Interview mit Christoph Schäfer von der Stiftung Lesen Für jede Schule eine Zeitung

Kinder und Jugendliche, die regelmäßig lesen, sind besser in der Schule. Christoph Schäfer von der Stiftung Lesen überrascht das nicht. Der Experte erklärt, warum Lesen so wichtig ist, warum es unser Bildungssystem durchlässiger macht und was Schüler nur aus der Zeitung lernen können.

Sie haben in Ihrer aktuellen Studie herausgefunden: Schülern, die regelmäßig lesen, fällt die Schule leichter. Woran liegt das?

Schäfer: Das hat viele Ursachen. Natürlich sind Kinder, die viel lesen, informierter. Aber häufiges Lesen steigert auch die Lesekompetenz und fördert das Sprachvermögen und die Neugier. Lesen stärkt zudem soziale Kompetenzen. Das Klischee von der Leseratte, die alleine zuhause sitzt, stimmt nicht. Kinder, die gerne und viel lesen, können auch in der sozialen Interaktion gut mithalten. Oft sind sie diejenigen, die beim Spielen die Impulse bringen.

Ein Buch vermittelt andere Fähigkeiten als die Tageszeitung. Was kann die Zeitung leisten?

Schäfer: Die Tageszeitung hilft Kindern und Jugendlichen bei der Weltaneignung. Das merken wir bei unseren Schulprojekten immer wieder. Sie ist ein Fenster zum direkten Lebensumfeld. Über die Regionalseiten bekommen die Kinder mit, was in ihrer Stadt im Kino läuft. Sie lesen über ihre Schule und über ihren Stadtteil. Damit ist die Tageszeitung ein Brückenmedium zwischen der aktiv gelebten und der medialen Wirklichkeit, in der auch die große Welt vorkommt. Eine Stärke von Printmedien ist, dass Jugendliche den eigenen Rhythmus der Wahrnehmung bestimmen können - sie können selbst entscheiden, wie lange sie für einen Artikel brauchen und wie lange sie blättern. Das gibt ihnen Souveränität im Umgang mit dem Medium.

Laut Ihrer Studie profitieren Kinder aus bildungsfernen Schichten besonders stark, wenn sie lesen. War das für Sie überraschend?

Schäfer: Für uns liegt es nahe, dass Lesen für Kinder aus einer bildungsfernen Umgebung eine große Chance bietet, ihre Determiniertheit zu durchbrechen. Im Zusammenhang mit der Pisa-Studie kam auch immer wieder die Frage auf: Wie können wir unser Bildungssystem durchlässiger machen? Lesen kann das sicher nicht alleine schaffen, aber Lesen ist da ein ganz zentraler Motor.

Was bedeutet Zeitung lesen für die Entwicklung eines jungen Menschen?

Schäfer: Zeitung lesen ist ein Bildungsimpuls, und es kann inspirieren. Zum Beispiel bei der Berufswahl. Ein Auszubildender hat mal erzählt, er hätte von seinem Beruf nie erfahren, wenn er nicht darüber in der Zeitung gelesen hätte. Lesen erweitert den Horizont, es stärkt das Selbstvertrauen und fördert Fähigkeiten, von denen man gar nicht wusste, dass man sie hat. Lesen bietet ein großes Potenzial. Deshalb müssen wir möglichst viele Menschen zum Lesen bringen. Die Pisa-Studie sagt, dass ein Fünftel unserer Schulabgänger praktisch nicht in der Lage ist, gewinnbringend eine Tageszeitung zu lesen, weil es sie nicht verstehen. Das können wir uns einfach nicht leisten.

In Familien wird immer weniger gelesen. Was kann Schule kompensieren?

Schäfer: Die oberste Priorität bei der Leseförderung haben die Familien. Aber Schulen können wirklich viel leisten und bewirken. Wir hören über unsere Leseförderungsprojekte immer wieder, dass auch beim Lesen in der Schule der Funke überspringen kann und Kinder und Jugendliche in der Schule Spaß am Lesen finden.

Inwiefern bieten sich gerade die Tageszeitung für den Schulunterricht an?

Schäfer: Die Tageszeitung eignet sich besonders für themenorientierte Leseförderung, weil sich in der Tageszeitung alle Themen des Lebens wiederfinden. Damit ist die Tageszeitung auch ein Medium, das eben nicht nur im Deutschunterricht genutzt werden kann.

Sabine Schmitt führte das Interview.

(RP)
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