Ankara Zwei Kurden im türkischen Kabinett

Ankara · Erstmals kann Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht mehr allein regieren.

Die Türkei hat schon viele kurzlebige Regierungen gesehen, die neue Übergangsregierung ist keine Ausnahme. Nur zwei Monate bis zur Neuwahl am 1. Nov ember wird die 63. Regierung der Türkei im Amt sein. Und doch schreibt sie Geschichte: Zum ersten Mal überhaupt stellt eine Kurdenpartei zwei Minister in einer Regierung in Ankara. Und zum ersten Mal seit fast 13 Jahren regiert die AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht mehr allein. Doch die 63. Regierung könnte weit über politische Symbolik hinaus wichtig werden.

Einzelne kurdische Minister sind in der Türkei keine Seltenheit; Finanzminister Mehmet Simsek von der AKP etwa ist schon seit 2009 im Amt. Doch dass eine Kurdenpartei formell an einer Regierung beteiligt wird, ist neu. Freiwillig hat die AKP dem nicht zugestimmt: Weil nach der Juni-Wahl die Regierungsbildung scheiterte, wurden Neuwahlen fällig, für deren Fall die Verfassung eine Allparteienregierung vorsieht. Die Kurdenpartei HDP stellt nun mit Ali Haydar Konca den EU-Minister und mit Müslüm Dogan den Minister für Wirtschaftsaufbau.

Das sind keine allzu bedeutenden Ministerien, doch für die HDP zählt vor allem der Schritt ins Zentrum der Macht. Schließlich ist das neue Kabinett eine Folge der Schlappe der AKP bei der Wahl im Juni, als sie die absolute Mehrheit im Parlament einbüßte, und des Aufstiegs der HDP, die im Juni mit 13 Prozent ins Parlament einzog. Auch die Regierung sei ein Ort des politischen Kampfes, erklärte die HDP. Ihr EU-Minister Konca forderte gleich mehr Anstrengungen der Türkei bei demokratischen Reformen.

Die Regierungsbeteiligung verleiht der HDP, die sich mit dem Vorwurf enger Verbindungen zu den PKK-Rebellen herumschlagen muss, im Wahlkampf zusätzliche Respektabilität. Gleichzeitig handeln sich Erdogan und die AKP, die seit Wochen heftig gegen die Kurdenpartei austeilen, ein Glaubwürdigkeitsproblem ein. Im Wahlkampf wird die AKP alles versuchen, um die HDP unter die Zehnprozent-Marke zu drücken, damit sie aus dem Parlament gedrängt wird.

Doch das Kabinett der Rivalen könnte mehr zuwege bringen als nur Wahlkampf-Reibereien. Die Interessen von AKP und HDP decken sich in einem wichtigen Punkt: Beide würden vor der Wahl von einem Ende der Gefechte zwischen der Armee und der PKK profitieren. Mehr als 50 Polizisten und Soldaten und mehrere Hundert PKK-Kämpfer sind laut Regierungsangaben seit Juli getötet worden. Am Wochenende starben weitere drei Polizisten.

Als Mitglied in der Regierung trägt die HDP nun Mitverantwortung für die Zustände im Land, was sie dazu bringen könnte, mäßigend auf die Rebellen einzuwirken. Auch in den Syrien-Konflikt könnte Bewegung kommen: Die Türkei betrachte die Terrormiliz "Islamischer Staat" als Bedrohung für die nationale Sicherheit, ließ der neue Außenminister Feridun Sinirlioglu mitteilen.

(RP)
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