Werner Weidenfeld "Es fehlt die Ordnung einer Weltmacht"

Der renommierte Münchner Politikwissenschaftler erwartet für 2015 eine Zunahme der Konflikte und neue Formen der Auseinandersetzung.

Im Jahr 2014 kehrten die großen Konflikte zurück - Ukraine, Nordirak, Syrien, Israel. Wird es 2015 friedlicher?

Weidenfeld Die Welt ist aus den Fugen geraten. Und das wird sich vertiefen. Wir stehen vor einer neuen Sicherheitsfrage. Die großen Krisen sind aus dem disziplinierenden Zugriff einer weltpolitischen Architektur entlassen worden. Es gibt keine Mächte, die diese Krisen einzäunen.

Was ist mit der einzig verbliebenen Großmacht USA?

Weidenfeld Die sind überfordert. Früher gab es den Ost-West-Konflikt mit zwei dominanten Supermächten. Da saßen in Moskau und in Washington sowie bei der Nato in Brüssel Eliten, die über nichts anderes nachgedacht haben als darüber, was der jeweils andere denkt. Das hat diszipliniert - trotz der gigantischen Militärapparate auf beiden Seiten. Das fehlt jetzt, weil auch die USA keine dominante Weltmacht mehr sein wollen. Wir haben viele Mächte - nach den USA zuerst China, dann Russland, Indien, Japan, Brasilien und irgendwo dazwischen Europa.

Warum bildet sich zwischen diesen Mächten kein Gleichgewicht?

Weidenfeld Es fehlt der strategische Weitblick. Sie wissen zu wenig voneinander.

Woran kann man das erkennen?

Weidenfeld Nehmen Sie die aktuellen Beispiele Libyen, Syrien oder Iran: Dort greift niemand mehr ein, weil die strategischen Eliten fehlen.

Die Welt wird also 2015 unfriedlicher?

Weidenfeld Das ist zu befürchten. Es gilt nicht mehr das Prinzip der Abschreckung. Das macht alles riskanter und unberechenbarer. In Zeiten des Ost-West-Konflikts musste jeder Aggressor mit einem großen eigenen Schaden rechnen, wenn er angriff. Das war das Grundprinzip der Abschreckung ...

... das heute nicht mehr funktioniert?

Weidenfeld Wenn beim Tod das Paradies winkt, sicher nicht. Wir haben heute perfekte terroristische Netzwerke, die Elemente des Cyberwars und anderes. Da wissen Sie nicht, wo der Feind steht. Das wird alles in nächster Zeit noch zunehmen.

Gibt es auch Grund für Optimismus?

Weidenfeld Ja, wenn man den Prozess als Herausforderung sieht.

Was ist also weltweit zu tun?

Weidenfeld Die großen Mächte müssen strategische Partnerschaften eingehen und ihre Defizite bei der Analyse des anderen beseitigen.

M. KESSLER FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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