Stürze in München Die Bahn, die keinen Fehler verzeiht – und für Diskussionen sorgt

Analyse | München · Nach Stürzen bei der EM weist der Konstrukteur der Radbahn die Kritik zurück, die Anlage in München sei zu schwierig. Vielmehr müsse man sich die Frage stellen, wie das Bahnrad-Fahren in der Zukunft aussehen soll.

 Fahrerinnen liegen nach einem Sturz auf der Bahn.

Fahrerinnen liegen nach einem Sturz auf der Bahn.

Foto: dpa/Angelika Warmuth

Am Sonntagvormittag kam zumindest eine leichte Entwarnung. Die Italienerin Letizia Paternoster habe sich einen Schlüsselbeinbruch und eine Gehirnerschütterung zugezogen, teilte der italienische Radsportverband mit. Glück im Unglück sozusagen. Dann als die Weltmeisterin im Ausscheidungsrennen der Europameisterschaft am Samstagabend nach einem heftigen Sturz fast eine halbe Stunde lang noch im Oval behandelt werden musste und später auf einer Trage aus der Halle direkt ins Krankenhaus gebracht wurde, musste man noch schlimmere Verletzungen befürchten. Die ehemalige Weltklasse-Sprinterin Kristina Vogel, in deren unmittelbarer Nähe der Sturz passierte, sprach später von einem „Flashback“. Auch sie musste nach einem Trainingssturz vor einigen Jahren ähnlich abtransportiert werden und sitzt seitdem mit einer Querschnittlähmung im Rollstuhl. „Sie liegt da und bewegt ihre Beine erstmal nicht. Man denkt automatisch wieder daran, wie es bei einem selbst war.“

Der Sturz am Samstag war nun so etwas wie eine Bestätigung der Befürchtungen im Vorfeld. Schon bevor die ersten Entscheidungen ausgetragen wurden, häuften sich kritische Worte über die EM-Bahn. Sie sei zu schwierig, es herrsche in den Kurven zu viel Druck, der Belag sei zu glatt. „Die Kurven sind enger und dadurch wird es schwieriger, die perfekte Linie zu treffen. Die Geschwindigkeit treibt einen nach oben, man braucht also mehr Kraft, um unten zu bleiben, den kürzesten Weg zu nehmen. Zudem fahren wir mehr Kurven als auf einer normalen Bahn“, sagte etwa Sprinterin Emma Hinze im Vorfeld gegenüber unserer Redaktion. Sie beherrscht die Bahn in München offensichtlich trotzdem perfekt. Am Samstag holte sie sich nach dem Teamsprint-Gold am Freitag auch den EM-Titel im Zeitfahren.

Ihre Kollegin Pauline Grabosch hingegen hatte so ihre kleineren Probleme mit der Bahn. „Der Unterschied beim Druck ist größer als auf anderen Bahnen“, sagte sie über die Strecke in München, die mit 200 Metern 50 Meter kürzer ist als an vielen anderen Standorten. „Man hat immer den Gedanken im Kopf, dass es gefährlicher ist.“

Dem widersprach am Sonntag der Bahn-Bauer Walter von Lütken gegenüber unserer Redaktion. Seit über 35 Jahren baut er mit seiner Firma Velotrack Holzbahnen – so auch die für die EM in München. „Die Kritik ist in keiner Weise gerechtfertigt“, findet er. „Umso kleiner die Bahn, umso technischer wird sie. Wenn wir nur noch die schnellsten Fahrer und Fahrerinnen mit den dicksten Beinen suchen, dann bauen wir künftig gerade Bahnen. Aber wir suchen doch die besten Fahrer und Fahrerinnen im Bahnrad. Die müssen auch technisch gut sein“, sagte er.

Er verwies darauf, dass es vom Weltverband die Vorgabe gibt, dass eine Bahnrad-Bahn 200 Meter lang und sieben Meter breit sein muss. Dies habe man in München umgesetzt. Die Bahn in der Messehalle habe das Konzept, um mit einer Geschwindigkeit zwischen 18 und 80 Kilometern pro Stunde perfekt in einem 10,5 Meter breiten Korridor fahren zu können. Je enger die Linie natürlich gewählt würde, desto mehr Druck herrsche dann in den beiden Kurven. In denen habe man aber versucht, gerade am Ausgang, wo der Druck normalerweise am größten ist, den Aktiven entgegenzukommen. Die Bahn wurde so konzipiert, dass die G-Kräfte am Eingang etwas höher seien und so hintenraus nicht mehr ganz so viel Kraft benötigt würde, erklärte von Lütken. Dennoch verglich die heutige TV-Expertin Vogel die wirkenden Fliehkräfte mit der einer Achterbahn.

Vollkommen neu ist eine 200-Meter-Bahn aber für die Aktiven nicht. Eine ähnliche Bahn stehe auch in Aigle am Hauptquartier des Rad-Weltverbandes UCI oder in Grenchen (beide Schweiz), sagte der Bahn-Bauer. Die Athletinnen und Athleten hatten sich zudem auch in Amsterdam und Augsburg auf 200-Meter-Bahnen auf die EM in München vorbereitet. „Die Taktik spielt auf dieser Bahn eine große Rolle“, sagte von Lütken. „Man muss sich hier umstellen. Zudem ist die Erfahrung ein Thema.“

Ohnehin gäbe es aus seiner Sicht in München keine überdurchschnittlich vielen Stürze. Vier gab es in den vergangenen Tagen. Allein beim Weltcup in Glasgow gab es im Madison gleich 16. Darauf verwies auch Vogel. Der Sturz von Paternoster wäre so wohl auch auf den längeren 250-Meter-Bahnen passiert. Mit einem kleinen Unterschied. „Die Bahn hier in München verzeiht keine Fehler. Aber die Grundgefahr ist auf allen Bahnen immer da“, sagte Vogel. Und was die Bahn bewies: Wenn man sie beherrscht, kann man auch schnell sein – wie zum Beispiel Emma Hinze.

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