Eishockey Verletzungen am Kopf — ein bitteres Thema

Düsseldorf · Im Eishockey nimmt die Zahl schwerer Gehirnerschütterungen drastisch zu. Viele Spieler stehen vor dem Karriereende.

 Vor nicht allzu langer Zeit war die Devise: Tut der Kopf nicht mehr weh, geht es zurück aufs Eis. Doch die Beteiligten im Eishockey sind sensibler geworden.

Vor nicht allzu langer Zeit war die Devise: Tut der Kopf nicht mehr weh, geht es zurück aufs Eis. Doch die Beteiligten im Eishockey sind sensibler geworden.

Foto: AFP

Das Training ist vorbei. Der Weg zur Wohnung wird zur Qual. Dort angekommen, gilt der erste Griff den Rollladen. Dunkelheit — wenigstens ein kleines bisschen Entspannung für den Kopf. So beschreibt Colin Long seine Gefühlslage im vergangenen Sommer. Colin Long ist Eishockeyspieler. Besser gesagt, er war es. Eine beziehungsweise mehrere Gehirnerschütterungen verhindern derzeit eine Fortsetzung seiner aktiven Karriere. Momentan überbrückt er die Zeit bei der Düsseldorfer EG, die den 23-Jährigen für die laufende Spielzeit eigentlich als Stürmer für die erste Reihe verpflichtet hatte, als Assistenztrainer.

Prominente Fälle in der NHL

Long ist kein Einzelfall: In der Deutschen Eishockey Liga (DEL) kam es in der vergangenen Saison zu doppelt so vielen Gehirnerschütterungen wie in den Jahren zuvor. Stefan Ustorf (Eisbären Berlin) pausiert seit vergangenem Dezember — seine Rückkehr ist ungewiss. In der nordamerikanischen Eishockey-Liga NHL gab es in Sidney Crosby einen sehr bekannten Fall. Er benötigte eine lange Genesungszeit, bis er wieder am Trainings- und Spielbetrieb teilnehmen konnte.

Auch in Düsseldorf ist die Gehirnerschütterung ein leidiges Thema. Neben Long muss auch Michael Catenacci derzeit aussetzen. Der Stürmer wurde im September von Münchens Viktor Ekbom übel gecheckt — seitdem ist an Sport nicht mehr zu denken. Henry Martens kehrte mit der gleichen Verletzung erst spät aufs Eis zurück.

Schwierige Diagnose

Doch warum ist eine Gehirnerschütterung in manchen Fällen extrem langwierig und in anderen wiederum nicht? Neurologe Rafael-Michael Löbbert, der die Spieler der DEG behandelt, erklärt: "Die Verletzung ist schwierig zu diagnostizieren. Es geht hauptsächlich um die Beschreibung der Symptome. Wir können nichts messen. Wir sind auf die Beschreibungen des Patienten angewiesen."

Vor nicht allzu langer Zeit war deshalb die Devise: Tut der Kopf nicht mehr weh, geht es zurück aufs Eis. "Eishockey oder American Football sind gefährdete Sportarten in dieser Hinsicht. Doch da sind die Spieler auch hart, da spielt man einfach weiter", sagt der 51-Jährige.

Hohe Empfindlichkeit für Licht und Lautstärke gehören ebenso zu den typischen Symptomen wie verminderte Belastbarkeit und Kopfschmerzen. Die DEL hat sich des Themas nun angenommen. Vor dieser Saison mussten die Spieler aller Vereine, um eine Lizenz zu bekommen, neben der kardiologischen auch erstmals eine neurologische Untersuchung durchführen lassen. Im Scat-Test (Sport Concussion Assessment Tool) werden kognitive Funktionen, Balance- und Koordinationsfähigkeiten getestet, um im gesunden Zustand Ausgangswerte festzulegen.

Bei den Tests müssen willkürliche Zahlenreihen oder die Monate in umgekehrter Reihenfolge wiedergegeben werden. "Sollte eine Verlangsamung feststellbar sein, wird der Spieler aus dem Trainings- und Spielbetrieb genommen", erklärt der Arzt. Auf die Dauer der Verletzung haben die Mediziner keinen Einfluss. Einzig Kopfschmerzen können medikamentös behandelt werden.

Checks werden härter geahndet

Die Chance auf eine vollständige Genesung variiert stark. "Es spielen auch psychische Faktoren eine Rolle. Man steigert die Belastung behutsam. Sobald Beschwerden wieder auftreten, muss unterbrochen werden. Generell kann das zum Karriereende führen", sagt Löbbert.

Um die Anzahl der Verletzungen wieder zurückzuschrauben, hat die DEL neben der neurologischen Untersuchung auch eine härtere Verfolgung der Checks gegen den Kopf- und Nackenbereich eingeführt. Löbbert sieht die Verantwortung aber eher bei den Akteuren: "Prävention ist ein wichtiges Thema. Das fängt beim Spieler selbst an, der lernen muss, den Kopf oben zu haben und die Körperspannung zu halten. Eishockey ist ein Kontaktsport. Wenn ich keine Checks mehr fahren kann, ist es kein Eishockey mehr." Statt die Regeln zu ändern, spricht sich der Neurologe zudem für eine Verbesserung der Ausrüstung aus: "Ich plädiere für bessere Helme, die den Aufprall besser absorbieren."

Colin Long hat sich bereits eine verstärkte Kopfbedeckung besorgt. Bis der US-Amerikaner diese aber in der DEL zur Schau stellen kann, dauert es vermutlich noch eine Weile. Zumindest den Rollladen benutzt er aber mittlerweile nur noch nachts.

(RP)
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