Zahl der Erdbeben-Toten steigt unaufhörlich

sendai (RP) 14.46 Uhr Ortszeit, genau eine Woche nach dem ersten verheerenden Erdstoß des Jahrhundertbebens gedachte gestern ganz Japan mit einer Schweigeminute der Opfer. Auch in NRW hielten die Menschen für eine Minute inne. Die Zahl der geborgenen Toten steigt täglich. Gestern näherte sie sich der 7000er-Grenze. 10 700 Menschen gelten als vermisst. Die Hoffnung, in der schneidenden Kälte Überlebende in Schlamm und Trümmern noch bergen zu können, ist extrem gering, so dass mit einer Gesamtzahl von 17 000 Toten zu rechnen ist.

Dank des Einsatzes von fast 100 000 Sanitätern, Polizisten, Soldaten und Bergungshelfern sind wichtige Straßen im Katastrophengebiet wieder befahrbar. Sie führen zum Teil durch gespenstische Mondlandschaften aus vom Schlamm planierten Flächen, in denen weder Gebäude noch Bäume überdauert haben.

In Sendai, einer der am härtesten getroffenen Städte in der Präfektur Miyagi, öffneten die ersten Geschäfte wieder. Der Flughafen der Stadt konnte wieder freigegeben werden, nachdem das Rollfeld von umgestürzten Kleinflugzeugen, Autos und Schutt freigeräumt worden war. Wegen des Benzinmangels sind nur wenige Autos unterwegs, selbst in Tokio ist der Treibstoff rationiert – pro Auto werden nicht mehr als zehn Liter abgegeben.

Trotz der großen Fortschritte bei den Aufräumarbeiten sind viele Menschen noch immer auf sich selbst gestellt. In der Stadt Hirota besorgen sich die Einwohner Wasser aus Brunnen und Bergflüssen. Helikopter haben Instant-Nudeln, Brot und Obst eingeflogen – zu wenig, um alle zu sättigen. Aber die Menschen teilen miteinander. Wessen Haus noch steht, der spendet den Obdachlosen Decken gegen die eisige Kälte.

In Turnhallen ohne Heizung kauern Menschen eng aneinander, um sich gegenseitig Wärme zu spenden, wie der Fernsehsender NHK berichtet. Japans Wetterbehörde meldete für den Nordosten Temperaturen unter null. Nach Darstellung des Senders sind mindestens 25 zumeist ältere und geschwächte Menschen in den Notlagern erfroren. Innerhalb der nächsten 24 Stunden sollte wärmeres Wetter die Situation erleichtern, sagt Herbert Pümpel von der World Meterological Organization der UN.

Die US-Armee, die 50 000 Soldaten in Japan stationiert hat, unterstützt die Retter; doch schwerer Schneefall hat Helikopterflüge eingeschränkt, und amerikanische Flugzeuge haben die Order, wegen einer möglichen Verstrahlung der Piloten die Zone um die Reaktoren von Fukushima zu meiden. Es ist frustrierend", sagt der US-Marinesoldat Jeff Pearson. "Aber wir tun, was wir können. Ich glaube aber, wir werden bald deutlich mehr helfen können." Bereits gestern konnten zwei US-Hubschrauber in der Nähe eines zerstörten Dorfes landen, um Bohnen und Milchpulver in ein Notlager zu bringen.

Die Flüchtlinge in der Region um Miyagi wurden von den Behörden aufgefordert, auf die benachbarten Präfekturen auszuweichen. Grund ist der akute Platzmangel in den Notunterkünften, wie die Nachrichtenagentur Kyodo berichtet. Eine ähnliche Anweisung hatte es bereits in der Präfektur Fukushima gegeben. Sie liegt südlich von Miyagi. In den Katastrophengebieten im Nordosten Japans herrscht derzeit Eiseskälte.

Zur Versorgung der Erdbeben- und Tsunami-Opfer hat die EU eine Luftbrücke eingerichtet. 15 Zivilschutzexperten würden sich auf den Weg nach Tokio machen, um die Verteilung von Hilfsgütern zu organisieren, sagte Kommissionssprecher Raphael Brigandi.

Das Japanische Rote Kreuz organisiert nicht nur Notunterkünfte, es bemüht sich auch um die psychologische Betreuung der traumatisierten Menschen. Von großer Bedeutung ist dabei die Zusammenführung von Familien, die durch das Beben und den Tsunami auseinandergerissen worden sind. Um den Kontakt wiederherzustellen, hat der Suchdienst des Roten Kreuzes eine Sonderwebseite eingerichtet. Über 4000 Namen wurden seit dem Wochenende in der fünfsprachigen Datenbank www.familylinks.icrc.org eingetragen.

Das deutsche Technische Hilfswerk (THW) ist weiterhin in Japan im Einsatz und unterstützt die deutsche Botschaft in Tokio sowie das Generalkonsulat in Osaka. Seit Abschluss des Sucheinsatzes konzentriert sich die Arbeit des THW auf die Unterstützung der Ausreise deutscher Staatsbürger und Bürger anderer Nationen aus Japan. In Absprache mit den japanischen Behörden war der Sucheinsatz nehr als 100 Stunden nach dem Erdbeben und dem Tsunami abgebrochen worden, weil in den zugewiesenen Gebieten keine Hoffnung mehr bestand, Überlebende zu finden.

(RP)
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