Wulffs erste Prüfung

Der seit 1. Juli amtierende Bundespräsident Christian Wulff könnte sich in der Streitsache "Bundesbank gegen Sarrazin" als eigenständig bewähren oder als fügsamer "Berliner Chorknabe" blamieren.

düsseldorf Horst Köhler, der Amtsvorgänger von Bundespräsident Christian Wulff, stand 2007 beim Volk im Zenit seines Ansehens. Damals hatte das Staatsoberhaupt nach längerer öffentlicher Debatte getan, was eine große Mehrheit der Bürger von ihm erwartete: Er hatte das Gnadengesuch des inhaftierten Mehrfach-Mörders und RAF-Terroristen Christian Klar abgelehnt.

Der seit 1. Juli amtierende Bundespräsident Christian Wulff könnte sich jetzt ähnlich wie seinerzeit Köhler beliebt machen im Volk und den bei der Bundesbank, der Bundeskanzlerin, der SPD-Spitze, Grünen und Linkspartei in Ungnade gefallenen Finanzfachmann und Bestseller-Autor Thilo Sarrazin vor der Entlassung als Bundesbanker bewahren. Denn erst Wulffs Unterschrift unter den Antrag des Bundesbank-Vorstandes aufAbberufung Sarrazins besiegelt dessen berufliche Laufbahn in Frankfurt.

Juristisch betrachtet ist es so: Die Anklage wird von Bundesbank-Präsident Axel Weber vertreten, als Nebenklägerin fungiert Frau Merkel, der Angeklagte verteidigt sich selbst, und Wulff verkörpert das Hohe Gericht. Würde es den Angeklagten im Sinne von Anklage und Nebenklägerin für schuldig befinden und ein Bundesbank-Berufsverbot verhängen, erginge das Urteil wohl nicht "Im Namen des Volkes". Das Volk scheint das Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Artikel 5 Grundgesetz) in diesem speziellen Fall höher anzusiedeln, als dies beim maßgeblichen Teil seiner politischen Repräsentanten der Fall ist.

Ärger noch für Wulff: Ginge Sarrazin, was nach Ansicht des renommierten Arbeitsrechtlern Bernd Rüthers aussichtsreich wäre, nicht in Deckung, vielmehr in "Berufung", drohte dem Bundespräsidenten womöglich eine erste schwere politisch-juristische Schlappe. Auch der Politikwissenschaftler und Direktor der Politischen Akademie im oberbayerischen Tutzing, Heinrich Oberreuter, sieht deshalb das Staatsoberhaupt im Fall Sarrazin in einer heiklen Lage. Falls Wulffs Hausjuristen ihrem Chef die arbeitsrechtlichen Fallstricke aufzeigten und signalisierten, dass es für eine Entlassung Sarrazins keine hinreichenden Gründe gebe, könne Wulff die Unterschrift nicht riskieren. Täte er es dennoch und gewönne daraufhin Sarrazin den Rechtsstreit, wäre Wulff schon zu Beginn seiner Amtszeit beschädigt. Oberreuter: "Das wäre dann ein echter Fehlstart."

Bis zum Beweis des Gegenteils sollte man dem Bundespräsidenten nicht unterstellen, er sei in der Sache Sarrazin ohne innere Überzeugung, er folge vielmehr gehorsamst dem Willen der "politischen Anklage". Wulff ist ein ernsthafter, gründlicher Mensch. Man darf ihm glauben, dass er Schaden vom Volk wenden und die Integration fördern will und in dem hochrangigen Provokateur Sarrazin jemanden ausgemacht hat, der durch leichtsinnige, unsinnige Ausflüge in biologistisches Minengelände Deutschlands Ansehen und das seiner nicht mehr so wichtigen, aber weiterhin geachteten und beachteten Zentralbank befleckt.

Wulffs Antrittsrede als Bundespräsident vor dem Bundestag war gespickt mit Hinweisen auf das notwendige Miteinander von Alt-Deutschen und zugewanderten Neu-Deutschen, auch auf Kinder, denen gleiche Chancen gebührten, heißen sie nun "Krause oder Yilmaz". Kurz bevor er zum Bundespräsidenten gewählt wurde, hatte Wulff als Ministerpräsident von Niedersachsen die junge Juristin Aygül Özkan (CDU), Tochter eines vor Jahrzehnten eingewanderten türkischen Schneiders, zur ersten muslimischen Ministerin ernannt. Dem Bundespräsidenten liegt also die gelungene Eingliederung besonders am Herzen. Was allerdings auch auf denjenigen zutrifft, über dessen Bundesbank-Zukunft er bald zu richten hat. Wobei Sarrazin mehr als Wulff die Risiken bestimmter Zuwanderung mit dickem Pinselstrich hervorhebt.

Nicht nur Heinrich Oberreuter meint, dass Christian Wulff besser zum Entlassungsfall Sarrazin geschwiegen hätte, anstatt, wie geschehen, als Teil der deutschen "Erregungs-Demokratie" (Oberreuter) die Bundesbank indirekt aufzufordern, ihm doch den Entlassungsantrag zu schicken. Wenn er sich als Staatsoberhaupt schon äußern mochte, hätte er nach Meinung Oberreuters mit der dem Staatsoberhaupt eigenen Macht des Wortes eine angemessene, sachliche Diskussion über Probleme der Integration und das Recht auf Meinungsfreiheit anmahnen sollen.

Stattdessen scheint der Bundespräsident in dem Chor mitsingen zu wollen, dessen Notenbücher von wichtigen Berliner Stadtmusikanten stammen. "Ein Bundespräsident", so sagt es der Politikwissenschaftler Oberreuter, "ist immer schlecht beraten, wenn er mit irgendeinem politischen Chor singt, da hat Christian Wulff seine neue Rolle wohl noch nicht gefunden."

Der Bundespräsident will sich beim Finden der richtigen Entscheidung helfen lassen. Es heißt, er erwarte nunmehr im Streitfall "Bundesbank gegen Sarrazin" eine Stellungnahme der Bundesregierung. Das wirkt nur auf den ersten Blick unsicher und entscheidungsbang. Denn die im Grundgesetz mit wenig Macht ausgestattete erste Person im Staat liegt politisch-staatsrechtlich bei fast all seinem amtlichen Tun und Unterlassen am goldenen Zügel der Regierenden.

Artikel 58 der Verfassung lautet: "Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den zuständigen Bundesminister."

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