Deutschland fehlen Schach-Talente Unter Zugzwang

Solingen/Düsseldorf · Die deutsche Schachbundesliga gilt als stärkste Liga der Welt. Großmeister von der SG Solingen buhlen mit der OSG Baden Baden um die Meisterschaft. Doch deutsche Spieler sucht in den Bestenlisten vergeblich. Woran liegt das?

 Die deutsche Schachbundesliga gilt als stärkste Liga der Welt. Großmeister von der SG Solingen buhlen mit der OSG Baden-Baden um die Meisterschaft.

Die deutsche Schachbundesliga gilt als stärkste Liga der Welt. Großmeister von der SG Solingen buhlen mit der OSG Baden-Baden um die Meisterschaft.

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Die deutsche Schachbundesliga gilt als stärkste Liga der Welt. Großmeister von der SG Solingen buhlen mit der OSG Baden-Baden um die Meisterschaft. Doch deutsche Spieler sucht man in den Bestenlisten vergeblich. Woran liegt das?

Der Schachsport in Deutschland könnte weitaus schlechter dastehen. Knapp 90.000 Spieler gehören 2700 Vereinen im Deutschen Schachbund an. Fast jeder Dritte davon ist jugendlich. Die Zahlen sind zwar leicht rückläufig, doch in anderen Sportverbänden ist der Schwund viel größer. Die Schachbundesliga gilt sogar als "stärkste Liga der Welt". Einen Haken hat die Sache dennoch: Deutsche Spieler findet man in der Weltspitze schon lange nicht mehr. Um einen Weltmeister zu finden, muss man gar bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts zurückblicken.

Der einzige deutsche Schachweltmeister heißt Emanuel Lasker. Er kam 1868 in Berlin zur Welt. Anlässlich seines 150. Geburtstags erklärte der Deutsche Schachbund das Jahr 2018 zum "Lasker-Jahr". Der Berliner verteidigte den WM-Titel 27 Jahre lang - ein ungebrochener Rekord. "Nur Leute, die sich einer Sache ganz und gar widmen, bringen darin Großes zuwege", hatte Lasker einst geschrieben. Damit trifft er ein Kernproblem, das das "königliche Spiel" heute noch hemmt.

Weil Solingen als Förder- und Schachzentrum anerkannt ist, ist das Training der Schachgemeinschaft meist gut besucht. Freitagabends sitzen da an die 50 Jugendlichen und duellieren sich am Brett. "Wir haben eine ganze Reihe Jugendmannschaften. Die Mädchen sind zweimal Deutscher Meister geworden", sagt Herbert Scheidt (73). Seit über 50 Jahren betreut er die Bundesligamannschaft der SG Solingen. Unter ihm wurde sie zwölfmal deutscher Mannschaftsmeister. Doch die schiere Menge etwa an Turnieren und Events, auf die auch der Schachbund anscheinend setzt, zeigt: In Deutschland steht die Breitensport- über der Spitzenförderung, die Masse über der Klasse. "Uns fehlen Nachwuchsspieler, die die Spielstärke und das Talent für die erste Mannschaft haben", sagt Scheidt.

Herausragende Konzentrationsfähigkeit und eine perfekte Gegneranalyse: Nur so könne man zur Spitze aufschließen, sagt Scheidt. Viel Training und Leidenschaft gehörten dazu, die die meisten jungen Spieler aber nicht investieren können oder wollen. Wer wirklich vom Schachsport leben wolle, der sei im Ausland besser aufgehoben. Gerade in Osteuropa und in Asien genießt das Spiel ein hohes Ansehen. Ein höheres jedenfalls als in Deutschland. Anders als Schulen hierzulande, haben Kurse und Talentförderung dort System. Und durch die Erfolge der Spieler ist auch öffentliches Interesse vorhanden.

"Nur die besten 20, vielleicht die besten 30 Spieler der Welt können vom Schachsport leben. Für alle anderen sind die Preisgelder zu niedrig", sagt Scheidt. Selbst Ullrich Krause, Präsident des Deutschen Schachbundes, bekannte kürzlich, er könne "guten Gewissens keinem deutschen Talent empfehlen, Schachprofi zu werden". Fehlende Aufmerksamkeit mache zudem die Sponsorensuche schwierig - selbst in Nordrhein-Westfalen, das durch die SG Solingen, die DJK Aufwärts Aachen und den SV Mülheim Nord gleich durch drei Bundesligavereine repräsentiert wird. Solingen hat in Scheidt und durch eine ansässige Firma finanzielle Stützen. An die OSG Baden-Baden, die ihr "Starensemble" mit einem Jahresetat von 250.000 Euro unterhält, "kommt Solingen nicht dran", so Scheidt.

Ehe Solingen 2016 dennoch spielerisch aufschließen und die Meisterserie Baden-Badens nach zehn Jahren beenden konnte, hatte Scheidt vier Großmeister aus dem Ausland verpflichtet: Anish Giri und Robin van Kampen (beide Niederlande), Pentala Harikrishna (Indien) und Richard Rapport (Ungarn). Viele ausländische Bundesliga-Topspieler wohnen weiter im Ausland - Solingens Harikrishna etwa lebt in Prag. Spieler wie er erhalten pro Einsatz bis zu 5000 Euro.

Für das Kandidatenturnier im März in Berlin, bei dem ein Gegner für Weltmeister Magnus Carlsen (Schweden) ermittelt wurde, hatte sich kein Deutscher qualifiziert. Nun, am ersten Maiwochenende, spielten 16 Bundesligavereine das Saisonfinale aus. Baden-Baden und Solingen buhlten um den Titel - und internationale Großmeister bewegten die Figuren. Für die OSG waren das etwa Alexei Shirov (Lettland) oder Levon Aronian (Armenien). Die Teams sind gleichauf - es wird (wohl noch im Mai) zum Stichkampf kommen.

Scheidt sagt, dass er in Solingen derzeit keinen deutschen Spieler mit dem Potenzial für "ganz oben" sehe. Der Name eines "Wunderkindes" aber kursiert seit ein paar Jahren in der Schachwelt: Vincent Keymer (13) aus Mainz. Kürzlich gewann er das stärkste europäische Open-Turnier und besiegte in der Schlussrunde Solingens Großmeister Rapport. Keymer trägt die Bürde vieler Hoffnungen. Die Eltern versuchen, ihr Kind vor dem Druck zu schützen. Vielleicht wird Keymer ja der nächste Lasker. Wenn, dann ist das sein persönlicher Siegeszug, nicht das Ergebnis deutscher Schachpolitik.

(ball)
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