DSV-Bundestrainer freigestellt Früherer Wasserspringer Hempel erhebt schwerste Missbrauchsvorwürfe

Update | Rom/Düsseldorf · Der viermalige Wassersprung-Europameister Jan Hempel hat einen früheren Trainer schwer belastet. Der Vorwurf des langjährigen sexuellen Missbrauchs kommt für den DSV zur Unzeit - zugleich heizt er die Debatte über die Gründung eines Zentrums für Safe Sport weiter an.

 Der Dresdner Jan Hempel sitzt 1999 während einer Trainingspause auf dem Brett vom Drei-Meter Turm.

Der Dresdner Jan Hempel sitzt 1999 während einer Trainingspause auf dem Brett vom Drei-Meter Turm.

Foto: dpa/Stefan Hesse

Bei den Europameisterschaften in Rom erlebt der Deutsche Schwimm-Verband einen Medaillenregen - doch inmitten des Jubels sieht sich der DSV schweren Vorwürfen ausgesetzt. Der viermalige Wassersprung-Europameister Jan Hempel (50), Olympia-Zweiter von 1996, belastet in der ARD-Dokumentation „Missbraucht - Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport“ (Samstag, 22.40 Uhr) einen langjährigen Trainer schwer. Und er bezichtigt den DSV des Wegschauens.

„Ich bin von meinem Trainer missbraucht worden. Er hat eigentlich keinen Zeitpunkt ausgelassen, um seinen Wünschen freien Lauf zu lassen“, sagte Hempel. 14 Jahre lang, ab Hempels elftem Lebensjahr, habe sich ein Trainer zeitweise täglich an ihm vergangen, unter anderem während der Olympischen Spiele 1992 in Barcelona, unmittelbar vor einem Wettkampf.

Laut Hempel, der nach eigener Darstellung die Verbandsspitze 1997 über die Vorgänge unterrichtete, hat sich der DSV nie substanziell mit den Vorwürfen auseinandergesetzt. „Alle haben geschwiegen, bis heute“, sagte Hempel. Der DSV kündigte am Donnerstag auf SID-Anfrage eine Stellungnahme an.

Bei Hempel ist eine beginnende Alzheimererkrankung diagnostiziert worden. Er habe Details über den Missbrauch aufgeschrieben, „jetzt kann ich mich noch daran erinnern“. Deshalb wolle er nicht mehr schweigen: „Ich glaube, man ist es anderen auch für die Zukunft schuldig, dass man darüber spricht.“

Weitere Betroffene berichten in dem ARD-Film über verschiedene Fälle und Ausprägungen sexualisierter Gewalt im deutschen Schwimmsport. Manche Begebenheiten reichen bis in die jüngste Vergangenheit.

Es sind Schilderungen, die in vergleichbarer Form in den vergangenen Jahren auch in anderen Sportarten vermehrt ans Licht kommen - und die den Ruf nach der Installation einer unabhängigen, übergeordneten Instanz verstärken.

„Die Enthüllungen zu Missbrauchsfällen im Schwimmen machen wütend und betroffen“, kommentierten die Athleten Deutschland am Donnerstag bei Twitter: „Sie zeigen: Es handelt sich nicht um Einzelfälle, sondern um strukturelles Versagen. Leider wird einmal mehr die Notwendigkeit eines unabhängigen Zentrums für Safe Sport deutlich.“

Wassersprung-Bundestrainer Lutz Buschkow ist nach Vorwürfen zum Umgang mit sexuellem Missbrauch vom Deutschen Schwimm-Verband (DSV) während der EM in Rom mit sofortiger Wirkung von seiner Tätigkeit freigestellt worden. Beim Titelgewinn der Olympiadritten Tina Punzel und Lena Hentschel im Synchronspringen vom 3-m-Brett saß der 64-Jährige noch am Beckenrand, beim anschließenden 1-m-Finale der Männer dagegen nicht mehr.

„Der Prozess der Aufklärung ist noch nicht abgeschlossen. Dennoch hat sich der DSV-Vorstand aufgrund seiner hohen moralischen Ansprüche dazu entschieden, Herrn Buschkow bis zur finalen Klärung des Sachverhaltes mit sofortiger Wirkung von seiner Tätigkeit als Bundestrainer Wasserspringen im DSV freizustellen“, teilte der DSV am Donnerstagabend mit. Der Verband zeigte sich „zutiefst bestürzt über die Schilderung der schrecklichen Erlebnisse der Opfer sexualisierter und sexueller Gewalt“.

Erst in der vergangenen Woche begrüßte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) in einer Stellungnahme die von Politik und Athletenvertretungen propagierte Gründung eines bundesweiten Zentrums für Safe Sport - welche auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung verankert ist. Doch der Weg ist lang: Positionspapiere und Absichtserklärungen sind der Status quo, was fehlt, ist etwa ein konkreter Zeitplan. Dieser solle „noch im Jahr 2022 erarbeitet“ werden, so der DOSB.

Dessen Vorstandsvorsitzender Torsten Burmester erklärte, ein Zentrum für Safe Sport könne „helfen, Schutzlücken im Sport zu schließen sowie die bereits bestehenden Maßnahmen und Aktivitäten der Sportverbände und -vereine sinnvoll zu ergänzen und zu unterstützen“. Gleichzeitig sehe der DOSB aber „weiterhin die originäre Verantwortung zur Sicherstellung von Schutz vor Gewalt im Sport bei den Sportverbänden und -vereinen“.

Christina Gassner, Vorstand Jugendsport und Geschäftsführerin der dsj, betonte, für ein solches Zentrum müsse „sowohl seine Unabhängigkeit gewährleistet sein als auch eine vollumfängliche und langfristige Finanzierung durch den Bund“. Nicht zuletzt um das liebe Geld kreist vieles. Doch die Zeit drängt. Das zeigen nicht nur die Vorwürfe von Jan Hempel.

(SID/stja)
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