Mit dem Laufen aufgehört, Trainer gestorben Diese besondere Geschichte steckt hinter dem EM-Silber von Lea Meyer

München · Lea Meyer stürmt in München bei den European Championships sensationell zu einer Silbermedaille über die 3000 Meter Hindernis. Hinter diesem Erfolg steckt eine besondere Geschichte.

 Gewann EM-Silber: Lea Meyer.

Gewann EM-Silber: Lea Meyer.

Foto: dpa/Marius Becker

Lea Meyer schlug die Hände vor das Gesicht und ging zu Boden. Als sie kurze Zeit später wieder aufstand, suchte sie mit Blicken im Münchener Olympiastadion irgendwelche Anhaltspunkte. Sie umarmte eine Person nach der anderen. Trainer, Betreuer, Familie, Freunde, sogar Helfer und Offizielle. Wahrscheinlich hätte die 24-Jährige auch die gesamte Welt umarmen können, so glücklich war sie, als sie mit der Deutschland-Fahne um den Schultern ins Publikum winkte. Am Samstagabend gewann sie vollkommen überraschend EM-Silber im Hindernislauf über 3000 Meter.

„Das war ein rundum gelungenes Rennen“, sagte sie später stolz, nachdem sie so langsam realisierte, was ihr da gelungen ist. „Ohne dieses Publikums wäre das nicht passiert. In 9:15,35 Minuten lieferte Meyer ihr stärkstes Rennen der Karriere, verbesserte ihre persönliche Bestzeit um satte zehn Sekunden. „Ich wollte ins EM-Finale, dieses Ziel hatte ich Donnerstag schon erreicht. Heute war die Kür“, sagte die aufgeregte Meyer. Und das ausgerechnet im Schluss-Duell gegen ihre Freundin Elisabeth Bird aus Großbritannien, mit der sie einmal ein Jahr lang in San Francisco zusammen Psychologie studierte. „Sie war damals meine engste Freundin“, sagte Meyer.

Die Silber-Medaille von München ist auch Genugtuung für die Deutsche. Sie hatte es allen gezeigt. Vor gut drei Wochen schaffte sie es nämlich in viele internationale Berichte von der Leichtathletik-Weltmeisterschaft aus Eugene. Aus einem für sie eher unangenehmen Grund. Im Vorlauf stürzte die Läuferin kopfüber in den Wassergraben, nachdem sie vor dem Hindernis bereits gestolpert war. Die Welt lachte über die 24-Jährige. Doch damals hätte sie bereits den „wichtigsten Schritt“ für den EM-Erfolg gelegt. Sie sei einfach wieder aufgestanden und weitergelaufen. „Heute habe ich gezeigt, dass ich es auch ohne Stunts am Wassergraben kann“, schmunzelte die gebürtige Niedersächsin.

Dass sie in München überhaupt lief, hätte man noch vor ein paar Jahren kaum gedacht. Meyer, die 2013 das erste Mal Hindernis gelaufen war, hatte bereits die „Laufschuhe an den Nagel gehangen“, wie sie am Samstagabend im Bauch des Olympiastadions sagte. In der Jugend am Bundesstützpunkt in Hannover habe sie die Lust am Laufen verloren. „Ich hatte nach der Jugend keinen Bock mehr“, sagte Meyer. Drei, vier Monate rührte sie die Schuhe kaum mehr an, vor allem nicht um leistungsmäßig zu laufen. „Der Sport hat mich psychisch kaputt gemacht“, gab Meyer zu und erinnerte mit ihren Ausführungen an die zuletzt beste deutsche Hindernis-Läuferin Gesa Felicitas Krause, die aus ähnlichen Gründen für die EM im eigenen Land nun absagen musste und sich erst einmal eine Auszeit nimmt. Meyer hofft indes auf eine Rückkehr Krauses.

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Als sie nach Köln kam, wandte sich die Studentin an den Trainer Henning von Papen. Sie wollte einfach ein bisschen mittrainieren in dessen Laufgruppe, „einfach ein bisschen laufen“. Nach und nach kam der Spaß am Sport zurück, sie lief wieder auf Zeit, der Leistungsgedanke kehrte zurück. Und sie schaffte es schlussendlich, ihre Zeiten enorm zu steigern.

Anfang des Jahres 2022 dann aber der große Schock. Von Papen verstarb nach schwerer Krankheit im Alter von 69 Jahren. Aber Meyer lief weiter – vielleicht auch für ihn, der ihr die Freude am Leistungssport zurückgebracht hatte. Die Silbermedaille wird sie sicherlich auch ihm ein wenig widmen.

Dank ihm könne sie wieder die schönen Seiten des Sports genießen. Diese seien ihr aber nicht zugeflogen, sie habe es sich alles erarbeitet. Das nun Erreichte soll aber noch nicht das Ende sein. Sie habe schließlich so viele Rückschläge kassiert und sei immer wieder aufgestanden, dass sich das nun auszahlen müsse.

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Ihre starke Zeit will sie nun bestätigen und sich auf diesem Niveau etablieren. Und wenn irgendwann Gesa Krause zurückkehrt, könnten die beiden im Doppelpack die internationale Konkurrenz angreifen. Denn wieder einmal hat sich gezeigt: „Auch Europäerinnen können schnell laufen“.

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