Zwölf Arme, vier Reiche

Das Nord-Süd-Gefälle beim Länderfinanzausgleich ist groß. Bayern, Hessen und Baden-Württemberg sind mit fast sieben Milliarden Euro die Zahlmeister. NRW ist endgültig zum Nehmerland geworden.

Berlin Münster ist das Vorbild. So wie der Gerichtshof in der Westfalenstadt die Schuldenpolitik der rot-grünen Landesregierung gestoppt hat, so soll das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nun die Nehmerländer im Länderfinanzausgleich ausbremsen. Das ist, grob gesagt, der Schlachtplan der größten Nettozahler innerhalb des staatlichen Umverteilungssystems. Bayern, Hessen und Baden-Württemberg (Hamburg spielt mit 60 Millionen Euro Beitrag eine Nebenrolle) haben 2010 sieben Milliarden Euro an die zwölf "armen" Länder überwiesen. Drei Bundesländer finanzieren den Rest-Staat.

Die schwarz-gelben Länderchefs wollen das nicht länger hinnehmen. Sollten die Nehmerländer nicht zu einer Systemreform bereit sein, werde man vor dem obersten Gericht klagen, teilten die Ministerpräsidenten Stefan Mappus (Baden-Württemberg, CDU), Horst Seehofer (Bayern, CSU) und Volker Bouffier (Hessen, CDU) nach einer gemeinsamen Kabinettssitzung gestern in Stuttgart mit. Die Symbolik soll das Anliegen unterstreichen. Noch nie hat es eine Sitzung dreier Landesregierungen in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben.

Die Zielvorgabe der im Grundgesetz verankerten Finanzverfassung, wonach eine "Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" herzustellen ist, gilt seit Langem als sanierungsbedürftig. Das Prinzip, dass die Starken den Schwachen helfen sollen, führt bisweilen dazu, dass die Schwachen mehr Spielräume haben. Beispiel Hessen: Nach Abzug des Länderfinanzausgleichs war Hessen im Jahr 2009 bei der Steuerkraft pro Einwohner vom ersten auf den letzten Platz der Länder zurückgefallen. Dennoch waren keine Änderungen gegen die Mehrheit der Empfängerländer durchzusetzen. Für die Empfängerländer sei es fiskalisch kaum lohnend, eigene Anstrengungen zu unternehmen, kritisiert Winfried Fuest vom Institut der Wirtschaft in Köln. "Von einem Euro zusätzlicher Steuererträge bleiben lediglich rund zehn Cent übrig – der Rest wandert in den Ausgleichstopf." Das System zementiere die bestehenden Verhältnisse.

Nordrhein-Westfalen, über viele Jahre Geberland und in den Nachkriegsjahren mit dafür verantwortlich, dass aus dem Bauernstaat Bayern ein wirtschaftlich prosperierendes Land wurde, steht inzwischen fest in der Kreide der Geber. Knapp 360 Millionen Euro erhielt NRW 2010 aus dem Topf, so viel wie nie. Nach 13 Jahren als Nettozahler wurde das Land vor zwei Jahren Hilfsempfänger. 60 Millionen Euro erhielt NRW im Jahr 2008. Die rot-grüne Opposition warf damals dem CDU-Finanzminister Helmut Linssen "Versagen" in der Haushaltspolitik vor. Nun nimmt Düsseldorf fast sechs Mal so viel Geld.

Im NRW-Finanzministerium verweist man auf Belastungen durch die Finanzkrise. Außerdem würden Rheinland-Pfalz und NRW zu Geberländern, würde man den sieben Milliarden Euro schweren Umsatzsteuerausgleich dazuzählen.

Änderungsbedarf sehen die "armen" Länder nicht. "Was jetzt wie ein Vorstoß im Namen der Gerechtigkeit aussehen soll, ist nichts anderes als ein populistischer Appell an Neid-reflexe", teilte Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) mit. Mit 2,9 Milliarden Euro ist Berlin Spitzenreiter der Transferempfänger. Dass SPD-Länderfürsten wie Wowereit mit der Abschaffung von Studien- und Kindergartengebühren punkten, ist den CDU-regierten Südländern ein Dorn im Auge. "Die Nehmerländer verteilen Wohltaten auf Kosten der Geberländer", kritisiert Baden-Württembergs Regierungschef Mappus. Dies sei leistungsfeindlich und ungerecht. Man brauche "konkrete Vorgaben, die von den Nehmerländern erfüllt werden müssen". So könnte der Finanzausgleich in einen Sockelbeitrag, "eine Art Sozialhilfe", und Anreizzahlungen aufgesplittet werden. Diese dürften nur fließen, wenn das Land seine Wirtschaftskraft erhöht. Mappus & Co. hoffen nun auf Karlsruhe. Die Rechtsprofessoren Christian Seiler (Tübingen) und Hanno Kube (Mainz) sind zu der Auffassung gelangt, dass der Finanzausgleich in seiner jetzigen Form nicht grundgesetzkonform ist. Die beiden Experten sollen nun eine Klageschrift vorbereiten.

(RP)
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