Unter Auflagen Welt-Anti-Doping-Agentur begnadigt Russland

Victoria · Die russische Anti-Doping-Agentur ist nach drei Jahren unter Auflagen begnadigt worden. Die Entscheidung ebnet Russland den Weg für die uneingeschränkte Rückkehr in den Weltsport.

Dem weltweiten Sturm der Entrüstung zum Trotz hat die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) die russische Anti-Doping-Agentur RUSADA wieder aufgenommen. Drei Jahre nach der Aufdeckung des staatlich gedeckten Dopingsystems wird Russland damit auf höchst fragwürdige Weise rehabilitiert - die WADA befördert sich mit diesem Beschluss gleichzeitig in eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise.

"Heute hat das Exekutivkomitee der WADA mit großer Mehrheit entschieden, die RUSADA unter strikten Voraussetzungen wieder aufzunehmen", teilte WADA-Chef Craig Reedie mit. Die Exekutive soll mit 9:2 Stimmen für eine Wiederaufnahme votiert haben. "Die Entscheidung ist verbunden mit einem klaren Zeitplan, nach dem der WADA Zugang zum Moskauer Anti-Doping-Labor und den darin vorhandenen Proben gewährt werden muss", führte Reedie aus. Sollte dieser Zeitplan nicht eingehalten werden, würde es die Exekutive unterstützen, die RUSADA wieder zu suspendieren.

"Die Entscheidung der WADA, die RUSADA zum jetzigen Zeitpunkt als compliant, also regelkonform arbeitend, einzustufen, ist ein herber Rückschlag für uns. Die Entscheidung setzt ein falsches Signal", teilte Andrea Gotzmann, die Vorstandsvorsitzende der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA) in einer ersten Reaktion mit: "Das Vertrauen in die WADA ist massiv erschüttert. Die Vision von einem unabhängigen Regelungsgeber ist mit der heutigen Entscheidung des WADA-Exekutiv-Komitees zerstört worden."

"Das ist ein echter Witz und ein Schlag ins Gesicht eines jeden sauberen Athleten", hatte Travis Tygart, Chef der US-Anti-Doping-Agentur USADA, vor der Entscheidung gesagt. Whistleblower Grigorij Rodtschenkow, die Schlüsselfigur der Russland-Suspendierung im November 2015, sprach von einer "Katastrophe für den sauberen Sport".

Schließlich hatte die WADA entscheidende Forderungen für die Wiederaufnahme der RUSADA urplötzlich per Handstreich aufgeweicht. Das geht aus mehreren Schreiben zwischen Reedie, WADA-Generaldirektor Olivier Niggli und dem russischen Sportminister Pawel Kolobkow hervor, der 2016 Strippenzieher Witali Mutko abgelöst hatte.

So mussten die Russen offenbar nicht mehr den McLaren-Report, sondern nur noch den weniger strikt formulierten IOC-Report des Schweizers Samuel Schmid anerkennen, der unter anderem die direkte Beteiligung der Regierung und des Geheimdienstes FSB ausklammert. Davon war in der Mitteilung am Donnerstag nicht die Rede.

Am vergangenen Freitag hatte der unabhängige Compliance-Prüfungsausschuss CRC der WADA empfohlen, die RUSADA nach drei Jahren wieder aufzunehmen. Als Grund nannte der CRC, dass die RUSADA die zwei noch offenen (aber eben nicht mehr so strengen) Bedingungen erfüllen würde. Drei Tage zuvor hatte es noch danach ausgesehen, dass das CRC die Aufrechterhaltung der Suspendierung empfehlen wird.

Durch die WADA-Entscheidung verhärtet sich der Eindruck, dass die formal unabhängige Welt-Anti-Doping-Agentur (zu) stark vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) beeinflusst wird, das angeführt von IOC-Präsident Thomas Bach einen "Schlussstrich" unter die leidige Doping-Affäre ziehen will. Dazu passt, dass die IOC-Athletenkommission bereits am Mittwoch der CRC-Empfehlung "grundsätzlich" zustimmte.

Auch innerhalb der WADA brodelt es gewaltig. Athletensprecherin Beckie Scott trat aus Protest aus dem CRC zurück. Silke Kassner, stellvertretende Vorsitzende des Vereins Athleten Deutschland, hatte die WADA "dringend" aufgefordert, die Entscheidung in der Causa Russland zu vertagen. "Wir brauchen das System, es ist alternativlos. Aber gesetzte Regeln müssen eingehalten werden, sonst brauchen wir die Institution WADA nicht", sagte sie.

Darauf beharrt auch die Athleten-Kommission des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, der sich im Gegensatz zum IOC stets hart gegenüber Russland zeigte. "Unser Anliegen ist einfach: Folgen Sie den Regeln, die Sie selbst gesetzt haben. Sie sind es allen sauberen Athleten schuldig, dass Sie die Hüter eines sauberen Sports sind", heißt es in einem am Mittwoch veröffentlichten Brief der Kommission an Craig Reedie und die WADA.

(sid/sef)
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