auch nicht besser. Von nun an ist das Jubeln auf dem Zaun der Boxenmauer bei Rennsiegen und ähnlichem verboten. Aus Sicherheitsgründen, wie es in den Event Notes heißt, die vor Beginn eines Rennwochenendes veröffentlicht werden und unter anderem auf Regelanpassungen hinweisen. Die Teamchefs zeigten sich über diese Entscheidung verwundert. Plötzlich soll zu unsicher sein, was über Jahrzehnte hinweg nie ein Problem war. Niemals hat es eine Szene gegeben, bei der auch nur annähernd etwas hätte passieren können. Stattdessen nimmt man dem Sport eine der wenigen Möglichkeiten, irgendwie Emotionen über den Bildschirm transportieren zu können.

Und genau das will die Formel 1 eigentlich. Nicht umsonst gibt es mittlerweile eine Netflix-Dokumentation, die die Profile der Fahrer schärft, Spannungsmomente schafft und in die Saison tragen will. Nicht umsonst erscheinen die neuen Staffeln jeweils kurz vor Saisonstart. Damit der Netflix-Zuschauer, der sich bisher nicht für den Sport interessiert hat, im Livesport beobachtet, wie sich der jeweilige Konflikt weiterspinnt.

Da hilft es erst recht nicht, wenn Fia-Boss Mohammed Ben Sulayem auch noch jegliche Meinungsäußerungen von Formel-1-Piloten verbietet. Die Formel 1 ist eine der wenigen Sportarten, in der sich die so oft gewünschten „Typen“ tatsächlich sammeln: Mit Schmuck-, Meinungs- und Kleidungsver- und geboten werden die gerade geschliffenen Typen wieder vereinheitlicht und so Marketingpotenziale vernichtet, anstatt sie weiter zu erschließen.

Dabei gibt es genug sicherheitsrelevante Themen, mit denen sich schlichtweg niemand befasst. Zum Beispiel in Trainings und Qualifyings, wenn Autos auf schnellen Runden mit Fullspeed durch ein Meer von fast stehenden Autos vorbeirasen, die sich gerade auf ihre schnellen Runden vorbereiten. Das hat auch in den ersten beiden Trainings in Melbourne wieder einmal für einige gefährliche Szenen gesorgt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es in einer solchen Szene zu einem schweren Unfall kommt. Zumal es nun in Melbourne auch noch einen Systemfehler gab, der dafür sorgte, dass die Teams ihre Fahrer nicht über die Position der anderen Piloten informieren konnten. Immerhin wurde das Training aus Sicherheitsgründen für neun Minuten unterbrochen.

Hinzu kommt, dass die Stewarts die Regeln offenbar nicht ausreichend kennen. Dies konnte man in Dschidda beobachten. Fernando Alonso hatte mit seinem Auto die äußere Linie der Startbox berührt – ein Vergehen, bei dem es ja auch wirklich wichtig ist, es zu bestrafen. Beim Absitzen der Strafe berührte ein Mechaniker das Auto, was dann nach dem Rennen zu einer weiteren Strafe führte und dann wieder zurückgenommen wurde. Wittich und Co. haben erneut keine gute Figur abgegeben. Zumal Esteban Ocon beim Auftakt in Bahrain für das identische Vorgehen der Mechaniker beim Absitzen einer Startboxstrafe zusätzlich sanktioniert wurde.

Die Formel 1 selbst setzt aber noch einen oben drauf: F1-CEO Stefano Domenicali will nun die Anzahl der freien Trainings verringern. Schon beim nächsten Rennen in Aserbaidschan soll es es nur noch eine Stunde Training, aber dafür zwei Qualifyings geben. Eins für das Sprintrennen, eins für das Rennen – in wohl jeweils unterschiedlichen Formaten, die in den kommenden Wochen bis dahin erörtert werden sollen. Zudem wird in dieser Saison ein neues Quali-Format getestet, bei dem die jeweiligen Reifenmischungen vorgegeben sind. Welcher Nicht-Nerd soll denn da am Ende noch durchblicken?

Die Formel 1 erweckt den Eindruck, als sei die Saison 2023 schon gelaufen. Angesichts der Red-Bull-Dominanz in diesem Jahr gibt es wohl bis zum Saisonende im November mehr Action neben als auf der Strecke.

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