Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben Streit um Zugang zu tödlichem Medikament vor NRW-Gericht

Münster · Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat jeder Mensch ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben. Aber was hilft es, wenn dieser Wunsch nicht umgesetzt werden kann? Mit dieser Frage beschäftigten sich jetzt die obersten NRW-Verwaltungsrichter.

 Eine leere Flasche mit der Aufschrift „Pentobarbital-Natrium“ steht im Augustiner-Museum. (Symbolfoto)

Eine leere Flasche mit der Aufschrift „Pentobarbital-Natrium“ steht im Augustiner-Museum. (Symbolfoto)

Foto: dpa/Patrick Seeger

Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 ist klar: Jeder Mensch hat ein Grundrecht auf den selbstbestimmten Tod. Aber wie können Schwerstkranke diesen höchstrichterlich bestätigten Sterbewunsch umsetzen? Muss zum Beispiel das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den Kauf von todbringende Medikamente erlauben? Mit dieser juristischen Frage beschäftigt sich am 2. Februar das Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster. Das ist zuständig, weil das Bundesinstitut seinen Sitz in Bonn hat.

Die Kläger kommen aus Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Baden-Württemberg. Sie fordern von der Behörde, ihnen den Kauf des Mittels Natrium-Pentobarbital zu erlauben. Und zwar so, als hätten sie von einem Arzt ein Rezept erhalten und könnten damit zu einer Apotheke gehen. Das Mittel wird in den Niederlanden, Belgien und der Schweiz im Rahmen der dort erlaubten Sterbehilfe eingesetzt. In der ersten Instanz hatte das Verwaltungsgericht Köln die Klagen nach einem Zwischenschritt zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe abgewiesen.

Nach Angaben der Bundesregierung von September 2021 sind seit 2017 insgesamt 223 Anträge auf Erteilung einer Erlaubnis beim Bundesinstitut in Bonn eingegangen. Kein Fall wurde demnach bewilligt. 144 Anträge wurden abgelehnt. In 54 Fällen gab es Widersprüche durch die Antragsteller, die wiederum zurückgewiesen wurden. Einige Anträge wurden ausgesetzt, andere sind noch anhängig. Der Ablehnungen durch das Bundesinstitut ging eine Nichtanwendungserlass für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) voraus.

Einer der Kläger in Münster ist 51 Jahre alt und leidet seit über 20 Jahren an Multipler Sklerose. Der Mann ist ab unterhalb der Schulter gelähmt und muss rund um die Uhr betreut werden. Eine Klägerin aus dem Landkreis Schwäbisch-Hall ist 68 Jahre alt und leidet neben Krebs an multiplen Erkrankungen. Nach zahlreichen Operationen leidet sie unter erheblichen Schmerzen. Ähnliches gilt für einen 77-Jährigen aus dem Landkreis Lüneburg, der neben Krebs auch an einer Herzerkrankung leidet. Alle hatten 2017 beim Bundesinstitut eine Erlaubnis beantragt, das Betäubungsmittel erwerben zu dürfen. Dann klagten sie nach der Ablehnung 2017 und 2018 am Verwaltungsgericht. Ihre Fälle wurden dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorgelegt.

Nach Angaben von OVG-Sprecher Dirk Rauschenberg fordern die Kläger den Kauf ein, um ihren Selbsttötungswunsch zum Teil unmittelbar umsetzen zu können - zum Teil soll das Mittel erworben werden, um es zu einem späteren Zeitpunkt einsetzen zu können.

Zwei Wege führen zu dem Betäubungsmittel. Entweder verschreibt ein Arzt Natrium-Pentobarbital. Hier sagen die Kläger nach Angaben des OVG-Sprechers, dass sie aber keinen Arzt finden, der diesen Schritt vollzieht. Die Alternative ist die Erlaubnis zum Erwerb durch das Bundesinstitut. Das lehnt mit dem Verweis auf das Betäubungsmittelgesetz ab. Die Vorschrift erlaubt die Untersagung, wenn Art und Zweck des Mittels nicht mit der notwendigen Versorgung der Bevölkerung vereinbar sind. Aber was bedeutet notwendige Versorgung? Ob damit auch eine Selbsttötung gemeint sein kann, muss jetzt das OVG in Münster entscheiden.

Im Februar 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht das Verbot der organisierten Sterbehilfe in Deutschland gekippt, weil damit das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben verletzt werde. Aktive Sterbehilfe, also das Töten auf Verlangen, blieb dagegen verboten. Bei der assistierten Sterbehilfe, bei dem ein tödliches Medikament zur Verfügung gestellt wird, nimmt der Patient das Mittel selbst ein. Anspruch auf Hilfe durch Mediziner oder den Staat gibt es ausdrücklich nicht. Dabei geht es um die Frage, ob das höchstrichterlich festgestellte Grundrecht auf Selbsttötung ins Leere läuft, wenn es faktisch nicht umgesetzt werden kann.

Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2017 kann die Erlaubnis erteilt werden, wenn sich der Antragsteller in einer extremen Notlage befindet. Das ist der Fall, wenn „eine schwere und unheilbare Erkrankung mit gravierenden körperlichen Leiden, die nicht ausreichend gelindert werden können, zu einem unerträglichen Leidensdruck führt“. Und: Der Betroffene muss sich frei und ernsthaft entschieden haben, sein Leben beenden zu wollen. Aber es gibt eine Einschränkung. Es darf keine andere, zumutbare Möglichkeit zur Umsetzung des Sterbewunsches geben.

Hier sah das Verwaltungsgericht Köln einen Ansatz für die Kläger. In der Urteilsbegründung beschreibt das Gericht ausführlich, welcher alternativer Medikamentenmix nach der Einnahme ebenfalls auf humane und zumutbare Weise zum Tod führen kann. Die Kläger beharren aber darauf, dass allein die Einnahme von Natrium-Pentobarbital sicher und nahezu komplikationsfrei sei. Das ist aber unter Experten umstritten.

Das OVG will nach der mündlichen Verhandlung noch am gleichen Tag ein Urteil verkünden.

(chal/dpa)
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