„War eine Selbstverständlichkeit“ Vettel verteidigt Mercedes-Teamorder

Sotschi · Lewis Hamilton ist seinem fünften WM-Titel auch dank einer umstrittenen Teamorder ganz nahe. Die Rollen bei Mercedes sind klar verteilt. Ausgerechnet der leidtragende Sebastian Vettel kann die Kritik an der Mercedes-Stallorder nicht nachvollziehen

 Sebastian Vettel (vorne) und Lewis Hamilton gönnen sich auf der Siegerehrung einen Schluck Champagner.

Sebastian Vettel (vorne) und Lewis Hamilton gönnen sich auf der Siegerehrung einen Schluck Champagner.

Foto: AFP/ANDREJ ISAKOVIC

Sebastian Vettel hatte genug gehört. Immer wieder hagelten unbequeme Fragen auf die Mercedes-Piloten Lewis Hamilton und Valtteri Bottas ein, sie sollten die umstrittene Teamorder beim Großen Preis von Russland erklären - bis ausgerechnet der leidtragende Ferrari-Star seinen Rivalen mit einem Appell zur Seite sprang.

"Es ist nicht fair und nett, den beiden diese schwierigen Fragen zu stellen", sagte der drittplatzierte Vettel nach dem für ihn wohl entscheidenden Rückschlag im WM-Kampf. Eine Stallorder sei "nicht das, was die Leute sehen wollen. Aber jeder versteht es. Das, was Mercedes getan hat, war in ihrer Situation eine Selbstverständlichkeit."

Großer Preis von Russland 2018: Pressestimmen
13 Bilder

„Hamilton war ein widerwilliger Gewinner“

13 Bilder
Foto: AP/Sergei Grits

Überraschend deutlich stellte sich Vettel nach seiner bitteren Niederlage vor die Konkurrenz, die seine aussichtslos erscheinende Lage im WM-Rennen mit dem unpopulären Manöver doch nochmals verschärft hatte. Durch den Mercedes-Befehl an Bottas, den siegreichen WM-Spitzenreiter Hamilton Mitte des Rennens vorbeizulassen, verlor Vettel weitere sieben Zähler auf den Engländer und liegt nun 50 WM-Punkte zurück.

Dennoch verzichtete er auf Beschwerden. Er haderte nicht mit dem Gegner, verhielt sich fair. Die Botschaft, die Vettel mit seinem klaren Statement sendete, musste dabei auch die Ferrari-Entscheidungsträger aufhorchen lassen: Seht, was mit uneingeschränkter Unterstützung für den aussichtsreichsten Fahrer möglich ist.

Formel 1 2018: Wladimir Putin überreicht Lewis Hamilton die Sotschi-Trophäe
11 Bilder

Putin überreicht Hamilton die Sotschi-Trophäe

11 Bilder
Foto: AP/Sergei Grits

Denn genau diese hat ihm die Scuderia in den vergangenen Wochen und Monaten verwehrt. Dass Vettel fünf Rennen vor Saisonende auf mindestens eine "Nullrunde" (Vettel) Hamiltons setzen muss, ist nicht allein die Schuld des stolzen Teams. Vettels Patzer sind ein Grund für den Rückstand, Taktik-Fehler ein anderer. Doch auch falsche politische Entscheidungen gehören dazu.

Womöglich wäre Vettels Unfall in Hockenheim bei einer klaren Stallorder zugunsten des Heppenheimers ausgeblieben. Im Qualifying von Monza fehlte ihm der Windschatten seines namhaften Teamkollegen Kimi Räikkönen, am Start in Italien fuhr der Finne dann Kampflinie gegen Vettel. Wie viele Punkte der Deutsche deshalb wirklich verlor, ist Spekulation. Dennoch dürfte er in Russland etwas neidisch auf Hamiltons Situation geblickt haben.

Der Brite hätte unter normalen Umständen nicht seinen dritten Sieg nacheinander gefeiert. Vettel zeigte zwar Verständnis, grundsätzlich blieb die Kritik an den Silberpfeilen aber nicht aus.

Mercedes habe in einem "giftigen" Grand Prix "ungerecht" gehandelt, schrieb der Corriere dello Sport: "Ein Pilot sollte nur dann begünstigt werden, wenn es wirklich notwendig ist. In Sotschi war es nicht notwendig." Das sah auch die L'Equipe so. "Dieser Sieg hinterlässt einen eigenartigen Geschmack", schrieben die Franzosen. Die englische Daily Mail kommentierte, Mercedes habe seine "Prinzipien auf dem Altar des Pragmatismus geopfert", äußerte aber Verständnis für die Entscheidung.

Motorsportchef Toto Wolff verteidigte sich. "Wenn am Saisonende fünf Punkte fehlen oder drei, dann bist du der größte Idiot des Planeten, wenn du Valtteris Einzelergebnis in Sotschi über die WM gestellt hast", sagte Wolff.

Für Vettel zählen nun mehr denn je Siege. Beim Großen Preis von Japan am kommenden Sonntag braucht er die Maximalausbeute. "Wir müssen jedes Rennen zehn Punkte aufholen, oder noch ein bisschen mehr", sagte Vettel: "Das ist ein großer Brocken, aber nicht unmöglich. In der aktuellen Form von Mercedes wird es schwer."

Die volle Rückendeckung für Hamilton macht die Aufholjagd nicht einfacher.

(old/sid)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort