Wulff zieht nicht ins Schloss Bellevue

Seine erste Auslandsreise führt den frisch gekürten Bundespräsidenten Christian Wulff nach Brüssel. Dort wolle er EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso treffen, sagte Wulff in der gestern aufgezeichneten ARD-Sendung "Farbe bekennen". Dann werde er vielleicht noch nach Paris und Warschau fliegen, wobei das Ergebnis der polnischen Stichwahl ja noch nicht feststehe.

Anfang Oktober sei dann ein Staatsbesuch in der Türkei geplant. Es sei sehr wichtig, die Beziehungen zu verstärken, weil viele Türken in Deutschland lebten, fügte er hinzu. Zuvor wird Wulff heute in einer gemeinsamen Sitzung von Bundestag und Bundesrat seinen Amtseid ablegen. Der 51-Jährige war am Mittwoch Abend in der Bundesversammlung im dritten Wahlgang zum Präsidenten gewählt worden.

Wulff will auch einen Vorstoß zur Senkung der Ruhebezüge nach seinem Ausscheiden aus dem Amt machen. Es gehe darum, ein Zeichen zu setzen, sagte er. "Wir alle müssen mit weniger auskommen." Derzeit erhält der Bundespräsident nach seinem Ausscheiden 200 000 Euro im Jahr.

Wulff strebt auch an, eine Art Denkfabrik im Präsidialamt einzurichten. Goethe sei Minister gewesen, Voltaire, Leibniz und Humboldt waren Berater, betonte er. Ähnliche Menschen wolle er ns Schloss Bellevue einladen. Sein Amt biete die "Chance der Entschleunigung". Er müsse nicht jeden Tag Entscheidungen fällen.

Über die Wehrpflicht sagte Christian Wulff, er sei immer einer ihrer Anhänger gewesen. Es gebe auch kein überzeugendes Modell, dass eine Abschaffung Einsparungen bringe. Gleichwohl fehle es derzeit an der Wehrgerechtigkeit und an der Ausbildung der Soldaten. Er könne sich vorstellen, dass der Gesetzgeber die Wehrpflicht nur aussetze, sie aber nicht abschaffe. Dann müsste das Grundgesetz nicht angetastet werden.

Auf die Frage nach den Wahl-Abweichlern in der Koalition sagte Christian Wulff, die Präsidenten Gustav Heinemann und Roman Herzog seien auch erst im dritten Wahlgang gewählt worden. Diesmal habe es "zwei bürgerliche, zwei konservative Kandidaten" gegeben. Das habe offenkundig innere Konflikte bei manchen Wahlmännern erzeugt. Sein Gegenkandidat Joachim Gauck sei "höchst respektabel" – ein Hoffungsträger für eine Mobilisierung der Bürger jenseits der Parteien.

Der neue Präsident wehrte sich dagegen, den Wahlablauf als Denkzettel für Kanzlerin Angela Merkel zu betrachten. Entscheidend sei, dass am Ende die absolute Mehrheit für ihn vorhanden gewesen sei. Er müsse sich nun im Amt beweisen und habe "ohnehin nie so wahnsinnig viel Vorschusslorbeeren" geerntet.

Einen Einzug in seinen Amtssitz, das Schloss Bellevue, schloss Christian Wulff aus. "Das Schloss Bellevue ist nicht zum Wohnen geeignet", sagte er vor der Aufzeichnung der ARD-Sendung. Er werde sich eine andere Bleibe suchen. Berlin sei eine großartige Stadt mit viel Grün und viel Kultur. Er sei sicher, dass er und seine Familie sich dort "sehr wohlfühlen" würden.

Internet Der erste Arbeitstag von Christian Wulff, Fotos von der Vereidigung und vom Sommerfest am Abend unter www.rp-online.de/politik

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