Reaktionen Schäuble nennt US-Spionage "so was von blöd"

Berlin · Auch Merkel, de Maizière und Strobl drücken in drastischen Worten ihre Enttäuschung über den transatlantischen Partner aus.

Diese Geheimdienste sind in Deutschland aktiv
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Foto: dpa, nar cul

Wenn eine wie Angela Merkel den USA vorwirft, mit ihrem Denken im letzten Jahrhundert stecken geblieben zu sein, dann muss viel passiert sein. Denn Merkel war schon als Schülerin von den USA fasziniert, wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich selbst mal ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu reisen, wurde in Washington mit der höchsten Medaille ausgezeichnet - und rechnet nun mit den USA ab wie kein deutscher Regierungschef vor ihr: "Vergeudung von Kraft" sei es, Partner auszuspionieren. Im Kalten Krieg möge es ja Misstrauen gegeben haben, aber "wir leben heute im 21. Jahrhundert", belehrte sie die USA.

Noch weniger diplomatische Zurückhaltung legten sich ihre Minister auf. "Das ist so was von blöd", sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zum Ausspionieren Deutschlands durch die USA, und über "so viel Dummheit" könne man nur weinen. Für Innenminister Thomas de Maizière (CDU) haben die USA einen "schwerwiegenden" politischen Schaden angerichtet, um im Vergleich dazu "lächerliche" Informationen zu gewinnen.

CDU-Vize Thomas Strobl brachte die Frustration auf den Punkt: "Das Ansehen Amerikas, vor allem bei jungen Menschen, befindet sich im freien Fall", erläuterte er unserer Zeitung. "Begreifen die Amerikaner noch irgendetwas?", fragte er und ließ damit erkennen, dass die traditionell größten Freunde Amerikas angesichts der US-Spionage gegen die Deutschen verzweifeln. Man müsse sich fragen, ob die Amerikaner in den vergangenen Wochen und Monaten überhaupt irgendetwas gelernt hätten.

Der höchste Repräsentant der US-Geheimdienste in Deutschland galt bisher auch in den Augen der Bundesregierung als wichtig für die Sicherheit Deutschlands. Über ihn liefen die Warnungen vor geplanten Islamisten-Anschlägen im Bundesgebiet. Ausgerechnet ihn zum Verlassen des Landes aufzufordern, macht auch den Frust der Bundesregierung über die USA in den letzten zwölf Monaten NSA-Affäre klar. Viele Fragen stellten die Ministerien direkt und über ihre Dienste. Aber die Antworten blieben aus.

Der enthüllte Spionagefall war somit nicht Grund, sondern nur Anlass für das drastische Vorgehen. Bei näherer Betrachtung der deutschen Geheimnisse, die der US-Geheimdienst für 25 000 Euro konspirativ von einem BND-Mitarbeiter aufgekauft hatte, fragen sich die Insider umso mehr nach dem Sinn. Selbst der Verdacht, den NSA-Untersuchungsausschuss ausspioniert zu haben, ist inzwischen in sich zusammengefallen. Unter den 218 erworbenen Dokumenten war nur eines mit Bezug zum Ausschuss. Und darin ging es auch nicht um die Arbeit, sondern nur um die Anordnung des Chefs des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler, vorerst keine Akten mit NSA-Bezügen zu schreddern, weil diese vom Bundestag angefordert werden könnten. Die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums wollen nun alle 218 Dokumente im Umfang von fünf Aktenordnern selbst studieren, um einschätzen zu können, ob Schindlers Meinung plausibel ist, es handele sich nicht um sonderlich sensible Informationen, sondern um alltägliche BND-Papiere.

In die Entscheidung der Regierung flossen auch Eindrücke ein, die kurz zuvor Mitglieder des Auswärtigen Bundestagsausschusses bei einer Reise nach Washington in Gesprächen im Kongress und im Weißen Haus gewonnen hatten. Unions-Außenexperte Philipp Mißfelder fasst zusammen: "Die Amerikaner sind zerknirscht - aber es ist nicht klar, aus welchem Grund: weil sie die Spionage gegen den Partner bedauern oder weil sie bedauern, dabei erwischt worden zu sein."

Von der Geheimdienstzusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung profitierten zwar beide Seiten. Aber in Washington habe keiner erklären können, was das Ausspionieren des BND oder das Abhören des Kanzlerin-Handys mit Terrorabwehr zu tun habe.

Die Linke versucht derweil, die Debatte von der Spionage in Berlin wegzubringen. "Wir dürfen nicht aus dem Auge verlieren, dass der eigentliche Skandal die massenhafte Ausspähung aller Bürger ist", sagte Linken-Chef Bernd Riexinger unserer Zeitung. Wenn die Regierung schon nicht sicherstellen könne, dass das unterbleibe, müsse sie ein Programm auflegen, das breiteren Bevölkerungsschichten einen "kostengünstigen Zugang zu Kryptohandys" ermögliche. Riexinger: "Alle haben ein Recht auf abhörsichere Kommunikation."

(may-)
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