Portrait eines Basketball-Superstars Mensch Dirk

Dallas · Deutschlands vielleicht größter Sportler hat den Basketball revolutioniert - und doch am meisten mit seinem Charakter imponiert. In der Nacht zu Mittwoch gab Nowitzki sein Karriereende bekannt.

 Dirk Nowitzki vor seinem letzten Heimspiel in Dallas.

Dirk Nowitzki vor seinem letzten Heimspiel in Dallas.

Foto: dpa/Tony Gutierrez

Pelé, Ali, Kaiser Franz - Die Größten brauchen keinen vollen Namen. Zum Glück, denn die korrekte Aussprache oder gar Schreibweise von “Nowitzki” bleibt vielen Amerikanern ein Rätsel, auch nach 20 Jahren. Ausgerechnet vor der Partie vor rund einem Jahr, in der Nowitzki den Meilenstein von 50.000 Spielminuten erreichte, stickte selbst Dallas’ Zeugwart versehentlich “NOWITKZI” auf dessen Trikot. Die Fans lachten sich schlapp. Nowitzki war es herzlich egal, ihn wurmte, dass das Spiel verloren ging. Nun hat der 40-Jährige sein Karriereende bekannt gegeben.

Die frühen, eher beschreibenden Spitznamen, “German Wunderkind” etwa, sind längst überflüssig geworden. “Irk” nennt ihn auch niemand mehr, anders als in den Anfangsjahren, als Nowitzki kein Defensivspiel vorweisen konnte, auf Englisch: “No D”. Gemeinsam mit den Namen der größten Basketballer aller Zeiten - Michael, Kobe, LeBron, Kareem, Wilt - wird längst auch seiner genannt: Dirk. Mit ö, wie Captain Kirk. Seit dem NBA-Titel 2011 auch: “Dirkules”. Wie die amerikanische Aussprache von Herkules.

Die Geschichte von Dirk Nowitzki

Nowitzkis Geschichte klingt wie ein Märchen: ein schüchterner Junge mit einem geheimnisvollen Mentor verlässt sein Elternhaus zwischen Weinbergen, um einen ganzen Sport nicht nur zu erobern, sondern auch zu revolutionieren - und findet nach vielen Rückschlägen neben Erfolg auch die Liebe. Doch das Märchen ist wahr.

Nowitzki tritt ab als Best of aller sonstigen deutschen Sporthelden: Perfektionistisch wie Michael Schumacher, aber fair wie Henry Maske. Magnetisch wie Franz Beckenbauer, aber bodenständig wie Timo Boll. Dabei wollte er eigentlich nur vermeiden, den Malerbetrieb seines Vaters übernehmen zu müssen: “Dafür hatte ich zwei linke Hände; das wären lange 40 oder 50 Jahre geworden.” Sport also sollte es sein - aber welcher? Nowitzki schafft es sowohl im Tennis als auch im Handball in die Bayern-Auswahl. Basketball entdeckt er erst mit 12 für sich, spürt dort aber ein ungewohntes Gefühl, eine Art Geborgenheit: Körperlich sticht er ausnahmsweise mal nicht heraus. Sportlich bald schon.

Als 16-Jähriger darf er am Training von Würzburgs Zweitliga-Team teilnehmen, wenig später trifft er Holger Geschwindner. Der kauzige Coach mit den Holzfällerhemden treibt ihn zu unkonventionellen Workouts etwa im Handstand, lässt ihn fechten und rudern, versorgt ihn mit Lesestoff und Musik. Autor André Voigt (“Planet Basketball”) vergleicht die Beziehung zwischen dem rätselhaften Lehrer und dem manchmal zweifelnden Schüler mit Kung-Fu-Filmen.

Dirk Nowitzki – Würzburger, Basketball-Star, NBA-Legende
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Das ist Dirk Nowitzki

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Im März 1998 führt Nowitzki eine Jugend-Weltauswahl in San Antonio zum Sieg gegen die besten US-Teenager – er macht 33 Punkte und 14 Rebounds, fünf seiner Gegenspieler fliegen vom Platz, weil sie sich nur mit Fouls behelfen können. Drei Monate später nehmen die Dallas Mavericks Nowitzki unter Vertrag. 8350 Kilometer entfernt vom beschaulichen Würzburg erleidet der einen Kulturschock: Viele Spieler sind millionenschwere Maulhelden, die Teambesitzer Milliardäre, Reporter und Fans gieren nach Superstars. Nowitzki will nur spielen.

In seiner ersten NBA-Saison wird der Neuling hart angegangen. Nur mit Mühe können ihn seine Vertrauten überreden zu bleiben anstatt aufzugeben und in Europa sein Glück zu suchen, auf niedrigerem Niveau. In den Jahren danach wird er stetig besser, doch 2004 verkauft Mavs-Besitzer Mark Cuban vorschnell ausgerechnet Steve Nash, Nowitzkis Passgeber und besten Freund. Notgedrungen wird Nowitzki nun selbst zum Anführer, auf seine Art. Doch wie im Film muss er zunächst an einer verheerenden Niederlage wachsen.

2006 trägt er seine Mavericks ins NBA-Finale, in dem die ersten drei der zum Titel notwendigen vier Siege bereits sicher scheinen. Stattdessen gehen erst das Spiel und dann die gesamte Serie an die Miami Heat. Danach schafft es Nowitzki “wochenlang nicht aus dem Haus”. Im Jahr darauf kommt es noch schlimmer: Bereits in der ersten Playoff-Runde fliegen die nun hoch gehandelten Mavericks raus - und wie zum Hohn muss Nowitzki einige Tage danach so tun, als freue er sich über die Trophäe für den wertvollsten Spieler der regulären Saison. Nowitzki ist voller Frust, Fragen und Selbstzweifel; fluchtartig verlässt er Dallas und reist mit Geschwindner (damals 62) ans Ende der Welt, ins australische Outback. “Mein kleiner Kreis von Freunden und Verwandten hat mich immer aufgebaut, wenn ich am Boden war - und runtergeholt, wenn ich zu hoch geflogen bin”, sagt er heute. In der Wüste findet er, einmal mehr mit Hilfe seines väterlichen Freundes, eine Art Erleuchtung.

In den nächsten Jahren spielt er immer effizienter, cooler, klüger - einen Titelgewinn aber traut dem angeblich zu “weichen” Europäer niemand mehr zu. Schon gar nicht 2011, gegen das Superteam aus Miami, wo sich der weltbeste Spieler LeBron James vor dieser Saison mit Nowitzkis Erzrivalen Dwyane Wade und einem weiteren Star zusammengetan hat. “Wenn die mich angerufen hätten, hätte ich schon überlegen müssen”, gibt Nowitzki im Sommer 2010 zu. Aber er bleibt in Dallas - und formt ein echtes Team aus seinen Mitspielern, die zuvor allesamt anderswo aussortiert worden als zu alt oder zu klein. Wie in einem Videospiel pflügen sie durch die Playoffs, doch im Finale wartet der Angstgegner Miami, stärker denn je. Niemand gibt Nowitzki eine Chance, zumal er gegen Fieberschübe kämpft und mit einer gerissenen Sehne im Finger. Aber am Ende steht er ganz oben und vergießt Freudentränen. Die Meisterschaft ist ein Triumph der Disziplin (“jedes Jahr nur zwei trainingsfreie Wochen - und während der Saison kein Eis, kein Alkohol, keine Pizza”), der Leidenschaft und der Loyalität zum nicht unumstrittenen Holger Geschwindner wie auch zu den Dallas Mavericks. Wäre er stets zum höchstbietenden Team gewechselt - Nowitzki hätte 200 Millionen Dollar mehr verdient. Viel Geld auch für einen, der trotzdem “immerhin” 250 Millionen Dollar erhält.

Dirk Nowitzki ging es nie um Geld

Bei seinen wenigen Sponsoren-Deals versuchte er stets auch etwas für die Nationalmannschaft herauszuholen, für die er seit 1997 mehr als 150 Mal auflief - egal, wie sehr das seinem Arbeitgeber missfiel. Auch dort geht er durch harte Jahre, in denen er der undankbaren Rolle des Über-Spielers nicht entkommen kann.

Bei der EM 2001 ist eine Medaille zum Greifen nah. Doch im Halbfinale gegen die türkischen Gastgeber entspinnt sich ein Drama: Nowitzki vergibt sieben Freiwürfe - zum ersten und einzigen Mal seiner Karriere -, und fliegt zudem vom Feld. Deutschland landet auf Platz vier. Im Halbfinale der WM 2002 leistet sich Nowitzki kurz vor Schluss einen Ballverlust, aber am Schluss steht WM-Bronze. Zur EM 2003 reist das Team mit breiter Brust, scheitert aber noch vor dem Viertelfinale. Damit platzt auch der Traum von den Olympischen Spielen 2004.

Die EM 2005 in Serbien droht zum Desaster zu werden: mehrere Schlüsselspieler fehlen verletzt, und Nowitzki hat damit zu kämpfen, dass sein Mentor Holger Geschwindner wegen Steuerhinterziehung in Untersuchungshaft sitzt. Zu manchem Training schleppt Dirk deshalb seine schwangere Schwester Silke mit in die Halle. Das Turnier aber dominiert er derart, dass Bogdan Tanjevic, der Trainer der Türkei, ihn mit Gott höchstpersönlich vergleicht. Erst im Finale gegen Griechenland ist Schluss, Deutschland holt Silber. Nowitzki erhält die Trophäe für den wertvollsten Spieler des Turniers - und Standing Ovations von 20.000 Fans des Gegners Griechenland, als er in der Schlussphase ausgewechselt wird. “Das war sein Höhepunkt”, sagt Mitspieler Marko Pesic über Nowitzkis Niveau. ”Dirk war unmenschlich gut. Und hätte er nur ein, zwei Würfe weniger getroffen, wären wir Achter geworden.” Mit einer weiteren Energieleistung bringt Nowitzki das Nationalteam zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking, wo er auch die deutsche Flagge tragen darf. Danach nimmt er eine Auszeit vom Nationalteam, wie er es dem Besitzer seiner Dallas Mavericks versprochen hat.

Nach seinem Comeback stimmt die Balance im Nationalteam nicht mehr. Obwohl Nowitzki nichts ferner liegt, scheint seine Anwesenheit seine Mitspieler zu lähmen. Sein letztes Spiel mit dem Adler auf der Brust absolviert er bei der EM 2015, bei der nach mehreren hauchdünnen Niederlagen gegen Italien, die Türkei und Spanien bereits in der Gruppenphase Schluss ist. Die jungen Deutschen sind, wenn man so will, besser als Nowitzkis Mitspieler in Dallas. Nach der Meisterschaft 2011 läuft dort nicht mehr viel zusammen, aber diesen Titel kann ihm niemand nehmen, ebensowenig wie die zwei Medaillen und die Olympia-Teilnahme mit Deutschland. Seine wohl größte Leistung aber ist der Impuls für einen Kulturwandel, beschrieben in diesem Text: “Wir Amerikaner verlangen, dass unsere Stars dominieren, zerstören, keine Schwäche zeigen, auf Humor verzichten es sei denn um ihre Gegner nachzuäffen, Zweifel ignorieren, ihre Ängste negieren und an ihre eigene Heldenhaftigkeit glauben. Aber das ist dämlich. Mutig ist, was Nowitzki tat: Sich selbst treu bleiben - und seinen Gegnern entwischen, anstatt sie zu überrollen.”

Die nächsten Jahre nun wird Nowitzki in einem Fünf-Mann-Team verbringen, das ihm lieber ist als die beste Basketball-Aufstellung der Welt: mit seiner Frau Jessica und den drei gemeinsamen Kindern.

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