Studie über die Faszination von Marathonläufen "Es läuft mich"

Köln (dpa). Immer mehr Menschen unterziehen sich der Quälerei eines 42,2 Kilometer langen Marathonlaufs, weil sie ihn über einen toten Punkt hinaus häufig als einen Glückszustand erfahren. Wer eine Startnummer bei den bekannten Stadtmarathonläufen in Köln, Berlin, Hamburg oder auch New York ergattern will, muss sich bis zu einem Jahr vorher anmelden. Und wer das zum ersten Mal geschafft hat, den erfasst oft eine Art Sucht, das nächste Mal noch ein paar Minuten schneller zu sein, berichtete Andreas Marlovits, Projektleiter einer tiefenpsychologischen Studie des Rheingold-Instituts in Köln über die psychologische Faszination des Marathonlaufs.

Während eines Marathons bringt sich der Teilnehmer der Studie zufolge gezielt in eine Leidenssituation, in der die Muskeln verkrampfen und schmerzen und in der der Läufer merkt, dass er mit dem Glauben an sich selbst allein nicht mehr weiterkommt. Viele Läufer erlebten um den 30. Kilometer herum einen toten Punkt, bei dem laut Marlovits "kein 'ich will' und kein 'ich schaffe es' mehr hilft.

Hier erreicht der Marathonläufer nach Darstellung des promovierten Psychologen, Theologen und Sportwissenschaftlers einen Wendepunkt, "an dem er sich selbst aufgibt und einem größeren Wirkungszusammenhang öffnet": seiner Umgebung, den Zuschauern, die ihn anfeuern oder vielleicht den Sambarhythmen, die ihn weitertragen. "Es läuft mich" oder "ich laufe wie auf Flügeln" oder "hier beginnt das Glücksgefühl", zitierte der Wissenschaftler typische Äußerungen der rund 30 Amateur-Marathonläufer und -läuferinnen, die vom Rheingold-Institut befragt wurden.

Die von Naturwissenschaftlern häufig angeführte Erklärung, beim Marathonlauf setze der Körper "Glückshormone" frei, greift nach Ansicht von Marlovits zu kurz. Der Sportwissenschaftler vergleicht die Erfahrung eines Marathonlaufs eher mit der spirituellen Öffnung bei religiösen Exerzitien. Er sieht den Marathon als einen "Passionsweg zum Glück" und als "spirituelle Erfahrung auf weltlichem Niveau".

"Besonders in der heutigen Gesellschaft, in der nur der selbstbewusste, starke Auftritt gewürdigt wird, schafft der Marathon eine Situation, in der die Coolness aufgegeben und fremde Hilfe aufgenommen wird wie von einem trockenem Schwamm", meint Marlovits. "Erst wenn jemand erkennt, dass er nur ein winziges Teil eines größeren Gefüges ist oder wenn es einem ganz schlecht geht, kann man die Größe einfacher Dinge erkennen, wie etwa die Anwesenheit eines Freundes, der sagt, dass er für dich da ist".

(RPO Archiv)
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