Head Coach Jim Tomsula „Rhein Fire zahlt alle Rechnungen pünktlich“

Interview | Düsseldorf · Jim Tomsula ist auch im zweiten Jahr nach dem Comeback Head Coach von Rhein Fire. Im Interview spricht er über die neue Saison in der European League of Football, den großen Wert der eigenen Fans und über die die Zukunft der Franchise.

Rhein Fire Düsseldorf: Football-Coach Jim Tomsula im Porträt
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Das ist Rhein Fires Head Coach Jim Tomsula

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Foto: Rhein Fire/Justin Alexander Derondeau

Auf dem Fahrrad kommt Jim Tomsula zum vereinbarten Treffpunkt, einem Cafe in Meerbusch. Freudig zeigt er alle seine Lieblingslokale wie ein Restaurant oder eine Eisdiele, in die er regelmäßig geht und die alle in der Nähe sind. „Wir lieben es hier“, erklärt er und meint damit sich und seine Frau Julie sowie seinen 15-jährigen Sohn. Die beiden erwachsenen Töchter, die um die Jahrtausendwende mit durch Europa reisten, sind jetzt nicht mehr dabei. Nachdem er am Morgen schon „Film geschaut“ hat, wie eine Videoanalyse im Football-Jargon heißt, nimmt er sich viel Zeit für ein ausführliches Gespräch über Rhein Fire, die ELF und American Football in Deutschland insgesamt.

Herr Tomsula, am 24. September steigt das Endspiel der ELF in Duisburg. Wie schätzen Sie die Chancen für Rhein Fire ein, dabei zu sein?

Jim Tomsula Ich habe keine Kristallkugel. In unserem ersten Team-Meeting haben wir über unsere Einstellung gesprochen, was unser Ziel ist. Jeder in der ELF hat das gleiche. Ich sagte: Das ist das einzige Mal, dass wir über das Championship Game sprechen. Wenn jeder in einem Auto sitzen, im Navigationsgerät das Ziel eingeben und auf Los drücken würde, wäre das erste, was das Navi macht, das Ziel aus dem Bild zu nehmen, um dir die nächste Abbiegung zu zeigen. Und das ist die Art und Weise, wie wir die Saison angehen. Jeden Tag, jedes Training nach dem anderen.

Würden Sie zustimmen, dass die Western Conference, in der sie spielen und die sie bestenfalls gewinnen müssen, die stärkste Conference ist?

Tomsula Ich möchte niemanden angreifen, aber ja, ich denke, sie ist sehr stark. Hamburg hat sich mehrfach bewiesen. Ich habe großen Respekt vor Coach K (Head Coach Thomas Kösling, Anm.) in Frankfurt. Sie werden gut trainiert und spielen hart. Ich kenne Coach K nicht persönlich, ich sehe nur wie seine Spieler spielen und habe großen Respekt davor. Köln hatte ein paar Probleme mit dem Trainerwechsel und so weiter, aber ich habe mit dem Coach gesprochen und sie stellen ein gutes Team zusammen, arbeiten hart und sie werden gut sein. Paris hat einen guten Head Coach und General Manager, und sie sammeln aus dem gesamten Land.

Auf welche Art zu spielen dürfen sich die Fire-Fans freuen?

Tomsula Zunächst mal wollen wir hart spielen. Wenn du ein Fan bist und das Spiel siehst, sollst zu sagen: dieser Junge gibt sein bestes. Du sollst stolz auf das Team sein für seinen Einsatz. Schematisch wollen wir den Ball laufen können. Letztes Jahr haben wir so angefangen und es lief gut, dann hatten die Gegner Antworten und wir mussten mehr passen. Du willst niemals dazu gezwungen werden, aber der Gegner spielt natürlich eine Rolle. Wir wollen beides machen können. Defensiv haben wir letztes Jahr vor allem in Coverage gespielt und hatten nicht viele Sacks. Ich bin ein D-Line-Coach, so etwas bringt mich um. Es war meine Entscheidung und es war kein aufregender Stil, aber es war dazu da, die Big Plays zu verhindern. Dieses Jahr freuen wir uns auf unseren Pass Rush. Wir sind auch sehr glücklich mit unserer Secondary. Es wird aggressiver sein. Die Spieler arbeiten wirklich sehr hart.

Nach dem Ende der vergangenen Saison bekamen Sie neben dem Posten des Head Coaches auch den des President of Football Operations – was genau bedeutet das?

Tomsula Da geht es vor allem um die Struktur. Wir haben auch Mario Schulz dazu geholt als einen unserer Coaches. Mario ist auch der Director of Operations and Logistics. Detlef Reck, der Assistant Head Coach, ist außerdem der Director of Administration. Timur Beckmann, der die Tight Ends trainiert, ist der Director of Player Personnel. So, wie wir im operativen Geschäft aufgestellt sind, können wir auch die Fans mehr einbeziehen, zum Beispiel mit der Power Party. Sie wird wesentlich größer und bietet auch mehr für Kinder. Für mich sollte das ein Familien-Event sein. Ein Mann sollte seinen Sohn oder seine Tochter mitnehmen können und sich in 25 Jahren daran erinnern können, als einen tollen Tag im Park, mit einem Spiel, Erdnüssen, Bier, Cola – das sollten die Kindheitserinnerungen sein.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Tomsula Ich fange jeden Tag damit an, Film zu schauen. Wir haben ein Büro in Neuss, dort wird alles Geschäftliche erledigt. Dort fahre ich nach dem Berufsverkehr hin, aber auch nicht jeden Tag. Das sage ich auch allen anderen: ihr müsst nicht jeden Tag hier sein. Dann habe ich ein paar wiederkehrende Termine. Wir trainieren Dienstag- und Donnerstagabend, aktuell auch zweimal am Samstag und einmal am Sonntag. Mittwochs habe ich ein Liga-Meeting mit allen Head Coaches der Liga und dem ELF-Büro. Donnerstagmorgens haben wir ein Meeting mit der Vollzeit-Crew, wie wir sie nennen. Ansonsten kommen immer irgendwelche Sachen auf, die zu tun sind.

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Foto: Rhein Fire/Justin Alexander Derondeau

Wie schätzen sie die ELF ein in Sachen Niveau und Professionalität?

Tomsula Es wurde schon viel erreicht. Vor drei Jahren gab es keine ELF, heute Sitze ich hier mit Ihnen, spreche mit einer prestigeträchtigen Zeitung. Es ist nicht so, dass Sie herumlaufen und mit jedem Football-Team reden. Ich weiß das zu schätzen und alleine das ist eine Leistung der Liga. Es gibt jetzt zwei Spiele pro Woche im Fernsehen, das ist eine große Sache. Auf der geschäftlichen Seite gibt es ein paar Probleme, aber das ist immer so. Da geht es darum, nicht gegeneinander zu kämpfen, sondern gemeinsam. Es werden Fehler gemacht, auch das ist normal. Und man muss auch zuhören, wenn man mal kritisiert wird, das gehört zum Wachstum dazu. Das ist immer noch ein Startup.

Gerade finanziell kommt es also auch darauf an, vernünftig zu bleiben?

Tomsula Ich bin in die Budgetplanungen involviert. Ich habe Spielern gesagt: Du kannst zu diesem Team gehen und viel mehr Geld verdienen, aber wir machen das nicht. Rhein Fire zahlt alle Rechnungen pünktlich. Wir wollen geschäftliche Partner gewinnen und keine Transaktionen machen. Das nennt man Wachstum. Was die Spieler angeht, und dieser Punkt geht an unsere Eigentümer: Wir machen Verträge, wir zahlen, was wir vereinbart haben und das pünktlich. Und es wird weiter so gehen. Vielleicht wollen sie auch ein bisschen mehr und ich würde es an ihrer Stelle auch – wenn wir es hätten. Aber wir planen hier nicht für ein Jahr, wir wollen etwas aufbauen, das bleibt.

Gerade für die deutschen Spieler kann Rhein Fire statt viel Geld ja auch die Erfahrung bieten, in einem großen Stadion vor tollen Fans zu spielen.

Tomsula Unsere Spieler werden bezahlt, aber keiner kann davon leben. Es ist eine Mischung aus Geld und der Erfahrung. Womit wir wieder auf unsere Fans zurückkommen. Rhein Fire besteht aus drei Teilen: ein Football-Team, ein Cheerleader-Squad und die Fanbase. Das ist alles eins, es funktioniert nicht ohne einander. Sie sind alle gleich wichtig.

Das ist ein Vorteil gegenüber anderen Teams, die das so nicht haben.

Tomsula Ja, ein großer Vorteil. Die Fanbase hier ist phänomenal. Wir hatten letztens ein offenes Training. Sie sind überall, lachen, haben Spaß. Das ist der Punkt: Die Spieler gehen nach dem Training sofort zu den Fans.

Wie wichtig ist Ihnen der direkte Kontakt zu den Fans?

Tomsula Die Leute müssen das sehen. Sie müssen das verstehen, sie müssen Zugang haben. Und warum sollten sie nicht? Jedes Training ist offen. Wir bitten nur darum, keine Fotos und Videos zu machen, wenn wir als Team trainieren. Sobald Coach Reck in seine Pfeife bläst und „Team“ ruft, sieht man, wie alle Fans ihre Handys wegstecken. Sie sind Teil des Teams. Das ist so cool.

Viele Spieler kommen von selbst auf Rhein Fire zu, um hier zu spielen. Was macht die Franchise besser als andere, dass es dazu kommt?

Tomsula Das hat viel mit unseren Fans zu tun. Und unser Team ist genauso aufgebaut, wie ein professionelles Football-Team in Amerika. Die Struktur ist die gleiche. Und das funktioniert sehr gut.

Im vergangenen Jahr haben Sie das Team komplett neu aufgebaut, wie lief der Prozess ab?

Tomsula Letztes Jahr war ich bis Ende Februar noch bei den Dallas Cowboys unter Vertrag. Ich habe nicht einen Spieler ausgewählt und auch nicht einen Coach eingestellt. Für mich war es monumental, was erreicht wurde und es war in keiner Weise mein Verdienst. Ich bin angekommen, alle Spieler und Trainer waren da, ich habe mich vorgestellt und dann haben wir angefangen, alles zu organisieren. Beim ersten Training, an dem ich teilnahm, hatten wir nicht mal Bälle. Es fing bei null an. Was die Eigentümer, die damalige General Managerin Patricia Klemm und die Coaches getan haben, war in meinen Augen unglaublich.

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Und dieses Jahr?

Tomsula Für dieses Jahr haben wir uns zuerst mit den Spielern beschäftigt, die wir aus der vergangenen Saison behalten wollen. Dann haben wir Timur Beckmann, den Director of Player Personnel. Ich habe allen Coaches gesagt, geht raus, schaut Film, findet Leute, die ihr mögt, evaluiert sie und schreibt etwas über sie. Timur sammelt alle Informationen. Ich sitze zuhause in Florida und schaue Film, Timur schaut Film. Dann kommen Richard Kent und Andrew Weidinger (Defensive und Offensive Coordinator, Anm.) dazu. Und dann kommt ein Teil, den ich nicht mag: Du kannst nur eine bestimmte Anzahl an Spielern im Kader haben. Alle Spieler arbeiten hart, und in vielen Fällen ist es nicht ihre Schuld, sie sind einfach nicht so talentiert. Aber das ist Teil des Jobs. Wir investieren auch viel Zeit in die charakterliche Zusammensetzung des Personals. Die beste Sammlung von Talent wird nicht gewinnen. Das beste Team gewinnt. Timur hat da einen großartigen Job gemacht.

Zusätzlich zu einigen neuen Spielern haben Sie die bereits angesprochenen Koordinatoren Kent und Weidinger zu Rhein Fire geholt. Wie kam es dazu?

Tomsula Letztes Jahr hatten wir nur deutsche Coaches. Ich hatte nun das Gefühl, dass wir auch Vollzeit-Coaches brauchen. Das erste, wonach ich schaue, sind gute Menschen. Leute, die sich um die Spieler kümmern und die sich der Sache, die wir hier bei Rhein Fire machen, verschreiben. Richard Kent kenne ich schon ewig, wir haben schon am Catawba College zusammengearbeitet und in Schottland. Andrew Weidinger könnte sofort in der NFL anfangen, aber er möchte diesen Lifestyle nicht, er hat zwei kleine Kinder. Er war in Barcelona, weil er mit seiner Frau und den Kindern die Welt sehen und unterschiedliche Kulturen kennenlernen will. Dazu kann er Football coachen, was er liebt. Er macht das ein halbes Jahr, das andere halbe Jahr sind sie in Arizona. Er steht jeden Morgen auf, macht den Kindern Frühstück und bringt sie zur Schule, seine Frau kann von überall aus arbeiten. Richard und Andrew sind hier, weil sie hier sein wollen.

NFL-Coaches haben keine Zeit, ihre Kinder zur Schule fahren, sie arbeiten den ganzen Tag und schlafen teilweise im Büro, so hört man – stimmt das?

Tomsula Als ich in der NFL gearbeitet habe, bin ich am Sonntagmorgen um 9 Uhr aufgestanden, zum Spiel gegangen, und habe mich das nächste Mal am Mittwochmorgen um 5.30 Uhr für eine Stunde hingelegt, um ein wenig Pause zu haben, bevor ich mich mit meinen Spielern getroffen habe. Das Problem ist nicht die Arbeit, nur, dass man seine Familie nicht sieht.

Zurück nach Deutschland: Wie sehen Sie die Entwicklung von American Football hierzulande?

Tomsula Ich habe immer geglaubt, dass Europa insgesamt ein Ort für American Football ist. Das Epizentrum dafür ist Deutschland. Ich finde es passt kulturell und von der Einstellung her. Man braucht eine mentale und physische Stärke, um Football zu spielen. Die Deutschen haben das. In ganz Deutschland ist Sport in der Kultur verankert. Was ich wirklich genieße ist, dass wenn man jemanden in Deutschland erstmals trifft, der nichts vom Football weiß, sagt er, dass das Spiel langsam ist. Aber wenn man die Taktik erklärt, sieht man, wie die Augen groß werden. Ich denke es wird weiter wachsen. Ein großer Fehler, den die NFL Europe meiner Meinung nach gemacht hat, war, dass wir eine amerikanische Blase genommen und hierhergesetzt haben. Das hat nicht funktioniert. Jetzt haben wir Teams in Besitz von Deutschen, Schweizern oder Italienern. Die meisten Coaches und Spieler sind einheimisch. Jetzt investieren wir in die Entwicklung des Spiels und die Kultur innerhalb des Footballs. Perfekt. Man muss bei den Kindern mit Flag Football anfangen. Das hilft auch dabei, den Sport sicherer zu machen.

Kommt man dabei zum Beispiel dem Fußball in die Quere?

Tomsula Wir konkurrieren nicht mit dem Fußball. Das wirst du nicht gewinnen. Was ich nur sage ist: Es gibt einen Platz für American Football. Fußball wird niemals der König in Amerika sein. Aber es wächst, es hat einen guten Platz, es funktioniert zusammen. Sie stehlen keine NFL-Fans. Und Football stiehlt keine Fußball-Fans. Wir konkurrieren nicht. Ich gehe zu Fußballspielen, mein Sohn geht zu Fortuna. Er liebt es. Das ist Düsseldorf, das ist unser Team.

Jim Tomsula ist Head Coach von Rhein Fire.

Jim Tomsula ist Head Coach von Rhein Fire.

Foto: dpa/Michael Schwartz

Sie haben bei Rhein Fire einen unbefristeten Vertrag. Sie fühlen sich hier offenkundig sehr wohl. Sie bleiben also noch langfristig?

Tomsula Für meine Frau und mich ist es ein Herzensprojekt. Sie schaut auch, was wir in der Gemeinde machen können. Mein Sohn liebt es hier. Wir sind All-in. Wir hoffen, dass es niemals endet. Es könnten diese sechs Monate jedes Jahr für den Rest unseres Lebens sein. Aber wer weiß?

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