Leistungssportreform Zankapfel Sportförderung

Düsseldorf · Noch vor Inkrafttreten hat die Leistungssportreform eine Debatte entfacht, ob bei der Förderung von Top-Athleten hierzulande nicht generell einiges im Argen liegt. Diskutiert wird über Geld, Belastung und berufliche Perspektive.

 Säbelfechter Max Hartung.

Säbelfechter Max Hartung.

Foto: dpa, ds asu pt jhe

Das Ziel jeder Reform ist dasselbe: Nachher soll alles besser sein als vorher. Die Leistungssportreform in Deutschland macht da keine Ausnahme. Doch im Leistungssport selbst gibt es erhebliche Zweifel, ob die Reform tatsächlich alles besser macht. Die Reform hat gar die Debatte angestoßen, wie viel hierzulande überhaupt gut läuft bei der Förderung von Spitzensportlern. Förderstruktur, Mitspracherecht oder finanzielle Ausstattung - es gibt gleich mehrere Aspekte, die in der Kritik stehen.

Das große Ausdünnen Im Zentrum der jüngst beschlossenen Leistungssportreform von Bund - er fördert den Sport 2017 mit 167 Millionen Euro - und Deutschem Olympischem Sportbund (DOSB) steht die "potenzialorientierte Förderstruktur". Künftig erhalten nur noch Athleten mit einer Platz-eins-bis-acht-Perspektive bei WM oder Olympia die Top-Team-Förderung der Stiftung Deutsche Sporthilfe in Höhe von 600 Euro pro Monat. Frühere Erfolge sind nicht länger Grundlage für Förderbewilligungen. Das führt dazu, dass nach Schätzungen aus dem Leistungssport rund 2200 von 4000 Bundeskader-Athleten aus der Förderung fallen. In der Leichtathletik sinkt die Zahl der geförderten Kaderathleten laut "Süddeutscher Zeitung" beispielsweise von 50 auf 27 Prozent.

Widerstand regt sich vor allem in den Individualsportarten, denen die Trainingspartner für die Top-Sportler wegbrechen. "Wir brauchen drei oder vier adäquate Trainingspartner pro Athlet. Wenn wir die hier nicht finden, müssen wir ins Ausland gehen oder Ausländer zu uns einladen", sagt Peter Frese, Präsident des Deutschen Judo-Bundes. Der Dormagener Säbelfechter und Athletensprecher Max Hartung erklärt derweil: "Man kann keinen kleinen Mozart isoliert heranziehen. Es geht im Fechten immer mit starken Trainingsgruppen. Das muss kein Dutzend sein, aber es müssen welche sein, die mich auf Weltklasseniveau fordern."

Mitspracherecht Vielen Verbänden, Trainern und Sportlern fehlt eine ausreichende Form des Mitwirkens an der Reform, die ab 2019 greifen soll. Anfang März formulierte so die Interessengemeinschaft Leistungssport treibender Rudervereine Deutschlands eine "Frankfurter Erklärung", die als Forderung vorsieht, "dass die Einzelheiten der Leistungssportreform mit den Leistungssport treibenden Vereinen diskutiert werden und ein Konsens erreicht wird".

Hartung stößt ins selbe Horn: "In der Umsetzung der Reform braucht es maßgeschneiderte Lösungen - jede Sportart hat ihre Besonderheiten", sagt er gegenüber unserer Redaktion. Um indes zu wissen, welche Lösungen nötig sind, bräuchte es aus seiner Sicht parallel zum Potenzialanalysesystem (Potas), mit dem die Reform Erfolgsperspektiven von Sportlern ausloten will, eine Erhebung unter den Athleten. "Eigentlich weiß niemand, wie es den Sportlern geht. Es gibt zu wenig Informationsaustausch. Vergleichbar mit der Bedarfsabfrage der Verbände sollten die Bedarfe der Sportler abgefragt werden, so dass die Bedürfnisse der Athleten identifiziert und angegangen werden können. Wichtig ist, die Athleten so abzusichern, dass sie sich ohne Existenzängste auf Sport und Ausbildung konzentrieren können."

Sportförderer Bundeswehr Die Bundeswehr fördert mit jährlich rund 50 Millionen Euro 744 Spitzensportler (243 Frauen, 501 Männer; einschließlich Trainer) in 15 Sportfördergruppen. Hartung formulierte in der "FAZ" die Frage, ob man mit diesen 50 Millionen nicht sinnvoller fördern könne. Sein Kritikpunkt: "Bei der Polizei, in den Ländern und beim Bund erhalten die geförderten Athleten eine Berufsausbildung und haben die Aussicht, nach dem Sport übernommen zu werden. Bei der Bundeswehr ist dies generell nicht der Fall." Zuvor hatte Sportökonom Wolfgang Maennig vorgerechnet, dass die Olympiamedaille eines Sportsoldaten mindestens das Siebenfache der Medaille eines Athleten koste, der durch die Sporthilfe gefördert werde.

Die DOSB-Athletenkommission will die Sportförderung deswegen breiter aufstellen. "Wir führen vielversprechende Gespräche mit der Bundeswehr und wollen dazu beitragen, die Karrierechancen und die medizinische Versorgung von Sportlern bei der Bundeswehr zu verbessern", sagt Hartung: "Aber wir bleiben bei der Forderung: Es muss noch eine Alternative geben. Die Spitzensportförderung des Bundes sollte das Portfolio von Bundeswehr, Zoll und Polizei erweitern, um die Lücke in der Athletenförderung zu schließen. Davon betroffen sind Sportler, die keine Soldaten oder Polizisten werden wollen, oder können - insbesondere im paralympischen Bereich."

Duale Karriere Etwa 1200 Athleten sind bundesweit an einer Partnerhochschule des Spitzensports eingeschrieben. Diese Unis kommen den Sportlern bei Prüfungsterminen und Anwesenheitspflichten entgegen. 2016 in Rio lag der Anteil der Studierenden und Studienabsolventen im deutschen Team bei 44 Prozent. Bei den Winterspielen in Sotschi 2014 waren es 28 Prozent. Viele studierende Athleten beklagen aber die Belastung von 70-Stunden-Wochen mit Uni und Sport.

Alles viel zu wenig? Über allem steht die Frage, ob Deutschland seine Spitzensportler nicht generell besser bezahlen muss. In vielen Sportarten ist die Förderung im Ausland höher, weswegen deutsche Trainer auswandern. Deutschlands bester Badmintonspieler Marc Zwiebler findet: "Ein Land wie Deutschland müsste es sich leisten, den Sport adäquat zu finanzieren, allein wegen der Vorbildfunktion, die Sportler haben." Judo-Präsident Frese hatte schon nach Rio eine bessere Förderung angemahnt: "Dazu gehört, dass die starken deutschen Firmen individuell mehr Sportler fördern." Und auch die Sporthilfe, die jährlich zwischen zehn und 13 Millionen Euro ausschüttet, gibt zu: "Die vollumfängliche Umsetzung des Förderkonzepts erfordert eine deutliche Mittelerhöhung."

(klü)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort