„Karl der Große“ Leclerc mausert sich zum neuen Dominator der Formel 1

Melbourne · Ferrari schockt die Formel-1-Konkurrenz. Nach mageren Jahren könnte Charles Leclerc die Scuderia zum ersten Fahrertitel seit 2007 führen. Vor 15 Jahren machte Kimi Räikkönen die Italiener stolz. Der Weg bis zu einer Wiederholung ist aber noch sehr lang.

 Charles Leclerc.

Charles Leclerc.

Foto: AP/Asanka Brendon Ratnayake

Es ist nicht so, dass Charles Leclerc dieses Gefühl gar nicht kennt. Natürlich habe er schon einmal eine Meisterschaft angeführt. „Aber in den Nachwuchsklassen“, sagte der neue Dominator der Formel 1 nach seinem zweiten Saisonsieg in Australien. Dass er nach drei Rennen 34 Punkte vor dem Zweitplatzierten George Russell von Mercedes und sogar 46 Zähler vor dem glücklosen Weltmeister Max Verstappen liegt, ist aber dann doch eine neue Situation - und bringt ihn in die Pole Position für etwas ganz Großes. „Wir haben ein Auto, das schnell genug ist, um Rennen und vielleicht den Titel zu gewinnen. Jetzt liegt es an mir“, sagte der 24-jährige Monegasse.

Es ist nicht lange her, da glaubte niemand an Leclercs Ferrari-Team. Anspruch und Wirklichkeit passten bei den Italienern jahrelang nicht zusammen. Bis diese Saison begann. Die Scuderia hat die neuen Aerodynamik-Regeln am besten umgesetzt und ein Auto gebaut, das die Konkurrenz schockt. „Tuttosport“ benannte Aufsteiger Leclerc in Anlehnung an seinen Vornamen schon in „Karl der Große“ um, „Corriere della Sera“ sah die „totale Dominanz von Ferrari“ und die „Gazzetta dello Sport“ urteilte: „Ferrari ist wie eine Rakete. Leclerc ist ein Kannibale. Imola erwartet den roten König. Keiner holt ihn gerade ein. Und die Weltmeisterschaft ist nun kein Traum mehr.“

Die Dramaturgie könnte besser kaum sein. In knapp zwei Wochen steht das Ferrari-Heimspiel in Imola an, Leclerc kommt im roten Renner mit der komfortablen WM-Führung. „Das wird verrückt“, sagte er selbst: „Aber ich will gar nicht zu sehr über die WM-Führung oder gar einen Titel nachdenken, die Saison ist noch so lang.“ Er wolle in Italien so fahren wie immer, die Stimmung dürfte trotzdem einzigartig werden.

Leclerc hat es geschafft, sich nicht nur in das Gigantenduell von Verstappen und Rekordweltmeister Lewis Hamilton einzuschalten, sondern den Superstars sogar die Show zu stehlen. Verstappen hadert nach zwei Ausfällen mit der Zuverlässigkeit seines Red Bulls und musste schon zweimal an Position zwei liegend aufgeben. Der Brite Hamilton ist weit weg von Titel Nummer acht und hat Probleme mit seinem Mercedes. Er wurde in Australien aber immerhin Vierter und liegt auf Platz fünf (28 Punkte) im Gesamtklassement, weit hinter Leclerc (71), aber noch knapp vor dem Niederländer Verstappen (25).

Viel erinnert derzeit an das Jahr 2014, als Mercedes seinen Siegeszug zu Beginn der neuen Hybrid-Ära nach einer Regel-Revolution begann. Die Silberpfeile lösten damals Red Bull ab. Sebastian Vettel hatte für das Team von 2010 bis 2013 viermal in Folge die Weltmeisterschaft gewonnen, nach den drastischen Änderungen des Reglements dominierte Mercedes und gewann achtmal nacheinander die Konstrukteurs-WM. Startet nun Ferrari mit Leclerc auch so eine Serie, weil sie die komplexen Vorgaben am besten umgesetzt haben?

„Wir denken noch nicht an die WM, denn es sind erst drei Rennen vorbei. Wir fokussieren uns auf jedes einzelne Rennen“, sagte Ferraris Teamchef Mattia Binotto. „Die Leistungsdichte ist hoch, deshalb müssen wir es perfekt hinbekommen.“ Genau das tut der Traditionsrennstall gerade. Und nicht nur dass Leclerc sich keine Fehler leistet, sein Auto ist im Gegensatz zu dem von Verstappen auch noch standhaft. „Wenn man gewinnen will, muss man zunächst mal ins Ziel kommen“, sagte Binotto: „Deswegen ist die Zuverlässigkeit genauso ein Schlüsselelement wie die Leistung selbst.“

Und Ferrari hat im Duell mit Red Bull einen weiteren Vorteil. „Wir haben nicht nur die Zuverlässigkeitsprobleme, das andere ist das Gewichtsproblem. Wir sind deutlich über dem Gewicht von Ferrari“, sagte Helmut Marko, der Motorsport-Berater von Red Bull. Das Verstappen-Team muss dringend abspecken, das kostet aber Geld und Zeit. „Das ist jetzt eine schwierige Situation“, sagte Marko.

Deswegen deutet vieles darauf hin, dass Ferrari auch in den kommenden Wochen dominieren kann, wenn die Konkurrenz nicht schnell die eigenen Autos verbessert. „Es gibt im Moment keinen Grund, an den Titel zu glauben“, sagte Verstappen, der sich im Vorjahr dramatisch gegen Hamilton durchsetzte: „Wenn man um die WM kämpfen will, muss man vor Ferrari sein. Aber sie sind uns in vielen Dingen überlegen.“

(lonn/dpa)
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