Schach-WM in Chennai Magnus Carlsen zieht Viswanathan Anand davon

Chennai · Im indischen Chennai muss der amtierende Weltmeister Viswanathan Anand einen klaren Rückstand aufholen.

Gestern ging es wieder fix und übersichtlich, dreifache Zugwiederholung nach dem 30. Zug im siebten Spiel; zuvor hatten die beiden Gegner ihr Brett übersichtlich gestaltet, hatten alles weggetauscht und allseits aufgeräumt. Am Ende war das Remis unausweichlich, und die Schach-Welt fragt sich nun mit leichtem Bangen und noch größerem Mitleid: War es das für den amtierenden Weltmeister Viswanathan Anand? Wird der sympathische 43-jährige Schachkünstler ausgerechnet in seiner indischen Heimatstadt Chennai von dem norwegischen Herausforderer, dem Weltranglisten-Ersten Magnus Carlsen (22), regelrecht vorgeführt?

Carlsen hatte am Wochenende auch die sechste Partie gewonnen, damit das zweite Spiel in Folge — das zu kompensieren dürfte sogar für den kampferprobten Strategen Anand schwer werden. Er liegt nun mit zwei Niederlagen zurück und muss auf Teufel komm raus auf Sieg spielen, ein Druck, der kaum zu Anands üblicher 64-Felder-Mentalität passt: Er zählt ja nicht zu den Hasardeuren oder Vabanque-Angreifern. Seine strategische Schärfe kommt eher blitzartig, aber Carlsen hat Anand bislang noch keine Gelegenheit für einen Konter geboten.

Überhaupt hat Carlsen dieses für ihn so wichtige Turnier (er greift zum ersten Mal nach der Schach-krone) bislang nicht sonderlich produktiv gespielt. Er hat, gut vorbereitet, ruhig agiert wie ein Panzer, aber zweimal mit betäubender Präzision auf leichte Fehler Anands reagiert. Wie stets zeigt sich bei Carlsen die unheimliche Ruhe eines abgebrühten Schachgenies. Anand stellt er nun vor allem vor psychologische Horroraufgaben; und während der Weltmeister mit seinen Sekundanten verzweifelt über neuen Eröffnungsfinessen brütet, geht Magnus erst einmal Basketball spielen und tobt sich aus. Manche halten das für unziemliche Arroganz; Carlsen-Kenner hingegen sehen hierin ein willkommenes sportliches Entlastungsmanöver, denn auch Carlsen weiß um Anands Gefährlichkeit: Der indische Tiger könnte dann am gefährlichsten werden, wenn ihm die größte Gefahr droht. Also jetzt!

In Teilen der im Internet gut vernetzten Schach-Welt herrscht die Auffassung, dass Chennai einen Zeitensprung im Schach markiere: Die Übermacht der großen Schachnationen wie etwas Russland scheine endgültig gebrochen. Das ist eine voreilige Formulierung, unter den besten 30 Spielern der Welt sind immer noch neun aus Russland, und einer von ihnen, Sergej Karjakin, ist immerhin Carlsens Jahrgang: 1990. Aber es gibt auch noch andere junge Leute, die mit Grandezza im Top-Segment der Weltrangliste spielen und noch jünger sind als Carlsen: der Italiener Fabiano Caruana, der Philippino Wesley So oder der Vietnamese Quang Liem Le. Manche allerdings steigen auf, sind aber nicht formstabil, so der junge Niederländer Anish Giri.

In Carlsens norwegischer Heimat herrscht Ausnahmezustand; derzeit gucken 700 000 Einwohner täglich die Übertragungen aus Indien — das Land liegt im Magnusfieber. Keiner rechnet damit, dass es ein kühles Erwachen geben könne. Aber das Match geht über zwölf Partien, nicht über sieben. Wer heute bei der achten Partie live dabei sein will: www.chessbomb.com. Ab 9.30 Uhr.

(RP)
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