Wien: Rebellion der Fernsehmacher

Österreichs TV-Sender ORF steht seit jeher unter dem Einfluss politischer Parteien. Doch diesmal gab es einen massiven Aufstand der Redakteure: Eine höchst umstrittene Personalentscheidung, die als Angriff auf die journalistische Unabhängigkeit galt, musste zurückgenommen werden.

Wien Niko wer? Den jungen Mann mit dem streng rückwärts gekämmten rotblonden Schopf kannten in Österreich bis vor Kurzem nur Eingeweihte in Kreisen der Sozialdemokratischen Partei (SPÖ) und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ORF). Doch Niko Pelinka, so der volle Name des 25-jährigen Überfliegers, der schon mit 19 Jahren Sprecher einer Ministerin war, wurde innerhalb weniger Wochen zur Schicksalsfigur um die journalistische Unabhängigkeit des ORF.

Der Grund: Pelinka ist Mitglied des Stiftungsrats im ORF, dem höchsten Kontrollgremium der Anstalt, dessen 35 Mitglieder mehrheitlich einer politischen Partei nahestehen. Zu den Kompetenzen des Stiftungsrats zählt auch die Wahl des Generaldirektors (Generalintendant). Als Anführer des "Sozialdemokratischen Freundeskreises", wie die SPÖ-Fraktion innerhalb des Stiftungsrats genannt wird, hatte Pelinka maßgeblichen Anteil an der Wiederwahl des amtierenden, der SPÖ nahestehenden Generaldirektors Alexander Wrabetz im August 2011. Als Lohn für seinen Einsatz erhielt Pelinka einen hohen Posten: Kurz vor Weihnachten bestellte ihn Wrabetz zu seinem neuen Büroleiter.

Das war der Zündfunke zur Rebellion der ORF-Redakteure auf dem Wiener Küniglberg, dem Sitz der Anstalt. Diesen kaum verhüllten Durchgriff einer Partei auf die Spitze des öffentlich-rechtlichen Senders wollte man sich nicht bieten lassen; 1300 Journalisten des ORF unterzeichnet einen Protestnote. Doch den durchschlagenden Erfolg erzielten die Redakteure erst über die sozialen Medien, über Facebook und Youtube. Marie-Claire Zimmermann, Armin Wolf, Hannelore Veit und viele andere prominente Fernsehgesichter, die die Österreicher aus den Nachrichtensendungen kennen, artikulierten auf selbst gedrehten Videos ihre Bedenken gegen den parteipolitischen Einfluss. Videos wurden 500 000 aufgerufen.

Warum dieser massive Protest? Als Büroleiter des Generaldirektors hätte Pelinka der SPÖ-Parteizentrale den direkten Zugriff auf Personalakten und die Programmgestaltung ermöglicht. Die Journalisten fürchteten direkten parteipolitischen Einfluss insbesondere auf die Gestaltung der Hauptnachrichtensendung ZiB (Zeit im Bild) und die politischen Magazine.

Wrabetz bestritt diese Vorwürfe vehement. Er habe das Recht, sich seinen Büroleiter selbst auszusuchen, und Pelinka sei seine Idealbesetzung. "Die SPÖ-Zentrale hat ihn ausgesucht", stellt ZiB-2-Moderator Armin Wolf in einem Interview seinen Chef respektlos bloß. Pelinka ist kein Journalist. Sein Befähigungsnachweis für den Posten war das Parteibuch und das Wohlwollen des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Werner Faymann und dessen folgsamen ORF-Gefolgsmanns Wrabetz. Der hatte sich grobe formale Fehler geleistet. So hatte er Pelinka der Öffentlichkeit als Wunschkandidaten präsentiert und erst fünf Tage danach, wie es die Regel erfordert, den Posten öffentlich ausschreiben lassen. Die Österreicher bewiesen Sinn für Ironie: Darauf trudelten mehr als 3000 Jux-Bewerbungen für den Pelinka-Posten auf dem Küniglberg ein.

Sogar der Onkel des in die Kritik Geratenen, der anerkannte Politologe Anton Pelinka, fragte sich, "ob die ORF-Spitze von Arroganz verblendet oder ganz einfach nur dumm ist?" Und Vater Peter Pelinka, Chefredakteur des Magazins "News", war als professioneller Journalist peinlich berührt: Er könne seinem Sohn allenfalls raten, den Job nicht anzunehmen, doch der führe "seit Jahren ein eigenständiges Leben".

Gestern, nach mehr als einem Monat öffentlicher Erregung, zog der Sohn die Konsequenzen. Die Debatte um ihn habe "ein Ausmaß erreicht, das nicht mehr akzeptabel ist. Ich ziehe mich von dieser Ausschreibung zurück", heißt es in seiner Stellungnahme. Mediengerüchten zufolge will er bei einem deutschen TV-Sender anheuern.

(RP)
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