Freitaucher Herbert Nitsch Mehrere Schlaganfälle beim Rekordversuch

Düsseldorf · Herbert Nitsch tauchte 249,5 Meter mit einem Atemzug – so tief wie nie ein Mensch zuvor. Es hätte ihn fast das Leben gekostet.

 Herbert Nitsch, die Nase mit einer Klammer verschlossen, bei einem seiner Tauchgänge, bei denen ihn ein "Schlitten" in die Tiefe zieht.

Herbert Nitsch, die Nase mit einer Klammer verschlossen, bei einem seiner Tauchgänge, bei denen ihn ein "Schlitten" in die Tiefe zieht.

Foto: Breitling

Herbert Nitsch tauchte 249,5 Meter mit einem Atemzug — so tief wie nie ein Mensch zuvor. Es hätte ihn fast das Leben gekostet.

Die Minuten, die ihn am 6. Juni 2012 fast das Leben gekostet hätten, hat sich Herbert Nitsch zusammengesucht. Der 43-Jährige, in Wien geboren, hat sie zusammengesetzt aus den eigenen kleinen Erinnerungsstücken, aus den Videoaufnahmen, den Aussagen der Ärzte und derer, die dabei waren. Ein Jahr später hat er deshalb ein ziemlich genaues Bild von dem, was bei seinem Versuch, mit einem einzigen Atemzug so tief zu tauchen wie nie ein Mensch zuvor, so furchtbar schief lief und sein Leben für immer veränderte. "Ich hätte es besser nicht gemacht", sagt Herbert Nitsch heute.

Medizinisch gesehen hat der Österreicher mehrere Schlaganfälle erlitten, als er seinen fünf Jahre alten eigenen Weltrekord im Freitauchen in der Kategorie "Ohne Limit" vor der griechischen Insel Santorin von 214 auf 244 Meter steigern wollte. Der selbst konstruierte Schlitten brachte ihn auf 249,5 Meter. In den Rekordbüchern taucht sein Versuch nicht auf, denn aufgrund des Tiefenrausches wurde er ohnmächtig. Die Helfer mussten ihn ohne Druckausgleich und viel zu schnell nach gut viereinhalb Minuten wieder an die Oberfläche ziehen.

Dass er erst gar nicht in die Tiefe kommt, das hatte Nitsch einkalkuliert. Oder, dass beide Trommelfelle platzen, was, so Nitsch, zwar unheimlich schmerzhaft ist, aber in der Regel innerhalb von einigen Wochen wieder heilt. "Ich hatte den Blackout vom Tiefenrausch, nicht wegen des Sauerstoffmangels. So etwas ist noch nie passiert", sagt Nitsch. "Wie soll man sich darauf vorbereiten?" Beim Auftauchen in rund 100 Metern Tiefe, vermutet Nitsch, sei er ohnmächtig geworden.

Der sonst übliche Dekompressionsstopp zum Druckausgleich in der Lunge, 15 Meter unter der Wasseroberfläche geplant, fand nicht statt. Stickstoff und andere Gase, die sich im Blut ansammeln, konnten nicht langsam freigesetzt werden, sondern drangen ins Körpergewebe, in die Knochen, und ins Gefäßsystem ein. Erst im Krankenhaus wurde er in einer sogenannten Dekompressionskammer stabilisiert, vor Ort hatten sie aus Kostengründen keine. Er lag im Koma, verbrachte Monate in Rehabilitationskliniken, saß im Rollstuhl, dachte an Selbstmord.

Seine rechte Körperhälfte ist noch immer beeinträchtigt, auch das Sprechen fällt ihm teilweise noch schwer. "Aber die Ärzte haben nicht geglaubt, dass es mir wieder so gut gehen wird", sagt Herbert Nitsch, der 32 Weltrekorde in allen acht Disziplinen des Freitauchens (auch Apnoetauchen genannt) aufgestellt hat.

Nitsch ist ein aufgeschlossener und äußerst freundlicher Gesprächspartner, reist längst wieder um die Welt, war auch wieder schnorcheln, neulich in Tunesien und der Südsee. "Das gehört zu meinem Rehaprogramm", sagt er. Er engagiert sich für den Umweltschutz, hat verschiedenste Projekte im Kopf und will zwei Bücher schreiben. Eines über das Freitauchen, eines über sein Leben und natürlich den Unfall.

100 000 Euro hatte er selbst in das Rekordprojekt investiert, es gab im Vorfeld Streit mit Sponsoren und dem Weltverband (Aida). Das Wetter war eigentlich zu schlecht, lange erhielt er keinen Ankerplatz für seine Startplattform, er musste sich um allen Papierkram selbst kümmern. Training war nur eingeschränkt möglich. In den Wochen vor dem Rekordversuch schlief Nitsch nur vier Stunden in der Nacht. "Die Umstände waren nicht sehr gut, aber ich dachte das reicht aus. Alles war gemünzt auf diesen Termin", sagt Nitsch, als ausgebildeter Pilot ein Sicherheitsfanatiker. Eine Verschiebung kam für ihn nicht infrage, denn der Druck war groß. "Dann wären 90 Prozent der berichtenden Medien und der Sponsoren abgesprungen. Alle haben erwartet, dass ich das mache", sagt der Österreicher.

Durch die Vermarktung seines Rekordversuchs, der nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu 1000 Fuß (304,8 m) unter der Meeresoberfläche sein sollte, wollte er die eigenen Investitionen wieder reinholen. Ein Film sollte seine Rekordjagd aufzeichnen. Nun haben sie daraus eine Dokumentation über einen furchtbaren Fehler gemacht. Sein Titel:"Zurück aus der Tiefe".

Der Unfall habe einen anderen Menschen aus ihm gemacht, betont Nitsch. In den Beruf des Piloten werde er sicher nicht mehr zurückkehren. "Ich würde bei mir nicht mehr einsteigen", sagt er und lacht dabei.

(RP/can)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort