Zeitung hat Zukunft

Kaum eine Branche beschäftigt sich so lustvoll mit düsteren Zukunftsszenarien wie die Zeitungen. Dabei ist das Medium keinesfalls veraltet. Im Gegenteil: Die Krise ist eine Chance.

Berlin Die Totengräber der Tageszeitungen haben ihre Schaufeln schon lange ausgepackt. 2004 erschien ein Buch des amerikanischen Publizisten Philip Meyer mit dem Titel: "The Vanishing Newspaper" – das Verschwinden der Tageszeitungen. Mit dem Internet verliere die Zeitung ihre Existenzberechtigung, lautete verkürzt die ernüchternde These. Es folgten Essays, Bücher und Diskussionsrunden mit dem immer gleichen Tenor: Wozu noch Tageszeitungen? Nun, eine Antwort könnte sein: um dem Nachrichtenwust im Internet substanziellen Flankenschutz zu geben. Doch dazu später mehr.

Zunächst: Kaum eine Branche spricht so destruktiv über die eigene Zukunft wie die Zeitungsbranche. Auch bei dem heute in Berlin beginnenden Kongress des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) wird die "Zeitungskrise" wieder Stichwortgeber auf den Fluren und in den Gesprächsrunden finden. Die Zweifler am Fortbestand der eigenen Gattung sind oft und laut zu hören.

Dabei belegen die Zahlen, dass die Zeitung vom viel zitierten Auslaufmodell weit entfernt ist. Knapp 50 Millionen Deutsche lesen täglich eine Zeitung. 351 Tageszeitungen gibt es in Deutschland, dem größten Zeitungsmarkt Europas. Allein die regionalen Blätter werden jeden Tag von 14 Millionen Männern und Frauen gelesen. "Trotz des Internets ist die Lokalzeitung das bislang universellste und die größte Publizität erreichende Kommunikationsmedium", sagt Berthold Flöper, Medienexperte bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Es seien die Lokalzeitungen, die auf Augenhöhe mit dem Leser, durch Nähe zu den Nachbarschaften, Orientierung für eine wissbegierige und heimatliebende Öffentlichkeit geben könnten. 82 Prozent der Bürger halten Nachrichten aus ihrem Wohnort für unverzichtbar. Wie die Lokalzeitung auch künftig unentbehrlich bleibt, ist ein Thema auf dem BDZV-Kongress morgen. Medienexperten und Vertreter von Regionalzeitungen treffen in einer von Sven Gösmann, Chefredakteur unserer Zeitung, moderierten Podiumsrunde mit dem Titel "Total Lokal – Strategien, Konzepte, Produkte" aufeinander.

Das Produkt, das Verlagsmanagern Kopfzerbrechen bereitet, ist das Internet. Dort werden Informationen nicht nur rasend schnell, sondern auch kostenlos angeboten. Die Zahl der Anbieter von Informationen nährt sich der Zahl der Nutzer an. Jeder, der ein E-Mail-, ein Twitter-Konto (ein Portal zum Versenden von Kurzmitteilungen) oder eine Mitgliedschaft in einem sozialen Netzwerk wie Facebook vorweisen kann, kann Informationen versenden. Ein Ersatz für Journalismus ist das nicht. Vielmehr kann die Zeitung die neuen Medienformen für sich nutzen. Das Internet ist als zusätzlicher Kanal eine Chance für investigative Reporter, für Verlagshäuser und gerade für Tageszeitungen. Übernimmt das Echtzeit-Medium Internet doch jene Aufgabe, an der Tageszeitungen stets zu knabbern hatten: Aktualität. Im Netz können Informationen von jedem Ort der Welt zu jeder Sekunde ihren Empfänger finden. Trotzdem: Die Analyse, die Hintergrundreportage, die Einordnung eines Ereignisses bleibt die Stärke der Zeitung. Sie gilt nach wie vor als besonders glaubwürdiges Medium. Die Multimedialität ist also Chance, nicht Gefahr. Ein Thema lässt sich heute in unterschiedlichen Kanälen "spielen", wie es im Branchenjargon heißt. Mit einem modernen Internetauftritt kann eine Tageszeitung ihre Marke stärken, neue Kundschaft erschließen, die den Weg zurück von Online zum Printprodukt findet. Die kostenpflichtigen Applikationen der Verlage für internetfähige Handys und schmale Tablet-Computer wie das iPad ergänzen diese Informationsfamilie nicht nur. Sie beweisen auch, dass der Kunde bereit ist, für Nutzwert und überraschende Geschichten zu bezahlen.

Es ist ein Wettbewerb, von dem alle Anbieter profitieren können. Für die Verlage wird die Arbeitsteilung zum Schlüssel für die multimediale Welt. Online, Print, Fernsehen – alles aus einer Hand. Wird auf dem Internetportal über die Bundestags-Debatte, den Sportwettkampf oder die Naturkatastrophe in Echtzeit berichtet, so kann die Zeitung tags darauf die Analyse liefern. Warum ist etwas passiert? Welche Konsequenzen müssen daraus gezogen werden? Diese Antworten zu geben, ist Auftrag der Tageszeitungen. Dabei vollzieht sich in den Redaktionen ein Wandel: weg vom Prinzip der gedruckten Tagesschau, hin zu einer erklärenden, aufklärenden und Geschichten erzählenden Lektüre. Print und Online sind mediale Zwillinge, keine verfeindeten Stiefbrüder. Mit ihren Zeitungen und Internetangeboten erreichen die Verlage so viele Menschen wie nie. Der Nutzer der Internetseite und der Leser der Zeitung ist nur selten dieselbe Person. Und Erhebungen zeigen, dass die Jüngeren, die der Zeitung in den vergangenen Jahren verstärkt den Rücken gekehrt haben, oft später, etwa mit der Familiengründung wieder zu einem Printprodukt greifen. Der Tageszeitungs-Journalismus stirbt also nicht aus. Er wird nur revitalisiert. Und vielfältiger. Welche Informationen und welche Geschichten lassen sich über welches Medium am besten verbreiten? Das sind die Fragen der Zeitungsmacher von heute.

Die Kernkompetenz des Journalisten, die sorgfältige Recherche und die erlernte Fähigkeit, Vorgänge rasch zu bewerten und verständlich zu machen, bleibt davon unberührt. "Neue Bedingungen, Optionen, Potenziale" hat der BDZV eine weitere Diskussionsrunde überschrieben. Das klingt wie ein Weckruf: Mit Kreativität, Mut und Selbstbewusstsein wird die Zeitung ihren Platz finden. Krisengerede hilft jedenfalls nicht weiter.

(RP)
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