Analyse Wie sich das Papstamt wandeln muss

Düsseldorf · Papst Benedikt XVI. hat mit seiner Rücktritts-Ankündigung das höchste Amt in gutem Sinne entzaubert: Er hat, indem er sich und seinem Wirken eine Grenze setzte, dem Amt die Würde des Dienens zurückgegeben.

Nach dem angekündigten Rücktritt von Benedikt XVI. wird das Amt des Papstes nicht mehr das sein können, was es vor dem 11. Februar war. Zwar war der Amtsverzicht des Bischofs von Rom und Stellvertreters Jesu Christi schon immer möglich. Und von einigen Päpsten des 20. Jahrhunderts – etwa Pius XII. – ist bekannt, dass sie zumindest Vorkehrungen zum Abschied getroffen hatten. Doch was einige Jahrhunderte nur denkbar war, wurde jetzt auch praktiziert. Das höchste Amt der katholischen Kirche ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem Amt auf Zeit geworden. Das war es immer, nur setzte bislang stets der Tod den Schlussstrich unter das päpstliche Wirken. Plötzlich ist es der freie Entschluss des Amtsträgers. Eine gewisse Eigenmacht und Souveränität steckt in der Entscheidung, Fürsorge für die eigene Person und Sorge für die Führung einer 1,2 Milliarden Mitglieder zählenden Weltkirche.

Seit der Rücktrittserklärung schauen wir möglicherweise etwas nüchterner nach Rom. Aus Sicht des Berliner Erzbischofs Rainer Maria Woelki ist das Amt gar "entzaubert" und entmystifiziert worden. Neu jedenfalls ist mit dem Rücktritt die Frage geworden, wie es überhaupt zu einer solchen Mystifizierung kommen konnte.

So klingt die These vom unumkehrbaren Wandel des Amtes gewaltiger, als sie in Wahrheit ist. Denn sie hat nur dann diese empörungsdienliche Wucht, wenn man das Papsttum als einen schon immer existierenden und unveränderlichen Fels in der katholischen Hierarchie begreift. Tatsächlich aber gehört das Papstamt keineswegs zum Wesen der Kirche, es ist vielmehr eine geschichtlich gewachsene Institution, mit der man der Nachfolge des heiligen Petrus gerecht zu werden sucht. Wobei die Entwicklung des Amtes bis zu seiner heutigen Form weder geradlinig verlief noch irgendeiner Gesetzmäßigkeit folgte. Das höchste Amt ist ein Produkt der Geschichte, es war stets an Personen und an Lehrmeinungen gebunden und zudem abhängig von politischen Ereignissen. Die Menschheit hat Päpste und Gegenpäpste gesehen, hat Päpste erlebt mit immenser weltlicher Machtfülle und solche, die irdische Geltungsansprüche ablegten und ablehnten – und alles theologisch begründet. Das Amt des Papstes ist somit etwas Gemachtes und Gewachsenes, aber nichts Gegebenes.

Die allermeisten Menschen würden, nach dem Typischen des Papstamtes befragt, wahrscheinlich die Unfehlbarkeit nennen.

Doch ausgerechnet dieses herausragende Signum ist ein Kind erst des 19. Jahrhunderts – verkündet auf dem Ersten Vatikanischen Konzil 1870 und bestätigt in der Konstitution Lumen Gentium 1964. Waren die Päpste in den 1800 Jahren davor etwa nicht unfehlbar? Und weshalb wurden sie es gerade im 19. Jahrhundert? Die Unfehlbarkeit berührt ausschließlich Glaubens- und Sittenfragen und wurde bis heute erst ein einziges Mal angewendet – von Pius XII. im Jahre 1950. Ein berühmtes Dogma also, das ohne praktische Bedeutung geblieben ist.

Und dennoch ist es so populär. Warum? Weil es Teil jenes Kultes geworden ist, mit dem das Papstamt in den zurückliegenden 200 Jahren Schritt für Schritt erhöht wurde. Davor waren Amt und Amtsträger voneinander getrennt. Zudem verließ der Papst nach den Worten des Wuppertaler Theologen Martin Ohst Rom und Italien allenfalls im Notfall und war der katholischen Christenheit bestenfalls namentlich bekannt. Das änderte sich in Europa erst mit der Auflösung der Kirchengüter und des Kirchenstaates durch Napoleon. In einer Zeit der zunehmenden Säkularisierung nimmt – vielleicht als eine Art Gegenbewegung – die Außenwirkung des Papstes zu, bis hin zum Personenkult unserer Tage. Die Kirchen in Europa sind leer; den Papst aber will jeder sehen, bejubeln, will ihn bei seinen Auftritten in altertümlich wirkenden Gewändern bestaunen. Für nicht wenige Menschen des 21. Jahrhunderts ist das Mysterium fidei (das Geheimnis des Glaubens) ersetzt worden durch das Geheimnis des Papstamtes. Nicht selten ist es der Pontifex, der im wahrsten Sinne des Wortes angehimmelt wird. Der Glaube ist auf diese Weise personalisiert worden – nicht jedoch in Gestalt Jesu Christi, sondern in der Anwesenheit seines Stellvertreters.

Benedikt XVI. hat uns mit seinem angekündigten Rücktritt den Blick wieder freigemacht auf das Wesen des Papsttums. Dass er den Titel ablegen und nach dem 28. Februar nur noch Joseph Kardinal Ratzinger sein wird, macht klar, dass das Amt kein Weiheamt ist. Der Papst wird – wie es weltlicher kaum sein kann – von den Kardinälen des Konklaves in geheimer Abstimmung gewählt. Dass dabei auch der Heilige Geist mitwirkt, wie es immer wieder heißt, ist ein frommer Wunsch. Es hört sich oft aber nach Rhetorik an.

Benedikt XVI. – der Denker, der Lehrer, der Professor auf dem Petrusstuhl – hat das höchste Amt in gutem Sinne entzaubert. Er hat, indem er sich und seinem Wirken eine Grenze setzte, dem Amt die Würde des Dienens zurückgegeben. Das ist ein neues Verständnis vom Amt, und wer den Wandel noch stärker gewichten will, kann ihn einen Paradigmenwechsel nennen.

Dieser historische Schritt des Rücktritts ist eine Chance für die Kirche und könnte stilbildend für alle künftigen Amtsträger sein. Damit verbunden wären ein unerwarteter Modernisierungsschub für die römisch-katholische Kirche und eine geglückte Anpassung an die neuen Erfordernisse einer dynamischen Welt. "Wer den Wandel leugnet, leugnet die Geschichtlichkeit unserer Welt", sagt der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf.

Allerdings gibt es auch Kritik an Benedikt, unter anderem vom Erzbischof aus Krakau, Stanislaw Dziwisz. Er erinnerte daran, dass Karol Wojtyla – Papst Johannes Paul II. (1920–2005) – trotz schwerer Erkrankung nicht von seinem Amt als Papst zurückgetreten sei. "Er vertrat die Ansicht, man steige nicht vom Kreuz herab", sagte er. Man muss sich nicht einmal die Frage stellen, wie unmenschlich und unbarmherzig dies als Anforderung an den Amtsträger ist. Es ist schlichtweg anmaßend, als Stellvertreter Christi das Leiden von Gottes Sohn nachempfinden und imitieren zu wollen.

(RP)
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