Klippenspringerin Anna Bader im Interview "Ja, ich habe Angst"

Düsseldorf · Ein Überschuss an Adrenalin. Ein letzter Blick in den Abgrund. Dann der Sprung in die Tiefe. Ein Sturzflug aus über 20 Metern Höhe. Die Oberfläche ist hart wie Beton. Was sich nach einem Selbstmordversuch anhört, ist für die Deutsche Anna Bader Passion. Die 25-Jährige ist vierfache Europameisterin im Klippenspringen.

Anna Bader: Lehrerin, Artistin, Extremsportlerin
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Das ist Klippenspringerin Anna Bader

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Im Interview mit unserer Redaktion spricht die Mainzerin über ihre Ängste, Herausforderungen und Ziele.

Frau Bader, Klippenspringen ist unglaublich spektakulär. Dennoch fristet diese Disziplin ein Dasein als Randsportart. Was macht für Sie die Faszination dieses Sports aus?

Bader: "Das sind ganz unterschiedliche Dinge. Zum einen bin ich dadurch, dass Klippenspringen ein Outdoor-Sport ist, viel an der firschen Luft und komme an viele verschiedene Locations, zu denen man sonst keinen Zugang hätte. Zum anderen ist es die enorme mentale Herausforderung. Die Konzentration muss um einiges höher sein als beim Turmspringen."

Wann haben Sie diese ungewöhnliche Sportart für sich entdeckt?

Bader: "Das war nicht von langer Hand geplant, hat sich aber über einen längeren Zeitraum angebahnt. Ich habe schon früh mit dem Turnen begonnen und bin von da zum Kunst- und Turmspringen gekommen. Dort habe ich relativ schnell meine Vorliebe für große Höhen entdeckt. Ich wollte meine Grenzen austesten und mich selbst herausfordern. Das ging am besten vom 10-Meter-Turm. Meine erster Sprung von einer Klippe war im Urlaub auf Jamaika. Damals war ich 17 Jahre alt. Zu meiner ersten Europameisterschaft im Klippenspringen bin ich nur gekommen, weil mich ein Freund mitgenommen hat. Das war im Jahr 2005, und ich habe direkt gewonnen.

Wo liegt der Unterschied zwischen dem "gewöhnlichen" Turmspringen in einer Schwimmhalle und dem Sprung von einer Klippe? Gibt es unterschiedliche Ansprüche an die Sportler?

Bader: "Beide Sportarten sind unglaublich anspruchsvoll. Beim Klippenspringen ist der psychische Druck aber um einiges höher. Durch die größere Höhe erreicht man höhere Geschwindigkeiten von bis zu 100 km/h, und der Aufprall auf dem Wasser ist um einiges härter. Darum setzt jeder Sprung von einer Klippe eine akribische Planung voraus. Man darf sich keinen Fehler erlauben."

Hat eine viermalige Europameisterin noch Angst vor einem Sprung? Wenn ja, wie können Sie sich überwinden?

Bader: "Ja, ich habe Angst. Aber ich denke, positive Angst bewahrt einen vor dem Leichtsinn. Für mich ist so ein Sprung eine große Herausforderung, vergleichbar mit einem Drahtseilartisten. Im Prinzip stehe ich da oben und weiß, dass etwas schiefgehen kann. Aber ich weiß, ich kann das, ich bin fit, mein Körper ist stark genug. Das ist einfach spannend. Man muss sich vor jedem Versuch fragen: 'Fühle ich mich gut? Bin ich fit? Wie sind die äußeren Bedingungen?' Wenn man bei einer dieser Fragen Zweifel hat, dann muss man auch mal sagen: 'Nein, heute spring ich besser nicht.'"

Gibt es also eine Klippe, von der Sie niemals springen würden?

Bader: "Mir ist immer wichtig, dass das Wasser tief genug ist, um sicher eintauchen zu können. Ich mag es auch nicht, wenn ich ewig weit nach vorne springen muss, um über Felsvorsprünge oder Steine zu springen."

Wo trainieren Sie für die Wettkämpfe? In Deutschland ist es doch sicherlich nicht einfach, eine passende Klippe zu finden.

Bader: "Das ist richtig, vor allem hier in Mainz. Ich trainiere sehr viel in der Schwimmhalle. Im Winter steht Ausdauersport auf dem Programm. Wenn die ersten Sonnenstrahlen rauskommen, mache ich mich auf den Weg in den Süden. Wir Springer treffen uns meistens am Vierwaldstätter See oder im Tessin und trainieren dort zusammen für die Saison. Manchmal ergibt sich auch die Möglichkeit, ein paar Tage früher zu einem Wettkampf anzureisen und dort zu trainieren."

Wie sehen Trainingsumfang- und inhalte aus?

Bader: "Bei den Inhalten liegt ein großer Wert auf der Eintauchphase. Im Gegensatz zum Trumspringen wird beim Klippenspringen fußwärts getaucht, d.h. die Füße kommen zuerst auf dem Wasser auf. Das verlangt der harte Aufprall. Da Klippensprünge dem Körper viel mehr abverlangen als normale Turmsprünge, versucht man, dem Körper möglichst viele Ruhepause zu gönnen. Da kommt man nicht auf so viele Sprünge."

Wie hoch muss eine Klippe sein, damit man von Klippenspringen sprechen kann? Bis zu einer Höhe von zehn Metern könnte man ja auch in einer Halle springen.

Bader: "Derzeit gibt es unterschiedliche Verbände, die internationale Wettkämpfe veranstalten. Jeder hat seinen eigenen Maßstab. Bei der Europameisterschaft wird zwischen 13 und 20 Metern gesprungen. Im Weltcup sind es zwischen 22 und 24 und in der World Series 26-27 Meter."

Bei solchen Höhen muss doch sicherlich auch eine gewisse Wassertiefe gegeben sein.

Bader: "Erstaunlicherweiser braucht man nicht viel mehr Tiefe als vom Turm. Vier bis viereinhalb Meter sollten es aber mindestens sein."

Haben Sie eine Lieblingsklippe? Der Laie kennt, wenn überhaupt, nur die legendären Klippen von Acapulco in Mexiko.

Bader: "Nach Acapulco würde ich auch sehr gerne einmal. Meine Lieblingsklippe ist aber auf Mallorca. Dort haben mir Freunde auf 18 Metern extra eine kleine Plattform gebaut. Es ist also mehr oder weniger meine eigene Klippe und daher auch meine Liebste."

Können Sie von ihren Siegprämien, Antrittsgeldern und Sponsoreneinnahmen leben? Oder geht Anna Bader in ihrem "normalen" Leben einem "normalen" Beruf nach?

Bader: "Momentan bin ich Studentin und habe viele Jahre etliche Nebenjobs gehabt um mein Hobby finanzieren zu können. Ich habe Früchte auf dem Markt verkauft, behinderte Menschen betreut und vieles mehr. Seit zwei Jahren kann ich aber gut vom Springen leben. Der Sport befindet sich seit einiger Zeit im Aufwind, und das wird hoffentlich auch so weitergehen. Großen Anteil daran haben die Sponsoren Red Bull und Chiemsee. Es ist toll, wenn man sich aufs Training konzentrieren kann und nicht immer an die Finanzierung denken muss."

Gibt es denn in einem Land so etwas wie einen Profi-Sport Klippenspringen?

Bader: "Der Kolumbianer Orlando Duque ist Vollprofi und einer der Vorreiter. In China und Russland gibt es viele professionelle Sprung-Shows. Derzeit laufen Bemühungen, das Klippenspringen mehr in die professionelle Richtung weiterzuentwickeln."

Sie sind noch sehr jung. Was sind ihre sportlichen Ziele für die Zukunft? Vierfache Europameisterin sind sie ja schon. Schielen sie nun auf den WM-Titel?

Bader: "Ich habe noch viele Ziele. Erst einmal gehe ich nun zweieinhalb Jahre nach China. Dort habe ich bessere Trainingsbedingungen mit größeren Höhen. Ich würde gerne noch viele verschiedene Sprünge erlernen. Wenn ich dann nach Deutschland zurückkomme, schau ich weiter. Weltmeisterin zu werden, ist natürlich ein Traum."

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