Vergessene Sportarten Früher Fernseh-Kult — heute auf der Intensivstation

Düsseldorf · Radball, Kunstradfahren, Galopp und Co. hatten früher einen festen Platz in den Sportsendungen. Was ist aus ihnen geworden?

Danedream galoppiert in Paris zum Sieg
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Egon Müller braucht nicht den Hauch einer Sekunde, um auf Touren zu kommen. Seine unverkennbar knarzige Stimme überschlägt sich. Die Sandbahn, sie war sein Leben, damals, als er der gefeierte Speedway-Weltmeister war - und sie ist es heute. Doch Egon Müller ist frustriert. Wie viele, deren Sportarten einst auf der großen Bühne glänzten, aber längst versunken sind. Was wurde aus Radball, Kunstradfahren, Rhönrad, der Wahl zum Galopper des Jahres? Eine Spurensuche.

Egon Müller hat alles versucht, sogar, einen Nachfolger seiner selbst zu finden. "Ich habe krampfhaft versucht, mir einen ranzuzüchten, aber der hatte dann Flöhe im Hirn", klagt er im Gespräch mit dem SID. Das Problem aus seiner ganz eigenen, unbescheidenen Sicht: "Ich habe riesige Spuren hinterlassen, da muss schon einer mit gewaltigen Latschen kommen. Das Interesse hat tierisch nachgelassen."

Ein Nachlassen, mit dem viele Sportarten kämpfen. Zum Beispiel Radball. Viele erinnern sich an Jan und Jindrich Pospisil, Dauer-Weltmeister (20 Titel), Stammgäste in ARD-Sportschau und ZDF-Sportreportage. Aber wer kennt Marco Rossmann?

50 Jahre Sportschau – ein Rückblick
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Rossmann ist Referent Hallenradsport beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR), und er ist deutscher Zweier-Meister. Sein Weg zum Radball: "Ich hatte familiär keine Wahl." Anders, räumt er ein, finden junge Menschen heute auch nicht mehr zu seinem Sport. In überregionalen Medien aufzutauchen, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. "Wir tun alles für mehr Präsenz - mit bescheidenem Erfolg", sagt er. "Der geringe Zuspruch ist uns ein Rätsel. Das frustriert."

Radball ist 2015 ein Sport auf der Intensivstation: Laut Auskunft des BDR sind in Deutschland noch 3000 Radballer lizenziert, immerhin spielen viele Ältere noch ohne Wettkämpfe. Bei den Kunstradfahrern sind es 3500. Einen Vorwurf an ARD und ZDF gibt es nicht - die vergessenen Sportarten suchen die Fehler bei sich oder den Umständen.

Keine Pferde mehr im Studio

Wo früher sogar ein Pferd im Studio stand, wenn der Galopper des Jahres gewählt war, gibt es heute praktisch eine Null-Resonanz für die Erfindung der ARD-Legende Adi Furler (seit 1957). "Das war eine Riesensache, aber sie stand und fiel mit Furler oder Arnim Basche", sagt Jan Antony Vogel, Geschäftsführender Vorstand beim Direktorium für Vollblutzucht und Rennen.

Ohne persönliche Vorlieben der Redakteure keine Präsenz? Das ZDF widerspricht. "Wir haben Galopprennen immer mal wieder im Programm. Es hat oftmals an einer TV-Umsetzung gehapert, die Bild-Qualität war dann zu schlecht", erklärt Sportchef Dieter Gruschwitz: "Das für fünf Minuten selbst zu produzieren, lohnt sich nicht."

Das ZDF versuche, "die Vielfalt des Sports zu dokumentieren, auch verrückte Typen zu zeigen", doch es komme kaum dazu, Tennis oder Turnen ihren Platz zuzuweisen. "Wenn man den Anspruch hat, auch die jungen olympischen Sportarten zu zeigen, bleibt wenig Raum", sagt Gruschwitz.

Treve schreibt Galopp-Geschichte
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Dem Galoppsport sind zudem erhebliche Einnahmen verloren gegangen: Die Wetten haben sich ins Internet verlagert, Geld fließt in Steueroasen. Doch das ist nicht alles. "Geringe Einschaltquoten? Der bessere Draht anderer Verbände? Verdrängung durch Fußball? Es gibt nicht nur eine Antwort. Selbst die Wunder-Stute Danedream hat nur kurz ein Feuer entfacht", sagt Vogel.

Derzeitiger Galopper des Jahres ist übrigens "Novellist" - viele aber denken nur an Acatenango (1985-87) oder Mondrian (1989 und 1990). Die Goldenen Zeiten sind vorbei.

Beim Deutschen Turner-Bund (DTB) werden keine Statistiken für den Bereich Rhönrad geführt. Manfred Blauhut, zuständiger Referent, klagt über Finanzprobleme. "Der Fußball erschlägt alles. Was ich mitbekommen habe, ist, dass andere Sportarten Geld bezahlen, um Fernsehzeit zu bekommen", sagt er. "Das ist sehr arg, weil Rhönradturnen generell kostspielig ist."

Es werde versucht, über YouTube ein Publikum zu finden. Aber groß ist es nicht. Ganz anders früher, wie sich der langjährige Sportschau-Chef Heribert Faßbender erinnert. "Wir waren stolz darauf, in Sportschau und Sportschau-Telegramm über 60 verschiedene Sportarten pro Jahr zu berichten", sagt er dem SID, "für die Verbände waren ein paar Sekunden schon Gold wert."

"Was erzählt der Kerl für einen Dünnschiss?"

Die Internetplattform Sportdeutschland.tv, eine Tochter des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), versucht derzeit mit wachsendem Erfolg, allen Sportarten aus der zweiten Reihe eine Bühne zu bieten. Und IOC-Boss Thomas Bach bastelt an einem hauseigenen TV-Kanal - Hoffnungsschimmer.

Sandbahnrennen, immerhin, werden bei Eurosport gezeigt. Co-Kommentator: Egon Müller! "Die Leute fragen sich: Was erzählt der Kerl für einen Dünnschiss? Das wollen die sehen!", sagt er. Wenn schon nicht viele, so doch zumindest einige.

(sid)
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