"Wir reden auch über Westerwelle"

Interview Die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger fordert, die Partei inhaltlich und personell auf den Prüfstand zu stellen. Dabei gehe es auch um Parteichef Guido Westerwelle. Außerdem distanziert sie sich von den Atomplänen von FDP-Generalsekretär Christian Lindner.

Wenn Sie morgens aufstehen, wissen Sie dann, wie die Meinung der FDP am Abend sein wird?

Homburger Im Augenblick ist sehr vieles im Umbruch. Wir tun gut daran, nicht einfach weiterzumachen wie bisher, sondern unsere Positionen zu hinterfragen. Es ist ganz offensichtlich, dass wir an einigen Stellen etwas ändern müssen. Der Diskussionsprozess in der Partei wird nicht einfach sein. Aber er ist notwendig, um die Partei zukunftsfähig zu machen.

FDP-Generalsekretär Christian Lindner hat den Willen der FDP erklärt, dass die acht ältesten Atommeiler nie mehr ans Netz gehen sollen. Ist das eine abgestimmte Position?

Homburger Das ist eine Position, die am Ende des Moratoriums herauskommen kann. Die Diskussion muss allerdings viel grundsätzlicher geführt werden. Alle Parteien waren in der Vergangenheit der Auffassung, dass unter hohen Sicherheitsstandards ein Restrisiko tragbar ist. Diese Grundsatzfrage müssen wir jetzt neu beantworten. Das ist nicht nur eine technische, wirtschaftliche oder politische, sondern auch eine gesellschaftliche Frage: Wie viel Restrisiko sind wir bereit zu tragen?

Und wie stehen Sie persönlich zu Lindners Position?

Homburger Das kann, muss aber nicht das Ergebnis sein. Mein Ziel ist es, das Zeitalter der erneuerbaren Energien deutlich schneller zu erreichen. Wir haben die Aufgabe, eine neue energiepolitische Konzeption zu formulieren und die Menschen dabei mitzunehmen. Wir wollen zu einem tragfähigen, neuen Konsens kommen, der nicht bei nächster Gelegenheit wieder aufgebrochen wird. Da werden sich alle Parteien bewegen müssen. Nicht nur bei den Laufzeiten. Wir müssen klären, wie zum Beispiel die Windenergie zum Verbraucher kommt. Dazu brauchen wir mit einem von der Koalition geplanten Beschleunigungsgesetz einen raschen Netzausbau, gegen den sich die Grünen sperren. Das ist die Gretchenfrage an die Opposition: Will sie sich weiter der Modernisierung unserer Energieinfrastruktur verweigern oder bewegt sie sich? Außerdem brauchen wir einen massiven Forschungsschub bei Speichertechniken, wo sich wegen der Verweigerungshaltung der Grünen in früheren Jahren nichts getan hat. Nur wenn erneuerbare Energien speicherfähig werden, erreichen wir das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Und es geht um die Frage der Grundlastversorgung.

Damit gewinnen Sie Vertrauen zurück?

Homburger Wir haben drei Stellschrauben: Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit. Unter Umständen werden wir neue Definitionen brauchen. Wie kann etwa die CO2-Zielvorgabe gehalten werden? Mit mir wird es auf keinen Fall eine Lösung geben, bei der wir Strom aus unsichereren ausländischen Kernkraftwerken importieren. Und das Konzept muss auch noch tragen, wenn die aktuellen Emotionen abgeklungen sind. Wenn sich die neue Energiepolitik im Geldbeutel bemerkbar macht, wird es andere Fragen geben. Wir gewinnen nur dann Vertrauen zurück, wenn die Menschen uns nicht als sprunghaft empfinden, sondern den neuen Kurs rational nachvollziehen können.

Hat Lindner die Position der Partei, der Fraktion oder nur von sich selbst formuliert?

Homburger Er hat in der laufenden Debatte seine Position formuliert.

Viel Dynamik steckt auch in der FDP. Bleiben Sie Fraktionsvorsitzende?

Homburger Ja.

Wie reagieren Sie auf Versuche, Sie abzulösen?

Homburger Indem ich meine Arbeit in aller Gelassenheit und mit aller Entschlossenheit solide und seriös weiterführe. Es geht zuerst um das Land und dann um die Partei. Bei diesen schwierigen Fragen erwarten die Bürgerinnen und Bürger bald konkrete Antworten, und dafür ist eine handlungsfähige Koalition gefragt.

Braucht die FDP denn einen personellen Umbruch?

Homburger In der Tat können wir nicht so weitermachen wie bisher. Wir müssen alles auf den Prüfstand stellen, sowohl inhaltlich als auch personell.

Im Sinne der Justizministerin, die auch die Frage des Parteivorsitzes als offen betrachtet?

Homburger Wir reden über alle. Das ist eine Selbstverständlichkeit.

Und "alle" umfasst auch den Parteichef?

Homburger Alle heißt alle.

Und Sie werden auch keine Konsequenzen als baden-württembergische Landesvorsitzende ziehen?

Homburger Wir werden die Oppositionsrolle kraftvoll annehmen. Dieser Übergang muss jetzt gestaltet werden. Ich wurde massiv gebeten, jetzt nicht von Bord zu gehen.

Sie stehen also nicht als Bauernopfer für den Verbleib Westerwelles als FDP-Chef zur Verfügung?

Homburger Nein. Außerdem spiele ich Schach nur privat.

Michael Bröcker und Gregor Mayntz führten das Gespräch.

(RP)
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