„Es war unverantwortlich“ Sechs Coronafälle nach Skandal-Boxturnier in London

Drei Boxer und drei Trainer sind nach dem Quali-Turnier in London mit Corona infiziert - das IOC muss sich rechtfertigen. Im deutschen Lager hat man Konsequenzen gezogen.

 Leere Zuschauerränge beim Olympia-Qualifikationsturnier in London.

Leere Zuschauerränge beim Olympia-Qualifikationsturnier in London.

Foto: dpa/Adam Davy

Michael Müller ist immer noch sauer, wenn er an das Skandalturnier von London denkt. Inmitten der Coronakrise tummelten sich vor gut einer Woche mehr als 300 Boxer in der Halle an der Copper Box und kämpften unter höchster Ansteckungsgefahr um Olympia-Tickets. Mittlerweile stellte sich heraus, dass drei Kämpfer sowie drei Trainer aus der Türkei und Kroatien infiziert sind.

"Ich bin heute noch heilfroh, dass dieses Turnier abgebrochen wurde", sagte Müller, Geschäftsführer des Deutschen Boxsport-Verbandes (DBV), dem SID. Die Task Force des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hatte auf der Durchführung bestanden, obwohl die Ansteckungsrate auch in London längst in die Höhe geschnellt war.

Zwei türkische Boxer und deren Trainer sowie einen Boxer und zwei Coaches aus Kroatien hat es erwischt. "Es war unverantwortlich", sagte der türkische Verbandspräsident Eyüp Gözgec und kündigte eine schriftliche Beschwerde an das IOC an, zumal sowohl in der Halle als auch in den Athletenhotels die medizinischen Vorkehrungen unzureichend gewesen sein sollen.

Das IOC war mit seiner Box Task Force (BTF) für die Austragung zuständig, nachdem der Weltverband AIBA im vergangenen Jahr suspendiert worden war. Die BTF wies die Vorwürfe am Donnerstag zurück. Ein Zusammenhang zwischen den positiven Tests und der Veranstaltung sei nicht bekannt.

"Viele Teilnehmer waren vor Beginn der Wettkämpfe in unabhängig organisierten Trainingslagern in Italien, Großbritannien und in ihren Heimatländern und sind vor einiger Zeit nach Hause zurückgekehrt, so dass es nicht möglich ist, die Infektionsquelle zu kennen", hieß es in einem Statement.

In den ersten Tagen des Turniers waren sogar noch Zuschauer zugelassen, die sich Schulter an Schulter in den Sitzreihen drängten. "Es wäre doch kein Problem gewesen, nur jeden vierten Platz zu besetzen", sagte Müller, der zwar Hygienespender ausfindig machte, ansonsten aber auch von unzureichenden Maßnahmen sprach.

Als die erste Nachricht von den infizierten türkischen Boxern bekannt wurde, ging auch der DBV noch einmal in die Recherche. Sein Leichtgewichtler Kastriot Sopa hatte mit Tugral Erdemir sogar einen türkischen Gegner, doch eine Ansteckung liegt bislang nicht vor.

"Wir hatten ansonsten kaum Kontakt zum türkischen Lager", berichtet Müller. Die türkische Staffel war in einem anderen Hotel untergebracht, beim Essen oder im Fahrstuhl begegnete man sich nicht. "Nachdem das Turnier abgebrochen wurde, haben wir reagiert und alle Athleten in eine 14-tägige Quarantäne geschickt", so Müller.

Doch es gibt weitere Probleme. Wie der türkische Verband wartet auch der DBV noch auf eine Rückzahlung von rund 40.000 Euro von der Task Force des IOC für die Buchung ungenutzter Zimmer. "Wir benötigen das Geld, weil das Qualifikationsturnier fortgesetzt werden soll", sagte Müller.

Federgewichtler Hamsat Schadalow (Berlin) ekämpfte in London ein Olympia-Ticket, weitere deutsche Boxer müssen ein zweites Mal ran. Nach der Verschiebung der Olympischen Spiele wegen der Coronakrise wäre für Müller eine Verlegung um genau ein Jahr ab dem 24. Juli 2021 die optimale Lösung. "Dann hätten wir die wenigsten Einbußen, könnten unsere jetzigen Buchungen einfach in Reservierungen fürs nächste Jahr ändern", sagtete der DBV-Funktionär.

(ako/sid)
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