Dimitrij Ovtcharov Schattendasein

Düsseldorf · Dimitrij Ovtcharov ist Deutschlands bester Tischtennisspieler. In der öffentlichen Wahrnehmung rangiert die Nummer fünf der Welt trotzdem klar hinter Timo Boll. Das stört den 28-Jährigen aber nicht. Er will nur spielen.

Dimitrij Ovtcharov: Deutscher Tischtennis-Star mit ukrainischen Wurzeln
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Das ist Dimitrij Ovtcharov

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Foto: AP/Kin Cheung

Dimitrij Ovtcharov sitzt im Deutschen Tischtennis Zentrum in Düsseldorf. Ihm knurrt der Magen. "Kann ich vor unserem Gespräch kurz etwas zu essen bestellen?" "Klar, kein Thema!" Sekunden später klingelt es bei einem japanischen Restaurant. "Hi, Dima hier, habt ihr was mit Fisch auf der Tageskarte?" Pause. "Risotto?! Nein, das ist zu schwer." Am Ende bestellt er doch Fisch - aber ohne Risotto - und vom Italiener. Ovtcharov gilt als überaus ehrgeizig. Richtige Ernährung ist für ihn der Grundbaustein für sportlichen Erfolg. Ein paar Meter neben ihm hängt im Schaukasten das Zeugnis seiner Hingabe für den Sport. Die Tischtennis-Weltrangliste, Stand Mai 2017. Platz fünf: Dimitrij Ovtcharov, GER. Bester Deutscher, bester Europäer hinter vier Größen aus der Tischtennis-Macht China. Und doch ist es nicht der Name Ovtcharov, den man in Deutschland mit Tischtennis verbindet. Der 28-Jährige steht in der öffentlichen Wahrnehmung klar im Schatten von Timo Boll.

Ovtcharov bereitet sich in Düsseldorf auf die bevorstehende Weltmeisterschaft (29. Mai bis 5. Juni) vor. Natürlich will er mindestens unter die Top acht, ins Viertelfinale. Die Voraussetzungen, die der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) geschaffen hat, seien gut, sagt Ovtcharov. Geld für Sparringspartner ist da. Allerdings greift er dafür auch zusätzlich selbst in die Tasche. "Vor allem für ehemalige chinesische Nationalspieler", sagt Ovtcharov. "Mit denen kann ich aus der Trainingszeit mehr herausziehen. Die spielen mir dann zu und arbeiten nicht an ihrem eigenen Spiel." Das lässt sich Ovtcharov gerne ein paar Flugtickets und ein paar Euro Taschengeld kosten. Es ist ein Versuch, mit den unbegrenzten Mitteln der überlegenen Chinesen und Japaner mitzuhalten.

Ansonsten trainiert Ovtcharov am liebsten gegen die Besten der Welt. Vor allem gegen den Japaner Jun Mizutani (Weltranglisten-Sechster), der mit Ovtcharov für den russischen Klub Fakel Gazprom Orenburg spielt. Oder eben gegen Timo Boll. Gegen die Nummer acht der Welt von Borussia Düsseldorf hat Ovtcharov zuletzt im Champions-League-Finale mit 3:2 gewonnen. "Timo ist etwas älter geworden und kann vielleicht nicht mehr die konstanten Leistungen abrufen wie vor zehn Jahren", sagt Ovtcharov. "Aber aktuell ist er noch mal im zweiten Frühling seiner Karriere. Er hat viel Selbstvertrauen, ein gutes Gefühl. Davon lebt Timo. In diesen Phasen ist er sehr schwer zu schlagen. Wir haben beide am Limit gespielt und waren beide enorm zufrieden mit dem Spiel. Mir gibt das großes Selbstvertrauen für die WM."

Wenn Ovtcharov über Timo Boll (36) spricht, schwingt immer großer Respekt mit. Beide kennen sich seit Jahren, sind gut befreundet. "Timo war früher wie ein großer Bruder für mich", erklärt der in Kiew geborene Rechtshänder. "In der Phase zwischen 2007 und 2011 bin ich fast monatlich nach Hause zu ihm in Höchst im Odenwald gefahren. Seine Familie hat mich ganz herzlich aufgenommen. Ich habe mich bekochen lassen. Es war wie mein Zuhause." Deshalb ist es für Ovtcharov auch kein Problem, dass er nicht im Fokus steht, obwohl er Boll sportlich den Rang abgelaufen hat. "Bei Timo war das früher ähnlich mit Jörg Roßkopf. Dann wurde Timo 2002 die Nummer eins der Welt. Darauf baut er 15 Jahre lang auf. Die Leute haben seinen Namen einfach im Kopf. Er hat so viele Erfolge gefeiert, hat für Fairplay gekämpft und war Fahnenträger bei Olympia. Da bin ich auch stolz auf ihn und gönne ihm alles", betont Ovtcharov. "Ich bin glücklich, dass die Leute mich mittlerweile mehr und mehr kennen. Wenn ich noch zehn Jahre auf dem Niveau spiele und die Nummer eins der Welt werde, werden die Leute auch mehr über mich sprechen."

Dafür spielt Ovtcharov aber nicht Tischtennis - auch nicht fürs Geld. Er ist verbissener Sportler, will immer besser werden, will einen Erfolg nach dem anderen. Immer wieder einen drauflegen. "Ich war mal nah dran an der Nummer drei der Welt", sagt Ovtcharov. "Das ist mein Ziel. Danach die Nummer zwei. Aber die Nummer eins ist mit der Überlegenheit von Ma Long derzeit zu weit weg." Diese völlige Fokussierung auf den Sport ist auch ein Grund, warum Ovtcharov eben nicht so sehr in die öffentliche Wahrnehmung drängt. "Ich gebe lieber 110 Prozent fürs Tischtennis und werde nicht zu 100 Prozent den Dingen daneben gerecht", sagt er.

Ovtcharovs Ehrgeiz führt dabei durchaus zu Disputen - auch mit dem Bundestrainer. Dass Jörg Roßkopf das langjährig miteinander spielende Duo Ruwen Filus (Weltranglistenplatz 32) und Ricardo Walther (Platz 50) Ovtcharov bei der Doppel-Nominierung vorzieht, sorgt bei ihm für Unverständnis. Und das tut er kund - laut. "Ich hätte schon erwartet, dass er mir, als einem der Leader der Nationalmannschaft entgegengekommen wäre. Auch als Dank für alle Erfolge und Leistungen, die ich erzielt und erbracht habe. Davon lebt ja auch der Verband", sagt er. "Wenn hier bei der Heim-WM ein Doppel Ovtcharov/Mizutani an den Start gegangen wäre, wären wir bei jedem Spiel in Japan live im TV gewesen. Das wäre für den Sport Tischtennis in Deutschland wichtig gewesen."

Ovtcharov gibt gerne zu, dass ihm die Nichtnominierung wehgetan hat. Er hätte es nicht sagen müssen. Gestik und Subtext haben es längst verraten. Schließlich steht Ovtcharov auf. "Das war es schon? Oder gibt's noch Fragen? Nein? Wunderbar, dann ist das Essen noch warm, wenn ich es jetzt abhole."

(erer)
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