Colorado Zu Besuch im Kiffer-Eldorado der USA

Seit Jahresbeginn ist der Verkauf von Cannabis in dem US-Bundesstaat erlaubt. Eine legale Drogen-Industrie schießt wie ein Pilz aus dem Boden. Beobachtungen aus Colorado.

 Dieser junge Mann ist eigens von Ohio nach Denver gereist, um sich mit Marihuana einzudecken.

Dieser junge Mann ist eigens von Ohio nach Denver gereist, um sich mit Marihuana einzudecken.

Foto: Theo Stroomer

Angefangen hat es in Amsterdam, wo sonst. Es ist elf Jahre her, da verbrachten Mitch und Eva Woolhiser ihre Flitterwochen in der Stadt, in der man unbeschwert Gras rauchen konnte. "Wenn das je bei uns möglich wird, sollten wir vorneweg marschieren", schworen sich die beiden. "Und nun", sagt Eva Woolhiser, einst Zahnhygienikerin, "nun ging es so schnell, dass ich mich manchmal kneifen muss, weil ich denke, das träumst du nur." Denver, die Mile High City, eine Meile über dem Meeresspiegel am Fuße der Rocky Mountains gelegen, hat jetzt sogar Amsterdam überholt. Es hat dem Genuss von Cannabis nicht nur das Stigma des Kriminellen genommen, sondern auch einen staatlich regulierten Markt dafür geschaffen, mit Steuern und Stichprobenkontrollen und allem Drum und Dran. Einen Markt wie für Zigaretten oder Whiskey.

Sheridan Boulevard Nr. 2045, an der Tür von Northern Lights leuchtet ein neongrünes Kreuz, drinnen lässt das Ambiente an eine Mischung aus Arztpraxis und Edelkonditorei denken. Über einer Sofaecke stehen elegante Gläser in einem dezent beleuchteten Regal, gefüllt mit getrockneten Cannabisblüten wie mit teuren Pralinen. "Etwas für die gute Laune", sagt Eva Woolhiser und präsentiert ihre belebenden, berauschenden Sorten, Chernobyl, Sour Diesel, Jack's Cleaner. Daneben die einschläfernden, schmerzlindernden Blüten, Dacono Kush, Kandy Kush, Blue Mystic. In einer Vitrine die essbaren Produkte, Kekse mit Hanfgeschmack oder Cannabis-Brownies. Wer den Laden betritt, muss sich ausweisen. Es gelten die gleichen Regeln wie beim Ausschank von Alkohol: Bedient wird nur, wer 21 ist oder älter.

"Ach, ich will einfach mal richtig kichern", sagt ein Mittvierziger. "Klar, Mann, ich wünschte mir, ich hätte es schon viel früher probiert." Eine Rentnerin schwört auf Marihuana, weil es gegen Arthritis helfe. Abends piekst Eva Woolhiser Stecknadeln in eine Landkarte, um zu zeigen, woher die Leute kommen. Texas, Kentucky, Louisiana: Die Südstaaten, wo der Genuss von "Pot" am härtesten geahndet wird, sind stark vertreten.

Ortswechsel. Ein Industriepark irgendwo an einer Bahnlinie. Mitch Woolhiser brütet überm Laptop, früher hat er Software programmiert, heute leitet er ein Gewächshaus, eines für Sour Diesel & Co. Draußen verrät kein Schild, nichts, was sich drinnen befindet. "Du musst es nicht jedem auf die Nase binden", erklärt Eva Woolhiser. Lieber inkognito als ausgeraubt. 2009, als Colorado den Rauschgift-Konsum zu Heilzwecken zuließ, haben sich die Woolhisers ihren Amsterdamer Traum erfüllt und mit dem Pflanzen begonnen, "in einem Keller, das reinste Provisorium". Jetzt mieten sie eine kleine Fabrikhalle, in der einmal Wurst abgepackt wurde, in einer schummrigen Gegend, die sich gut als Thriller-Kulisse eignen würde. Der Wachhund heißt Mary Jane. Als sich das Experiment in Colorado aufs Medizinische beschränkte, ließ sich die Sache noch überschauen. Bei Northern Lights hatten sie 40 bis 50 Kunden am Tag, und so kinderleicht, wie es immer hieß, war es gar nicht, von einem Arzt ein Rezept zu bekommen. Seit dem 1. Januar dürfen exakt 3000 Pflanzen in der früheren Wurstfabrik wachsen. Jede einzelne ist mit einem Barcode versehen, damit Inspektoren sie scannen können, um sicher zu sein, dass nicht geschummelt wird. Wer mit Marihuana handelt, muss nachweisen, dass mindestens 70 Prozent seiner Ware aus eigenem Anbau stammen. Und sobald eine Ladung Blüten die Halle verlässt, meldet es Mitch Woolhiser, penibel wie ein Buchhalter, an die Behörden.

Es ist die Transparenz, mit der Colorado der Schattenwelt der Drogenkartelle das Wasser abzugraben versucht. Der Haken ist, der Kundenansturm übertrifft alle Erwartungen. Im Großraum Denver gibt es rund 60 Pot-Geschäfte, wie sich herausstellt zu wenig für ein Ballungsgebiet mit fast drei Millionen Bewohnern. Theoretisch darf jeder eine Unze kaufen, 28 Gramm. Praktisch kommen die Woolhisers, wie alle anderen auch, mit dem Pflanzen nicht hinterher. Bereits eine Woche nach dem Start in der Silvesternacht mussten sie Rationen einführen, höchstens sieben Gramm für jeden. Eva Woolhiser kommentiert es mit gelassenem Grinsen: "Wir wurschteln uns durch, das machen wir Amerikaner doch immer."

Bei Natural Remedies, beste Innenstadtlage in Denver, gibt es nur noch drei Gramm pro Person, und wer verstehen will, was für eine Branche von Autodidakten dies ist, der braucht nur mit der Besitzerin zu reden. Linda Andrews war Krebsforscherin, ihrer Familie gehört das Gebäude. Als die Bilderrahmenwerkstatt, an die sie den Keller vermietete, krisenbedingt auszog, beschloss sie kurzerhand, den Keller selber zu nutzen, als Marihuana-Filiale. In der Warteschlange steht Hector Luna, ein Ökonomie-Student, er sehe die Welt ziemlich nüchtern, betont er. "Fakt ist, der Krieg gegen die Drogen hat nichts gebracht. 20 Jahre Knast wegen ein paar Gramm Pot, das ist doch absurd." Aber das wisse man ja spätestens seit der Prohibition: Je strenger das Verbot, umso mehr hätten die Leute getrunken. "Was damals Alkohol war, ist heute Marihuana, und was wir in Colorado gerade erleben, ist das Ende der Prohibition Nummer zwei."

Dann ist da noch die Sache mit den Banken. Nach amerikanischen Bundesgesetzen sind Drogen noch immer tabu, zudem ein Synonym für Geldwäsche. Also keine Konten für Drogenhändler, auch nicht für legale, da geht keine Bank ein Risiko ein. Nicht nur, dass die Händler ihre Tageseinnahmen bündelweise zu irgendeinem Tresor fahren müssen, sie bekommen auch nirgends Kredit. Und: Bei Northern Lights zahlt man ausschließlich bar, was in den USA, dem Mutterland der Kreditkarte, so ungewöhnlich ist, als liefe man mit einer Flasche Budweiser in der Hand über die Straße.

Trotz des Improvisierens am Start gibt es Leute, die das ganz große Geschäft mit dem grünen Rausch wittern. Tripp Keber etwa, der Marihuana-Mogul, wie die Boulevardpresse ihn nennt. Unter der Marke Dixie Elixirs lässt er Brause, Bonbons und Gebäck mit Haschischbeigabe herstellen — und sich feiern, als wäre er ein genialer Computerbastler aus einer Silicon-Valley-Garage, der Mann der Zukunft.

Es ist aber nicht so, dass ganz Denver nach Gras riecht. Nur in Privatwohnungen darf gekifft werden, in der Öffentlichkeit, gleich ob in Kneipen oder in Parks, bleibt es verboten. Es ändert nichts daran, dass es heftigen Widerspruch gibt. "Ich höre immer wieder, Marihuana sei nicht schlimmer als Alkohol. Nun, unsere Mediziner-Vereinigung meint, Marihuana sei eine gefährliche Droge und sollte deshalb nicht zugelassen werden", kritisiert John Meyer, ein Kolumnist der "Denver Post", der konservative Gegenpol zu Ricardo Baca, dem Rauschgiftredakteur, den sich die Zeitung seit ein paar Wochen leistet.

Sam Kamin, Juraprofessor an der University of Denver, sieht vor allem den Schwebezustand. "Wir haben eine millionenschwere Industrie, bei der jede einzelne Transaktion ein Verbrechen ist", bringt er es auf den Punkt. An der Gesetzeslage in der Union, hat die kleine Freiheit Colorados nämlich nichts geändert. Demnach macht sich weiterhin strafbar, wer Gras verkauft oder raucht. Barack Obama, der Präsident, der als Teenager auf Hawaii eifrig kiffte, hat deutlich gemacht, dass man Colorado gewähren lässt wie eine Autonomiezone, sofern es nicht zur Schmuggeldrehscheibe wird. "Aber was", fragt Kamin, "wenn der nächste Präsident das anders sieht?"

(csi)
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