Vor dem Masters 2021 Gabriel Clemens – und dann?

In London feierte der „German Giant” aus dem Saarland den größten Erfolg der deutschen Dartsgeschichte. Trotzdem blickt er zwiespältig zurück. Wo der deutsche Dartsport steht.

 Gabriel Clemens ist derzeit die deutsche Nummer eins.

Gabriel Clemens ist derzeit die deutsche Nummer eins.

Foto: dpa/John Walton

Nach der Weltmeisterschaft ist vor dem Masters. Am letzten Januarwochenende versammelt sich die Darts-Elite im englischen Milton Keynes zum nächsten Major-Turnier. Waren in den vergangenen Jahren nur die besten 16 der Weltrangliste geladen, wurde in diesem Jahr das Teilnehmerfeld auf 24 aufgestockt. Angeführt vom neuen Weltmeister Gerwyn Price, der sich durch das Preisgeld von 500.000 Pfund an die Spitze der Weltrangliste setzte und nach sieben Jahren den Niederländer Michael van Gerwen vom Platz an der Sonne verdrängte.

Deutsche Teilnehmer sucht man in der Auslosung allerdings vergeblich – in der „Order of Merit” ist Gabriel Clemens aus Saarwellingen der am höchsten platzierte Spieler aus Deutschland, er rangiert auf Position 29. Bei der Weltmeisterschaft 2021, die im Dezember und Januar in London ausgetragen wurde, schrieb der 37-Jährige deutsche Dartsgeschichte – und das gleich in mehrfacher Hinsicht. So war Clemens Teil des ersten Aufeinandertreffens zweier deutscher Spieler auf der WM-Bühne. In der zweiten Runde traf er auf Nico Kurz, der zuvor den ehemaligen WM-Finalisten Andy Hamilton bezwungen hatte. So war schon bei der Auslosung klar, dass es bei einem Sieg von Kurz in der ersten Runde dieses Aufeinandertreffen zweier Freunde geben wird, die sich aus zahlreichen Duellen etwa aus der Super League kennen. Auf der einen Seite schade, dass einer der beiden schon früh ausscheiden musste, auf der anderen Seite, so waren sich die beiden einig, stand so zumindest ein Deutscher in Runde drei, was bis dato auch das beste Abschneiden eines Sportlers aus der Bundesrepublik bedeutete. Bei der WM 2020 etwa standen Nico Kurz und Max Hopp in dieser Runde.

Während zuvor jedoch dann jeweils Schluss war, gelang Gabriel Clemens bei der diesjährigen Ausgabe der nächste Schritt. Gegner auf der großen Bühne war übrigens kein geringerer als der amtierende Weltmeister und Weltranglistenzweite Peter Wright. Gegen „Snakebite“ war der Deutsche selbstverständlich in der Außenseiterrolle. Und doch gewillt, für die große Überraschung zu sorgen. Er lieferte von Beginn an ein starkes Match und nahm Wright zwei der ersten drei Sätze ab. Dieser spielte bei weitem kein schlechtes Spiel, doch Clemens trumpfte ein ums andere Mal auf und siegte schließlich im Entscheidungssatz.

Da war er also, der erste deutsche Spieler in der vierten Runde. Im Achtelfinale hätte der „German Giant“ seine Erfolgsgeschichte durchaus um ein weiteres Kapitel erweitern können. Der Pole Krzysztof Ratajski war aufgrund der Weltranglistenposition zwar favorisiert, doch der Saarländer wusste, wer Wright schlagen kann, braucht sich auch vor Ratajski nicht verstecken. Spielerisch gelang es nicht, an das Match gegen den Weltmeister anzuknüpfen. Doch an Spannung war das Achtelfinalspiel nicht zu überbieten. Der „Polish Eagle“ legte jeweils vor, Clemens zog nach. So schaukelte sich das Spiel immer weiter hoch, bis in das entscheidende Leg. Und ausgerechnet hier im letzten Satz zeigten beide Kontrahenten Nerven und vergaben beide zahlreiche Matchdarts. Sieben waren es bei Clemens, Ratajski nutzte schlussendlich den zehnten.

„Ich bin sauer auf mich selbst“, sagte Clemens nach dem Spiel. Denn die Chance, noch weiter im Turnier zu bleiben, war da. So blickt der Saarländer trotz des Erfolges, ins Achtelfinale eingezogen zu sein, mit gemischten Gefühlen zurück auf die Weltmeisterschaft. Das spricht für den 37-Jährigen, der erst im Jahr 2018 die Tourcard erspielte und alles auf die Karte „Darts“ setzte. Der Erfolg gibt ihm recht. Clemens ist auf gutem Wege, sich in der erweiterten Weltspitze festzusetzen, kann an guten Tagen mit den besten der Welt nicht nur mithalten, sondern sie auch schlagen. Es ist an ihm zu zeigen, dass er diese Leistung regelmäßig abrufen kann. Dann nämlich kann es für ihn noch weiter nach oben gehen in der Rangliste.

Inzwischen ist Clemens an Max Hopp in der „Order of Merit“ vorbeigezogen. Hopp galt lange als die große Dartshoffnung in Deutschland. Das lag vor allem an den Erfolgen, die er bereits in jungen Jahren einfahren konnte. Mit 16 spielte er seine erste Weltmeisterschaft, mit acht Teilnahmen am größten Turnier ist er der deutsche Rekordhalter – und das mit gerade einmal 24 Jahren. 2015 holte er den Junioren-Weltmeistertitel gegen einen gewissen Nathan Aspinall, der mittlerweile die Nummer fünf der Welt ist und 2019 und 2020 jeweils im WM-Halbfinale stand. Hopp ist mit seinen 24 Jahren kein Talent mehr, zu selten gelingt es ihm den hohen Erwartungen gerecht zu werden. Sowohl den eigenen als auch den medialen und öffentlichen, die aufgrund seiner frühen Erfolge stets gewachsen sind. Einige Highlights gelangen dem 24-Jährigen, der im sächsischen Kottengrün lebt. 2018 gewann er die German Open, besiegte auf dem Weg zum Titel unter anderem Peter Wright, Joe Cullen, Rob Cross und Michael Smith. Bringt Hopp die Konstanz zurück in sein Spiel, kann er als Nummer 39 der Welt auch wieder den Sprung zurück in die Top 32 schaffen. Potenzial für mehr ist vorhanden, doch es auf den großen Bühnen dieser Welt abzurufen, damit hatte Hopp in der Vergangenheit so seine Probleme. Vielleicht tut es ihm und seinem Spiel gut, dass er sich aktuell im Schatten von Gabriel Clemens weiter entwickeln kann, der künftig wohl mehr im medialen Fokus stehen wird.

Der nächste Deutsche in der Weltrangliste ist Martin Schindler, der auf Position 67 gerankt ist. 2018 und 2019 nahm er jeweils an der Weltmeisterschaft teil, die vergangenen beiden Ausgaben verpasste er jedoch. Bei der WM 2021 sogar denkbar knapp im letzten Qualifikationsturnier vor der WM, als er im Enspiel stand. Besonders bitter: durch die Nichtteilnahme rutschte Schindler auch aus den Top 64 der Welt und musste aufgrunddessen die Tourcard abgeben. Die berechtigt automatisch dazu, alle Pro Tour-Turniere spielen zu dürfen und gibt zwei Jahre Planungssicherheit. Auch bei Schindler ist es eher der Kopf als das Talent, was dafür Sorge trägt, dass er seinen eigenen Ansprüchen hinterherhinkt.

Nico Kurz hat mit seinen starken Auftritten bei den Weltmeisterschaften 2020 und 2021 für Aufsehen gesorgt und gezeigt, dass er das Potenzial hat, sich auf der großen Bühne zu beweisen. Qualifiziert hatte er sich jeweils über die Super League. Bei den anderen Turnieren auf der Tour taucht der Hesse, der über seine Eltern zu dem Sport gekommen war, allerdings nur selten auf. Das liegt auch daran, dass Kurz bislang Darts nur als Hobby angeht, neben seiner Vollzeit-Beschäftigung. In diesem Jahr möchte er allerdings an der Q-School teilnehmen und sich dort eine Tour-Card erspielen. Diese Turniere werden vom 8. bis zum 17. Februar gespielt, die UK-Variante in Milton Keynes, die für den Rest Europas in Niedernhausen. Dort wird Kurz, ebenso wie Martin Schindler, versuchen, sich eine der begehrten Karten zu sichern. Doch die Konkurrenz ist groß, so ist unter anderem auch der fünffache Weltmeister Raymond van Barneveld mit dabei, den nach seinem Rücktritt nach der WM 2020 noch mal die Lust gepackt hat. Einfach wird es aber auch für ihn nicht.

Auch Christian Bunse möchte sich seine Tourcard zurückholen. Er hatte 2019 eine erspielt. Drei Achtelfinalteilnahmen gelangen dem Paderborner in dieser Zeit. Die ganz große Aufmerksamkeit erlangte er durch diese Platzierungen noch nicht, doch spielte er so nur minimal weniger Preisgeld ein als Nico Kurz, der dies vornehmlich über die Weltmeisterschaften tat.

Auch wenn die Einschaltquoten in Deutschland bei der Weltmeisterschaft bei Sport1 weiter gestiegen sind (Dazn veröffentlicht keine Quoten), so konzentriert sich das Interesse der Zuschauer doch stark auf die Weltmeisterschaft, die anderen Turniere finden weitaus weniger Beachtung. Auch der ganz große Erfolg eines deutschen Spielers fehlt weiterhin, der in der Bundesrepublik einen echten Darts-Hype auslösen könnte. Und zwar die Leute nicht vor den Fernseher lockt, sondern selbst ans Board. So wie Raymond van Barneveld es mit seinen WM-Titeln in den Niederlanden schaffte. Lange wurde Max Hopp dieser große Wurf zugetraut, aktuell ruhen die Hoffnungen mehr auf Gabriel Clemens. Das Zeug dazu hätte der Saarwellinger auf jeden Fall. Und vielleicht sehen wir dann in den kommenden Jahren auch einen deutschen Starter beim Masters.

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