Gegensätze der Tartanbahn Welche Ziele Mihambo und Klosterhalfen nach der EM verfolgen
Analyse | München · Während Konstanze Klosterhalfen die „ganze Nacht“ hätte laufen können, fühlte sich Malaika Mihambo, „als hätte man ihr den Stecker gezogen“. Die deutsche Leichtathletik zieht aus beiden Charakteren Zuversicht für die Zukunft.

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Viel konträrer hätten die Gesichtsausdrücke kaum sein können. Während Konstanze Klosterhalfen am Tag nach ihrem Gold-Coup über die 5000 Meter wie gewohnt strahlte, saß Malaika Mihambo gut eine Stunde später etwas müde vor der versammelten Presse im Mannschaftshotel der deutschen Leichtathleten. Dabei war auch die Weitsprung-Weltmeisterin eine Medaillenträgerin bei der Heim-EM in München. Silber holte sie am Donnerstagabend im Regen hinter der Serbin Ivana Vuleta, während „Koko“ Klosterhalfen bereits ihre Ehrenrunde genießen konnte. Der Schock folge danach: Mihambo erlebte einen Kreislaufkollaps, die Sorgen waren groß. „Heute geht es in Ordnung“, sagte Mihambo einen Tag später. „Ich merke, dass ich noch geschwächt bin.“
Ganz anders ging es Klosterhalfen, die „die ganze Nacht“ hätte laufen können, wie sie erzählt. Auch am Tag danach wirkte sie kein bisschen müde. Das Adrenalin nach der ersten Goldmedaille – und dann noch vor heimischen Publikum – bei einer großen Meisterschaft floss vermutlich noch immer durch die Venen. Eine Genugtuung nach drei eher schwierigeren Jahren als sie während der Pandemie überwiegend in den USA trainierte, kaum nach Hause kam und Verletzungen sie zurückwarfen. Dass sie zwischenzeitlich immer wieder Rekorde verbesserte, war oft nur eine Randnotiz. Man hatte stets das Gefühl, dass Deutschland etwas fremdelt mit der eher schüchternen Athletin, die dann ja nicht einmal greifbar war, seitdem ihr Alltag überwiegend jenseits des großen Teichs stattfand. „Es hängt mir immer ein bisschen an, dass ich mich rar gemacht habe. Aber ich liebe es in Deutschland zu laufen, das Publikum ist Wahnsinn“, sagte sie.
Am Donnerstagabend schwebte sie angetrieben von diesem über die letzten 600 Meter über die Bahn, wie sie später selbst bestätigte. Beim Laufen spürte sie wieder einmal die Liebe der Fans. Und abseits davon? Das bleibt nun abzuwarten. Dabei ist Klosterhalfen, wenn sie einmal ins Reden kommt, ähnlich veranlagt wie Mihambo. Beide können ihre Zuhörer dann mitnehmen in die Welt des täglichen Lebens eines Athleten, in ihre Gefühlswelten. Auf der einen Seite die Strahlefrau Klosterhalfen, die verbissen an ihren Zielen arbeitet und unglaublich ehrgeizig daher kommt, wie ihr eigens für den Goldlauf eingeflogener Trainer Pete Julian noch am Donnerstagabend in den Katakomben des Münchener Olympiastadions sagte. Auf der anderen Seite die charismatische Mihambo, die die deutsche Leichtathletik mit ihren Erfolgen durch die vergangenen Jahre trug und stets Freude am Sport verbreitet. Vor allem ihretwegen kamen am Donnerstag trotz Regens und Unwetterwarnung 31.000 Fans ins Stadion.
Dass diese Mihambo überhaupt in die Sandgrube springen sehen konnten, war schon ein kleiner Gewinn. Nach der WM in Eugene infizierte sie sich mit Corona, gab erst einen Tag vor der Qualifikation grünes Licht für einen EM-Start. Die Qualifikation lief noch gut, die zwei Tage Pause bis zum Wettkampf weniger. „Ich habe nicht gut regeneriert. Gestern war ich müder als gewohnt“, sagte sie. Und dennoch: „Als Titelverteidigerin wollte ich alles geben“, sagte sie. Tat Mihambo auch. „Spätestens nach dem dritten Sprung habe ich gemerkt, dass ich auf dem Zahnfleisch gehe.“ Die Beine hätten gekribbelt, nach dem sechsten Sprung war ihr schwindelig, sagte sie gestern. „Ich wollte vor den Fans springen, die Stimmung mitnehmen. Ich bin an meine Grenzen gegangen und ein Stück darüber hinaus“, so die 28-Jährige. Und dennoch sprang sie noch mit der Fahne herum, lief eine Ehrenrunde, machte Fotos mit den Fans. Beim Interviewmarathon streikte dann der Körper: „Ich fühlte mich, als hätte man mir den Stecker gezogen.“

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Umso glänzender funkelt für sie ihre Silbermedaille, merkte sie an. Vor allem nach diesen Voraussetzungen. Bleibende Schäden von dem „Wettkampf mit Handicap“ erwarte sie zwar nicht, dennoch wird sie nun erst einmal eine kleine Pause einlegen.
Anders sieht der Plan bei Klosterhalfen aus. Schon in der kommenden Woche will sie in der Züricher Innenstadt einen 3000-Meter-Lauf absolvieren, am Sonntag steht das Heimmeeting bei ihrem Verein Bayer Leverkusen an. Und vielleicht laufe sie dann auch eine Woche später noch in Berlin. Wer soll da noch denken, es herrsche eine Entfremdung zwischen Deutschland und Klosterhalfen?
Anschließend wird es für sie irgendwann wieder in die USA gehen, am Trainings- und Lebensstandort solle sich erst einmal nichts ändern. Zu erfolgreich ist schließlich die Zusammenarbeit mit Pete Julian. Das EM-Gold soll nämlich nur eine Zwischenstation für größere Aufgaben sein. „Das Ziel bleibt, die Welt zu schlagen“, sagte sie.
Eine Ansage, die man sicherlich auch beim Verband gern hört.