Maurice Tebbel Geduldsprobe im Sattel

Emsbüren · Maurice Tebbel (22) ist einer der talentiertesten Reiter Deutschlands. Doch der Weg ins Olympiateam ist weit. Wohl zu weit. Denn die Dichte an erfahrenen Reitern mit guten Pferden ist hoch. Ein Nationenwechsel wäre eine Lösung.

 Maurice Tebbel und sein Pferd Chacco's Son.

Maurice Tebbel und sein Pferd Chacco's Son.

Foto: Imago

Mutter und Sohn wechseln nur kurz Blicke, dann müssen beide grinsen. Die Frage an den Sohn, Maurice Tebbel, hatte gelautet: Ist es als 22-Jähriger manchmal hart, die Freunde auf Partys zu wissen, während man selbst mal wieder auf einem Turnier reitet? "Es gibt schon genug Feten, keine Sorge", ruft Mutter Erika vielsagend auf dem Weg in die Küche, während Maurice vom Wohnzimmertisch aus ergänzt: "Ja, es stimmt. Die Reiter-Feten sind nicht die schlechtesten. Und außerdem habe ich mittlerweile mehr Reiterfreunde als Freunde hier im Dorf."

Es ist Dienstagmorgen bei den Tebbels im Dorf. Im schmucken Einfamilienhaus am Rand von Emsbüren, einer 10.000-Einwohner-Stadt in Niedersachsen, kurz hinter der Grenze zu NRW. Nebenan liegen die Sportplätze vom SV Concordia, bei dem Maurice bis vor anderthalb Jahren noch regelmäßig Fußball gespielt hat. "Ich war Stürmer. Das war schon eine coole Zeit, die Jungs kannte man von der Schule", sagt er.

Maurice hat für das Gespräch schnell noch Überziehpantoffeln über die Reitstiefel gezogen. Letztere sind für ihn Sport- und Arbeitsschuhe zugleich. Denn in beiden Lebensbereichen dreht sich für Tebbel junior alles ums Pferd. Daheim in der Hengststation von Vater René und als einer der besten deutschen Nachwuchs-Springreiter.

Die Hengststation ist ein Betrieb, bestehend aus zwei Höfen mit mehr als 100 Pferden. Maurice mag die Arbeit mit den Tieren, den täglichen Umgang, die Fahrten zur Körung, der Auswahl von Hengsten zur Zucht. Ausbildung, Verkauf, Zucht, das ist das täglich Brot der Familie. Die Existenz. Die Basis. Der Reitsport ist das Extra. Ein zeitaufwendiges und kostspieliges. Aber eben auch eins, in dem Maurice — genau wie Schwester Justine — seit Jahren großes Talent nachweist. Deswegen fördert der Vater, selbst ein erfolgreicher Springreiter, seine Kinder. "Es gibt so viele Sachen, die mir mein Vater mit auf den Weg gegeben hat. Die kann ich gar nicht alle aufzählen. Aber er macht mir keinen Druck. Wenn er nicht an mich glauben würde, hätte er die Pferde, die ich reite, ja schon verkaufen können", sagt Maurice.

Doch das tut René Tebbel nicht. Im Gegenteil, er stellt dem Filius immer wieder gute Pferde zur Verfügung. Und das ohne die Hilfe von Sponsoren, auf die die Großen der Szene zurückgreifen können. Zuerst ritt Maurice den Holsteiner-Wallach Cooper, momentan ist er mit der Hannoveraner Stute Camilla und Westfalen-Hengst Chacco's Son unterwegs. Maurice war Junioren-Europameister 2012, er gehört dem B-Kader der Reiterlichen Vereinigung (FN) an, machte im Vorjahr bei seiner Premiere beim CHIO in Aachen mit drei zweiten Plätzen auf sich aufmerksam und war im Dezember beim Weltcup-Springen in London zweitbester Deutscher. Ende Oktober hatte er auch das Fünf-Sterne-Turnier in Lyon reiten wollen, aber nachdem er im Tränkeeimer seines Pferdes eine Paste gefunden hatte, verzichtete er vorsichtshalber, um ein ungewolltes Dopingvergehen auszuschließen. "Das war schon der Hammer. Da kann ich schon mal fünf Sterne reiten, fahre dafür 1000 Kilometer nach Lyon, freue mich riesig aufs Turnier, und dann passiert so etwas", sagt Maurice Tebbel.

Nicht reiten zu können, wie in Lyon, das ist für ihn das Schlimmste. "In meinem Alter ist man ehrgeizig, vielleicht manchmal zu ehrgeizig", sagt er. Das Problem: Der sportliche Alltag verlangt von ihm das Gegenteil von Ehrgeiz ab: Geduld. Insofern ist seine Geschichte auch eine über die Situation junger Reiter in Deutschland. Es ist eine Situation, in der Träume auf eine zähe Realität treffen. "Jeder junge Reiter träumt davon, einmal bei Olympia oder bei einem Championat reiten zu dürfen. Aber es ist halt schwierig in Deutschland. Es gibt so viele gute Reiter. Und die guten Reiter werden ja auch nicht weniger. Es kommen immer welche nach, und die, die oben sind, bleiben oben", sagt Maurice Tebbel. Profifußballer hören mit Mitte 30 auf und machen den Weg frei für Jüngere. Ludger Beerbaum ritt mit 52 noch bei Olympia zu Team-Bronze.

Maurice Tebbel sieht seine Aussichten deswegen auch realistisch. Im deutschen B-Kader sind 18 Namen aufgeführt. Der A-Kader umfasst aktuell acht Namen, Reiter wie die seit Jahren international erfahrenen Marcus Ehning (42), Christian Ahlmann (42), Meredith Michaels-Beerbaum (47), der aktuelle Weltranglistenerste Daniel Deußer (35) oder Marco Kutscher (41). Drei aus dieser Gruppe reiten in der Regel für Deutschland — nur noch drei, seitdem der Weltverband FEI im November gegen den Widerstand der FN die Regularien im Teamspringen ab Olympia 2020 um einen Reiter und damit um das bis dato übliche Streichergebnis reduziert hatte. "Es gibt hierzulande immer drei routinierte Reiter, die werden immer ein gutes Pferd haben und deswegen immer vorne mit dabei sein. An denen vorbeizukommen, ist in den nächsten Jahren fast schon unmöglich für einen jungen Reiter wie mich", sagt Maurice Tebbel. Er sagt es nicht verbittert. Er sagt einfach, wie es ist.

Vater René war auch mal verbittert. 2007 war er als erster Springreiter dreimal in Folge Deutscher Meister geworden, aber trotzdem nicht für die Mannschaft bei der EM in Mannheim nominiert worden. Damals drohte er einen Nationenwechsel an und sorgte damit für einigen Wirbel. Den Nationenwechsel vollzog er schließlich auch — 2013 wurde er erst Nationaltrainer der Ukraine, ab 2015 ritt er dann auch selbst für die Osteuropäer. 2016 nahm René Tebbel für die Ukraine an den Olympischen Spielen in Rio teil und wurde 19. im Einzel.

Wenn also der Weg ins deutsche Nationalteam so schwierig ist in Deutschland, denkt Maurice Tebbel da nicht manchmal auch an das Beispiel seines Vaters? "Ein Wechsel steht momentan nicht zur Debatte. Man kann ja auch nicht wieder nach Deutschland zurückwechseln und ein Championat reiten", sagt er. Das will wohl überlegt und abgewogen sein. Es ist eine von vielen Entscheidungen, die der Reitsport von einem Reiter abverlangt. "Deswegen glaube ich auch, dass man als Reiter schneller erwachsen wird. Man muss halt früh selbstständig sein", sagt der 22-Jährige.

Die gute Nachricht: Für Reiterfeten ist man eh nie zu erwachsen.

(klü)
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