Klimasünder Mode Warum Sporttextilien bei der Nachhaltigkeit hinterherhinken

Düsseldorf · Textilien im Allgemeinen sind ein großer Umweltsünder. Bei Sporttextilien kommt erschwerend hinzu, dass diese meist nicht aus Naturfasern wie Wolle oder Baumwolle, sondern aus Synthetikfasern wie Polyester sind, also im Grunde: Plastik. Auch wenn sie schon einiges tut, muss die Industrie noch nachhaltiger werden.

Eine Hanfplanze (Symbolbild). Fasern aus der Pflanze, die regional angebaut werden können, werden künftig wichtig für die Textilindustrie.

Eine Hanfplanze (Symbolbild). Fasern aus der Pflanze, die regional angebaut werden können, werden künftig wichtig für die Textilindustrie.

Foto: dpa/Oliver Berg

Eines der Hauptprobleme bei Stoffen für Sportkleidung liegt darin, dass die synthetischen Materialien in der Regel auf Erdöl basieren. Dieser Rohstoff ist nicht nur endlich, seine Förderung verursacht auch massive Umweltschäden. Denn bei jeder Wäsche setzen Kunstfasern winzige Fasern frei, die weder Waschmaschinen noch Kläranlagen ausreichend aus dem Abwasser filtern können. So gelangen winzige Kunststofffasern in die Gewässer und Meere und letztlich sogar in die Nahrungskette. Sie sind nicht biologisch abbaubar und schwierig zu entsorgen. In der Kleidung enthaltende Chemikalien wie Weichmacher oder zinnorganische Verbindungen können über die Haut aufgenommen werden und den Hormonhaushalt des Menschen beeinflussen.

Nicht zuletzt trifft auf die Sportbekleidung zu, was für die Modebranche im Allgemeinen gilt: Arbeiter und Arbeiterinnen in den Produktionsländern arbeiten häufig in prekären Bedingungen. Sofern also nur die Materialien umweltschonend hergestellt werden, die Herstellung aber nicht von angemessenen Bedingungen und fairer Bezahlung geprägt ist, kann keine Nachhaltigkeit gegeben sein. Wie der Online-Sporthändler „Sport Scheck“ auf seiner Webseite darlegt, müssen Arbeitssicherheit bei der Herstellung, Gewässerschutz (keine Schadstoffe im Produkt) und Verbraucherschutz (für den Menschen gesundheitlich unbedenkliche Materialien) verzahnt sein.

Wie weit ist die Sportartikel-Industrie, in ihrem Anspruch nachhaltige Kleidung zu produzieren? Unsere Redaktion hat bei zwei Textilwissenschaftlern nach ihren Eindrücken gefragt. Tatsächlich: Zunehmend legen Unternehmen mehr Wert auf nachhaltig produzierte Sportmode aus recycelten und schadstofffreien Synthetikfasern. Einige fertigen ihre Produkte ganz aus Naturfasern und achten auf umwelt- und sozialverträgliche Produktionsbedingungen. Hier wendet Michael Rauch, Professor für Verfahrenstechnik der Textilveredelung an der Hochschule Hof, allerdings ein: „Synthetikfasern sind nicht automatisch weniger nachhaltig als Naturfasern, da bei diesen die gesamte Produktionskette, wie Saatgut, Aufzucht, Ernte und Färberei betrachtet werden muss. Da schneiden Naturfasern oft schlechter ab“, sagt Rauch.

Zumindest das Thema „Recycling“ kommt mittlerweile bei vielen auf das Tableau: Auf der Website der Marke „Patagonia“ wird anhand einer Dokumentation erklärt, wieso es wichtig ist, verschiedene Stoffe zu recyceln. Dass 50 Prozent aller Kleidungsmaterialien aus Plastik bestehen, verdeutlicht, von welchem materiellen Umfang und damit von welcher Menge fossiler Brennstoffe die Rede ist. Die Marke will sich für Recycling in der Modebranche einsetzen, sieht jedoch auch das Dilemma: „Weniger als 1 Prozent der gebrauchten Kleidung wird jedes Jahr zu neuer Kleidung recycelt. Um wirklich etwas zu bewegen, brauchen wir eine branchenweite Veränderung.“

Kleidung aus alter Kleidung – noch zu wenig. Kleidung aus Plastikmüll – schon eher. Recycelte Kunstfasern in Sportkleidung aus eingeschmolzenem Plastikmüll wie PET-Flaschen finden mittlerweile weite Verbreitung. Doch auf dem gesamten Weltmarkt sieht es mit dem Recycling schon wieder schlecht aus. Laut „National Geographic“ wurden bis 2015 weltweit mehr als 6,9 Milliarden Tonnen Plastikmüll erzeugt. Nur 9 Prozent davon wurden recycelt. Es gibt also noch reichlich Luft nach oben.

Meist kleinere Textil-Unternehmen setzen hier positive Beispiele. Die Snowboard- und Mountainbike-Marke „Zimtstern“ erkennt demnach: „Die Stoffe aus recycelten Kunstfasern werden immer besser. So können wir immer mehr Kleidungsstücke daraus herstellen“, erklärt Geschäftsführer Hans Allmendinger. Das Ziel des Unternehmens sei, möglichst alle Produkte aus recycelten Stoffen beziehungsweise Naturfasern herzustellen.

Ein ehrenwertes Ziel, jedoch: „Es gibt viele Marken, die sich darum bemühen, eine Wende bei der Nachhaltigkeit einzuführen. Aber oft ist es noch viel Marketing bei wenig Effekt“, findet Ellen Bendt, Professorin für Modedesign vom Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach, und nimmt dabei auch große Sporttextilien-Hersteller wie die „Global Player“ Adidas und Nike nicht aus der Pflicht. Immer noch stelle neues Polyester den Großteil der Textilfaser-Produktion weltweit dar, die Menge an Mikroplastik, die bei sämtlichen Arbeitsschritten entstehe, sei problematisch. Zwar gebe es eine Reihe Projekte, weggeworfenes Plastik zu sammeln und zu recyceln, aber auch diese seien nicht ohne Fallstricke: „Hersteller sammeln Plastik vom Strand, aber hier meistens Plastikflaschen, da sie farblos sind und hochwertiges Material darstellen, das sich gut weiterverarbeiten lässt“, sagt Bendt. Schwieriger sei es, Meeresplastik zu sammeln und weiter zu nutzen, was durch Zersetzung meist schon nicht mehr aufbereitungsfähig sei.

Econyl ist ein Beispiel für ein Nylon-Stoff, der zu 100 Prozent aus recycelten Kunststoffen besteht. Produkte daraus sind aber sehr teuer: „Für einen Bikini kann man da auch mal 130 Euro zahlen“, sagt Bendt. Die Qualität eines Stoffes aufrechtzuerhalten sei schwer, bei chemisch recycelten Stoffen würden die Längen der Molekülketten bei der Verarbeitung kürzer, also weniger hochwertig. Ein Polyestershirt könne man also nicht eben mal nehmen und wieder zu einem Neuen machen, vor allem wenn in ein Mischgewebe mehrere Stoffe verwebt wurden. „Die Produkte sind komplex, Sortenreinheit ist ein Riesenthema“, so Bendt. Teure Chemikalien und Prozesse seien für die Aufbereitung notwendig.

Bendt plädiert für einen Paradigmenwechsel: „Wir brauchen neue Strukturen. Im Moment ist Recyceln noch viel zu teuer, es ist kein standardisierter Prozess. Wir noch weit davon entfernt, wirklich nachhaltig zu sein.“ Ein einheitliches Sammelsystem und Reparaturservices der Hersteller gehören unbedingt dazu. Und vor allem: Abfall nicht als Abfall zu sehen: „Dinge, die man wegschmeißt, muss man als Wertstoffe sehen“, sagt Bendt. Michael Rauch nimmt außerdem die Politik in die Pflicht: „Die Kommunalpolitik muss den flächendeckenden Ausbau der Sammlung von textilem Postconsumer-Waste deutlich vorantreiben.“ Bedeutet also: Kleidung sollte nicht in irgendeinem Altkleidercontainer landen, mit unbestimmter Weiternutzung, sondern systematisch und behördlich aufbereitet werden. Bisher gebe es hier nur Insellösungen, sagt Rauch.

Er wünscht sich von Konsumenten, ihr Kaufverhalten zu überdenken – Fast Fashion war gestern, Sustainable Fashion gilt ab sofort. Klar heißt das aber auch: „Hochwertige Funktionsunterwäsche, zum Beispiel aus nachhaltig verarbeiteter und erzeugter Merinowolle hat ihren Preis“, sagt Rauch. Das wird auch so bleiben. Beim Punkt Nachhaltigkeit wäre aber auch schon bei konventioneller Sportkleidung viel getan, wenn diese nicht nach der Verwendung hier landet: im Restmüll.

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