Wie der Sport mit Lärm umgeht Quiet please!

Düsseldorf · So vielfältig der Sport, so unterschiedlich ist sein Verhältnis zur tolerierten Geräuschkulisse im laufenden Wettkampf. Während im Schach Räuspern einer Straftat gleichkommt, soll Lärm woanders den Gegner gezielt entnerven.

 Boris Becker bei den Olympischen Spielen 1992.

Boris Becker bei den Olympischen Spielen 1992.

Foto: imago/Pressefoto Baumann/imago sportfotodienst

Das Licht ist fahl. Es riecht wie in einer Kirchenbank. In den weinroten Ledersesseln gerät Atmen zur barbarischen Sitte, Räuspern zur Straftat. Böse Blicke erntet, wessen Schritte den Parkettboden zum Knarren bringen. Schuhe mit Absätzen knallen hier wie Pistolenschüsse. Würden Blicke Lärm erzeugen, es dürfte hier im Halbdunkel niemand sitzen. Hier, wo nur ein einseitig durchsichtiger Opernvorhang Normalsterbliche von zwei Männern trennt, die mit Gehirnzellen zu jonglieren scheinen.

Zehn Jahre ist es inzwischen her, dass ich bei der Schach WM in der Bonner Bundeskunsthalle erfuhr, wie leise Sport vonstatten gehen kann. Wladimir Kramnik dachte damals gegen Weltmeister Viswanathan Anand. Denken ist eben nach wie vor der leiseste Bestandteil menschlichen Handelns. Da macht der Sport keiner Ausnahme. Und wo Sport wie beim Schach als Denksport daherkommt, bilden Zuschauer eben einen tonlosen Rahmen. Sie denken schließlich mit, was die zwei Oberdenker auf der Bühne wohl als nächstes denken.

Alle Sportler des Jahres seit 1990
79 Bilder

Alle Sportler des Jahres seit 1990

79 Bilder
Foto: dpa/Patrick Seeger

Ein Schachduell ist dann auch der eine Pol, wenn es darum geht, einmal der Frage nachzugehen, wie es der Sport so mit Stille hält während des Wettkampfs. Wie viel Lärm ist erlaubt? Wie viel gewünscht? Wo ist eine Geräuschkulisse Teil des Spektakels, wo ein unfairer Akt? Wo ist Lautstärke Teil sportlicher Taktik, wo Eigenleben der Zuschauer? Schnell wird klar: Der Sport als Ganzes hat keine einheitliche Haltung zu Lärm. So breit die Palette der Sportarten, so unterschiedlich ist ihr Verhältnis zur tolerierten Unruhe.

Im Tennis wird das Bedürfnis der Spieler nach Ruhe auf den Rängen vielleicht so deutlich wie in keiner anderen Sportart. Das „Quiet please“ des Stuhlschiedsrichters in Richtung der Fans, das „Ruhe bitte“, gehört zum Spiel dazu wie gelbe Bälle und gerissene Schlägersaiten. Und wer als Zuschauer explizit auszumachen ist als Störenfried, der findet sich häufig genug im Fokus der TV-Kamera wieder. Im Moment, in dem er noch seinen Platz sucht oder sein Handy brummt. Profis brechen die Aufschlagbewegung ab, wenn zu laut gehustet wird, dafür sieht sich der Gegner wenige Ballwechsel später nicht in der Lage, zum Return anztreten, weil einer jemand Anfeuerungsruf losgelassen hat.

Darts-WM 2019: Die schrägen Kostüme der Darts-Fans
17 Bilder

Die schrägen Kostüme der Darts-Fans

17 Bilder
Foto: dpa/Mike Egerton

Doch in den vergangenen Jahren geht es der Quiet-please-Etikette an den Kragen. So breitet sich aus den USA eine „Free-Movement-Policy“ aus, also eine Richtlinie, die es den Zuschauern erlaubt, sich frei zu bewegen während des Spiels. US-Colleges führten 2015 diese neue Regel ein. Zwischenrufe sind demnach nicht verpönt, sondern sogar erwünscht. „Tennis hat so eine bestimmte Vorstellung von sich. Du musst ruhig sein und Erdbeeren mit Sahne essen. Ich mag das nicht“, erklärte der Initiator, David Roditi, ein Tennislehrer aus Texas.

Ähnlich viel Wert auf Ruhe wie (noch) beim Tennis legt der Golf-Sport. Hier stellt sich indes eine größere Herausforderung, schließlich wandern die Zuschauern mit entlang der Löcher, und Laufen macht allein ja schon Geräusche. Also stehen so genannte Marshalls mit „Bitte-Ruhe“-Schildern am Rand, die sie in die Höhe recken, sobald sich ein Spieler auf den Schlag vorbereitet. Dann sind Gespräche untersagt, und Gäste im Blickfeld des Spielers sollten sich dann auch bitte nicht mehr bewegen. Konzentration ist eben nicht Lärmes Schwester. Jubel darf sich aber gerne nach erfolgreichem Einlochen Bahn brechen – genauso wie nach der gebannten Stille während einer Dressur-Kür im Reitsport oder einer Turn-Darbietung.

Doch der Sport lässt sich nicht in leise und laute Sportarten unterteilen, es gibt in Sachen Dezibel kein Schwarz und Weiß. Es gibt Übergänge, Mischformen. Die Leichtathletik, zum Beispiel. Natürlich kann man eine Stecknadel fallen lassen hören, kurz bevor für die Sprinter der Startschuss ertönt. Auf der anderen Seite animieren Weitspringer und (Stab-)Hochspringer das Publikum, sie beim nächsten Versuch mit rhythmischem Klatschen zu unterstützen. So sagte Hochspringer Mateuz Przybylko nach seinem EM-Titel von Berlin: „Das Publikum hat mich über die Latte getragen.“

Beim Handball, Basketball, Eishockey oder Volleyball versucht man derweil den sekundengenauen Spagat: Die Party-Hits in den Unterbrechungen brechen sofort ab, wenn es mit dem sportlichen Geschehen weitergeht. Im Handball und Basketball finden sich aber auch Momente, in denen Lärm als tolerierter Eingriff der Fans zugunsten der eigenen Mannschaft toleriert wird. Wer als Gäste-Spieler einen Freiwurf oder Siebenmeter wirft, kennt sie längst, die Versuche der Heimfans, ihn durch Lärm und Bewegungen aus der Konzentration zu bringen.

Diese Störgeräusche sind aus anderen Sportarten inzwischen gar nicht mehr wegzudenken. Im American Football wird das Publikum über die Anzeigetafel gar explizit aufgefordert, laut zu sein, damit die gegnerische Offensive in der Kommunikation ihres Spielzugs behindert wird. Im Fußball werden bestimmte Spieler, die sich vielleicht durch eine Schwalbe Unmut zugezogen haben, verlässlich für den Rest des Spieles ausgepfiffen.

Wobei der Fußball in Sachen Lärm am Ende doch wieder einen eigenen Weg eingeschlagen hat. Weg von situationsbedingten oder Spielverlauf-abhängigen Reaktionen auf den Rängen haben Fan-Gruppen über die Jahre einen monotonen Dauergesang entwickelt, der sich weitgehend vom Geschehen auf dem Rasen abgekoppelt hat. Das wird immer dann deutlich, wenn diese Fans mal wieder einen Stimmungsboykott durchführen.

Aber der Gegenpol zum Schach ist der Fußball nicht. Der Gegenpol heißt Darts. Hier ist Sport Teil der Party, Party Teil des Sports. Wer es nicht glaubt, sollte in diesen Tagen mal die WM im Fernsehen einschalten. Und sich nach einer halben Stunde sagen, wie lustig hier ein „Bitte Ruhe“-Schild wirken würde.

(klü)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort