Istanbul Wie Premier Erdogan die türkische Justiz demontiert

Istanbul · Aus Sorge vor "parallelen Strukturen" entlässt der Ministerpräsident Polizisten und Staatsanwälte. Auch alte Verbündete schont er nicht.

Recep Tayyip Erdogan: Das ist der türkische Staatspräsident
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Das ist Recep Tayyip Erdogan

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Ein Korruptionsverdächtiger versteckt Millionensummen in Schuhkartons. Polizisten werden gleich zu Tausenden versetzt, weil die Regierung ihnen nicht mehr traut. Unliebsame Staatsanwälte werden von wichtigen Ermittlungen entfernt, weil sie dem Ministerpräsidenten auf die Füße treten. Der Korruptionsskandal in der Türkei und die Reaktion der Regierung wirken auf manche Beobachter wie absurdes Theater. Die Opposition wirft Erdogan vor, an Paranoia zu leiden.

Ein Staat, der bis vor Kurzem als Modell für die ganze Region galt, der Mitglied der 20 wichtigsten Industriestaaten (G 20) ist und in die EU will, steht plötzlich da wie eine Bananenrepublik. Jeder neue Tag bringt Nachrichten, die wirken, als habe sich jemand einen Scherz erlaubt.

Schlimm ist aus Sicht der Regierung nicht die mutmaßliche Korruption, sondern deren Aufdeckung. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und seine Anhänger sehen sich als Opfer einer politischen Verschwörung mit dem Ziel, die Regierung vor den wichtigen Kommunalwahlen am 30. März zu schwächen. Von "parallelen Strukturen" im Staatsapparat ist die Rede, von einem Komplott und Putschversuch unter Beteiligung türkei-feindlicher Kräfte im Ausland. Beweise dafür gibt es nicht.

Die atemberaubende Geschwindigkeit, mit der die Regierung Freunde zu Feinden erklärt, trägt zu der surrealen Stimmung dieser Tage bei. Da ist etwa Zekeriya Öz. Der Istanbuler Staatsanwalt war in den vergangenen Jahren ein Held für die Erdogan-Anhänger; der Premier selbst stellte ihm einen gepanzerten Dienstwagen zur Verfügung. Denn damals war Öz entscheidend an den Ermittlungen gegen Ex-Generäle im rechtsgerichteten Geheimbund "Ergenekon" beteiligt, der einen Putsch gegen Erdogan geplant haben soll.

Aber jetzt hat Öz zusammen mit Kollegen wegen Korruptions-Verdachts gegen Menschen aus Erdogans Umfeld ermittelt und Mitte Dezember mehrere Dutzend Verdächtige festnehmen lassen. Prompt wurde er von dem Fall abgezogen.

Inzwischen gerät der Staatsanwalt, der Putschisten und korrupte Minister gleichermaßen bekämpft hat, selbst ins Zwielicht: Ein in die Korruptionsaffäre verstrickter Bauunternehmer hat ausgesagt, Öz habe sich von seinem Unternehmen einen Luxus-Urlaub in Dubai im Wert von umgerechnet 26 000 Euro bezahlen lassen. Öz weist die Anschuldigungen zurück. Er gilt als Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen. Das Erdogan-Lager hat ihn deshalb im Verdacht, dem Premier schaden zu wollen. Denn auch Gülen ist jemand, der bei Erdogan in Ungnade gefallen ist. Über Jahre hatten zahlreiche Anhänger Gülens im Staatsapparat die Regierung unterstützt. Doch Erdogan empfindet die Hilfe immer mehr als Gängelei und Bevormundung. Er hat mit Gülen gebrochen. Jetzt steht der Prediger plötzlich als Drahtzieher des angeblichen Komplotts gegen Erdogan da.

Die Regierung verliere immer mehr den Bezug zur Realität, kommentierte Cengiz Candar, einer der erfahrensten Beobachter des Ankaraner Polit-Betriebs, in der Zeitung "Radikal". Devlet Bahceli, Chef der Nationalisten im türkischen Parlament, sagte in einer Rede, Erdogan habe sich in Lügen verstrickt und den Verstand verloren.

(sei)
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