Berlin Wulffs Problem mit der Pressefreiheit

Berlin · In seinen Reden zeigte sich das Staatsoberhaupt überzeugt von der besonderen Bedeutung einer freien Berichterstattung. Er warb im Ausland sogar öffentlich dafür, während er zugleich versuchte, eine Berichterstattung über seinen Privatkredit zu verhindern. Dabei liegen die Regeln auf der Hand. Ganz besonders wissen das Juristen – wie Wulff.

In seinen Reden zeigte sich das Staatsoberhaupt überzeugt von der besonderen Bedeutung einer freien Berichterstattung. Er warb im Ausland sogar öffentlich dafür, während er zugleich versuchte, eine Berichterstattung über seinen Privatkredit zu verhindern. Dabei liegen die Regeln auf der Hand. Ganz besonders wissen das Juristen — wie Wulff.

Wenn es um die Pressefreiheit in Deutschland geht, ist der Bundespräsident kraft Amtes ihr zweitwichtigster Hüter. Bei jedem Gesetz hat er vor dem Unterschreiben zu prüfen, ob die Grundsätze der Verfassung gewahrt sind. Sollte also eine Bundesregierung oder ein Bundestag ein Gesetz formulieren, in dem ein Anflug von Zensur zum Vorschein käme — Christian Wulff müsste es blockieren. Über ihm steht bei der Prüfung von Gesetzen nur das Bundesverfassungsgericht.

Die Richter haben mehr als einmal klargemacht, wie lebenswichtig — sie sagen "konstitutiv" — die Pressefreiheit für das Funktionieren der Demokratie ist. Das sahen schon die Gründer: "Eine Zensur findet nicht statt", schrieben sie als Grundrecht in Artikel 5 des Grundgesetzes fest. Ein schlichter, einfacher, aber starker Satz: Keine Polizei, keine Behörde und auch kein Bundespräsident kann vorgeben, welche Themen veröffentlicht werden dürfen und welche nicht.

Wulff hat auf der Klaviatur der Pressefreiheit wie selbstverständlich gespielt, um seinen Weg in der Politik zu machen. Die Meinungsäußerung ist das zentrale Element auch bei politischen Karrieren. Je "freier" die Meinung des zitierten Nachwuchspolitikers von den Vorgaben der Verantwortlichen abweicht, desto größer ist die Chance, damit in die Medien zu gelangen, sich zu profilieren, auf sich aufmerksam zu machen.

Wulff kennt die Rolle der Pressefreiheit nicht nur aus der politischen Praxis. Er ist selbst Jurist, hat zwei Staatsexamina absolviert und in einer Anwaltssozietät gearbeitet. Wie sehr das Verfassungsgericht jeden Versuch einer Zensur oder staatlichen Bevormundung oder Inhaltskontrolle im Keim erstickt, weiß der Jurist Wulff spätestens seit dem ersten Semester.

Wulff kennt daher nur zu gut die Ansprüche, die die Verfassung mit dem Amt des Bundespräsidenten als Verfassungsorgan verbindet. Allerdings weiß er auch, dass jede Meinungsäußerung und Berichterstattung auch rechtlichen Grenzen unterworfen ist. Dann nämlich, wenn es um die Menschenwürde und die Grundrechte anderer geht. Denn nach Artikel 5 findet das Recht auf freie Meinungsäußerung seine "Schranken" unter anderem im "Recht der persönlichen Ehre".

Diese Ehre ist bei allen Menschen gleich, gefühlt beim Staatsoberhaupt ein wenig gleicher. Denn wegen seiner herausgehobenen Stellung im Staatsgefüge als moralische Instanz, die über den Parteien und Querelen steht, kommt dem Bundespräsidenten ein besonderer Respekt zu. Es gehört zwar nicht zu den Pflichten der Medien, die Berichterstattung zu mäßigen, wenn es um den Bundespräsidenten geht. Aber zum guten Ton durchaus, die Ausdrucksweise zu zügeln. Über Kritik an seiner Amtsführung jedoch ist der Bundespräsident nicht erhaben. Im Gegenteil: Seine herausgehobene Funktion fordert dazu heraus, immer wieder zu beobachten und zu beschreiben, ob er seiner Verantwortung gerecht wird. Erst recht hat der Bundespräsident keinen medialen Freibrief für persönliche Verfehlungen oder fragwürdige private Verhaltensweisen.

Das alles sind keine fremden Erwägungen. Wulff selbst könnte sie in seinen Reden wieder und wieder betonen, wie er es auch bei verschiedenen Anlässen schon getan hat. Zuletzt bei seiner Reise in die Staaten am Golf. Das sei "die beste Grundlage für erfolgreiche gesellschaftliche Entwicklung", lautete Wulffs Werben für Pressefreiheit in einer Welt, in der genau diese Freiheit nicht zu den Selbstverständlichkeiten gehört.

Kaum gesprochen, griff Wulff auch schon zum Handy, um unliebsame Berichterstattung über ihn in Deutschland zu verhindern. Wie sich nun herausstellte, war das nicht einmal ein Einzelfall des Präsidenten im Umgang mit der Pressefreiheit. Versuche von Bürgermeistern, Lokalreporter von peinlichen Berichten abzubringen, gehören zur Realität der Pressefreiheit in Deutschland. Ein Bundespräsident muss darüber erhaben sein.

Internet Online-Reaktionen auf Wulff: www.rp-online.de/digitales

(RP/rm)
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