„Drive To Survive“ startet Freitag Warum die Formel 1 in Deutschland tot ist

Analyse | Düsseldorf · Für die Formel 1 ist die einstige Motorsportnation Deutschland irrelevant geworden. Warum das so ist, warum das so bleiben wird und was die Netflix-Doku „Drive To Survive“ damit zu tun hat.

Nach Unfällen wie diesem in Monaco hat Mick Schumacher sein Stammcockpit bei Haas verloren.

Nach Unfällen wie diesem in Monaco hat Mick Schumacher sein Stammcockpit bei Haas verloren.

Foto: dpa/Christian Bruna

Sagt Ihnen der Song „Belfast Child“ von den Simple Minds etwas? Wenn ja, Glückwunsch zu einem astreinen Musikgeschmack. Wenn nicht, sollten Sie mal reinhören und auf etwa zwei Minuten vorspulen. Sofort wird ihnen eine sonore Bassstimme im Kopf erscheinen: „Der Große Preis von Imola wird Ihnen präsentiert von Krombacher.“

Die Werbung für das Pilsbier aus dem Kreuztal im Siegerland ist unzertrennlich mit der Formel 1 verbunden. Alle zwei Wochen sonntagnachmittags saßen meist mehr als zehn Millionen Menschen vor dem Fernseher. Motorsportbegeisterte, Freunde, Väter mit ihren Söhnen. Die Formel 1 war nicht nur wegen Rekordweltmeister Michael Schumacher, seinem Bruder Ralf oder Mercedes in deutschen Händen. Wenn der Rennzirkus dann auch noch in Deutschland Halt machte und „Schumi“ und Co. durch das Motodrom des Hockenheimrings fuhren, waren die Tribünen komplett in Rot gehüllt, Sirenen und Tröten übertünchten die ohnehin schon lauten V10-Motoren.

Diese Zeiten sind längt vorbei. Einen Deutschland-Grand-Prix gibt es schon seit vier Jahren nicht mehr. Und schon damals wurde das Ferrari-Rot durch das Orange für Max Verstappen verdrängt.

In der kommenden Saison wird erstmals seit 1983 kein einziges Formel-1-Rennen live im deutschen Free-TV übertragen. Nach zwei Jahren als Sublizenznehmer ist RTL endgültig aus der Formel-1-Übertragung ausgestiegen. Weitere Interessenten, die etwa zehn Millionen Euro für die Übertragungsrechte von vier Rennen investieren würden, gibt es nicht.

Schließlich gibt es bei den Fahrern kein deutsches Zugpferd mehr: Zwar übernimmt Nico Hülkenberg das Cockpit des entzauberten Talents Mick Schumacher. Die Zahl derer, die sich nun ein Sky-Abo zulegen werden, um dem 35-jährigen Emmericher dabei zuzuschauen, wie er vielleicht das eine oder andere Mal einen zehnten Platz erfahren kann - sofern das überhaupt möglich sein sollte - dürfte sich in Grenzen halten.

Auch dem Mercedes-Werksteam wird es nicht gelingen, eine neue deutsche Euphorie zu entfachen. Das im englischen Brackley beheimatete Team ist im Grunde genommen auch nur Schein-Deutsch. Der deutsche Name und die deutsche Hymne bei Rennsiegen reichen nicht, um davon abzulenken, dass das deutscheste im Rennstall der österreichische Teamchef ist. Nach dem Rücktritt von Nico Rosberg 2016 gibt es keinen Faktor, der bei Motorsportfans etwas Patriotisches herausholt. 2026 steigt zwar noch Audi in die Formel 1 ein, wie viel Integrität dieses Projekt besitzt, wenn das Schweizer Sauber-Team, das aktuell unter dem italienischen Namen Alfa Romeo unterwegs ist, übernommen wird, stellt ein großes Fragezeichen dar.

Die Formel 1 hat sich längst vom deutschen Markt emanzipiert. Seit Liberty Media die Vermarktungsrechte der Formel 1 im Jahr 2016 übernahm, konzentriert sich das US-Medienunternehmen auf den amerikanischen Markt. Dort ist die Formel 1 nun größer denn je. In der kommenden Saison gibt es drei US-Grand-Prix in Austin, Las Vegas und Miami. Diese machen auch in ihrer Atmosphäre deutlich mehr her, als die baden-württembergische Provinz oder die Eifel. Zudem treten einige Fahrer wie Lewis Hamilton oder Daniel Ricciardo regelmäßig in jeglichen Late-Night-Shows und US-Podcasts auf.

Geschafft haben die Vermarkter dies zum einen mit einem deutlich verstärkten Social-Media-Auftritt, vor allem aber mit der Netflix-Serie „Drive To Survive“, die am kommenden Freitag in die fünfte Staffel starten wird. Die Entertainment-Dokumentation hat es geschafft, Leute zu begeistern, die sich zuvor nicht für die Formel 1 interessiert haben. Und das vor allem in den USA.

Fahrer und Verantwortliche errangen nun Profil. Durch die Netflix-Doku gibt es nun die allseits geforderten Typen, die beispielsweise im Fußball an allen Ecken und Enden fehlen. Neben Sunnyboy Ricciardo sind so Sergio Perez oder Valtteri Bottas Fanlieblinge geworden, die vorher - wenn überhaupt - selten in Erscheinung getreten sind.

Am krassesten geschafft hat dies Günther Steiner. Er avancierte zu einer Art polarisierendem Motorsport-Stromberg, der die Zuschauer zum Lachen, Kopfschütteln und Fremdschämen bringt. Der dauerfluchende Chef des erfolglosen Haas-Teams ist weltweit Kult, wenngleich er in Deutschland nach zahlreicher Kritik an und der daraus resultierenden Trennung von Mick Schumacher jegliche Sympathien verspielt hat.

Dass der deutsche Markt noch einmal für die Formel 1 relevant werden könnte, ist hingegen in weite Ferne gerückt. Deutsche Talente, die eine realistische Chance auf ein Cockpit haben könnten, gibt es nicht. David Beckmann und Lirim Zendeli, die es als Letzte in die Formel 2, dem größten Talentepool für die Motorsport-Königsklasse, geschafft hatten, ist das Geld ausgegangen. Beckmann wird nun Testfahrer in der Formel E, Zendeli geht nach Amerika, um in einer Indycar-Nachwuchsserie an den Start zu gehen.

Ohnehin ist für deutsche Talente Geld das größte Problem. In einem Land, in dem der Großstadt-Verkehr regelmäßig durch Klima-Proteste lahmgelegt wird, dürfte kaum ein Unternehmen über Jahre sechs- bis siebenstellige Summen in einen jungen Menschen investieren, dessen Traum es ist, an einer weltweit reisenden Sportart teilzunehmen, deren Verbrennermotoren in zwölf Jahren EU-weit verboten werden.

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Bleibt aus deutscher Sicht nur noch eins: ein Comeback von Mick Schumacher. Der Sohn des Rekordweltmeisters hat nach einer Niederlage im Stallduell gegen den nicht all zu hoch angesehenen Dänen Kevin Magnussen und zahlreichen, teuren Crashes sein Cockpit abtreten müssen. Mittelfristig wird es wohl von ihm - und dem, was Mercedes-Teamchef Toto Wolff mit ihm vor hat - abhängen, ob die Formel 1 in Deutschland noch einmal groß oder überhaupt wieder relevant wird.

(loy)
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